Interview | Ehrenamt - Warum eine Cottbuserin in ihrer Freizeit ins Gefängnis geht

Fr 08.09.23 | 06:08 Uhr
  7
Zellen der Arrestanstalt (Quelle: dpa/Alexander Prautzsch)
Bild: dpa/Alexander Prautzsch

Andrea Rode hilft Gefängnisinsassen durch Gespräche, den Kontakt zur Außenwelt nicht zu verlieren. Im Interview spricht sie darüber, warum sie ausgerechnet Straftätern hilft und welche Fälle ihr besonders in Erinnerung geblieben sind.

Seit 2008 gibt es in der Caritas-Regionalstelle in Cottbus das Projekt "Gefangenen eine zweite Chance geben". Es wird vom Brandenburgischen Justizministerium finanziert. 23 Ehrenamtliche engagieren sich in dem Projekt. Seit elf Jahren ist Andrea Rode (61) eine von ihnen. In Gefängnissen führt sie Gespräche mit Insassen, hilft ihnen zuweilen beim Einkaufen oder bei Behördengängen.

rbb24: Frau Rode, es gibt viele Möglichkeiten sich ehrenamtlich zu engagieren. Wie sind Sie auf Gespräche mit Gefangenen gekommen?

Andrea Rode: Es gibt so viele Klischees über Menschen in Haft, da wollte ich mir mein eigenes Bild machen. Im Internet bin ich auf der Seite der Caritas auf das Angebot gestoßen. Menschen helfe ich generell gerne, das macht mir Freude. Und ich wollte meinen Horizont erweitern.

Was haben Sie dabei im Laufe der Jahre alles erlebt und gemacht?

Erstmal bekommt man einen Einführungskurs über mehrere Wochen, man wird nicht ins kalte Wasser geworfen. Da kann man herausfinden: Ist das etwas für mich? Ist das vielleicht zu kompliziert oder belastend? Angefangen habe ich danach mit Gesprächen mit langjährig Inhaftierten, die keine Angehörigen mehr haben, die keine Gespräche mehr führen, die aber Bedarf haben, die ganz einfach ihr Herz auch mal ausschütten wollen.

Der Mann, den ich zuerst hatte, der war schon seit 20 oder 30 Jahren im Gefängnis. Man fängt ganz von vorne an. Man darf auch nicht anfangen, moralisch zu werten oder die Inhaftierten zu therapieren. Es geht um ganz normale Alltagsthemen, man ist im Prinzip die Verbindung zur Außenwelt. Später ging es dann auch zu begleitenden Ausgängen im offenen Vollzug. Ich habe auch jemanden zum Einkaufen begleitet, der erstmal lernen musste, mit einer ganz neuen Währung klarzukommen. Auch Fahrkarten am Automaten kaufen war Neuland. Außerdem gibt es Gruppenangebote, zum Beispiel in der Vorweihnachtszeit.

Sie sagen, man darf nicht moralisch werten. Wie schaffen Sie das? Wissen Sie im Voraus, weshalb die Gefangenen im Gefängnis sind?

Das ist kein Muss. Ich persönlich weiß es gerne, damit ich mich auf den Menschen einstellen kann. Es gibt auch Straftaten, die man schon im Voraus ausschließen kann - dass man sagt: Mit solchen Menschen möchte man keine Gespräche führen. Mir gelingt das ganz gut, vielleicht durch meinen Beruf. Ich habe viele Jahre als Krankenschwester gearbeitet, ich habe viel gesehen und erlebt in meinem Leben.

Die Gefangenen schütten manchmal von allein ihr ganzes Herz aus oder sie sprechen gar nicht darüber, dann bohrt man auch nicht nach. Es geht meistens um ganz banale Dinge: Was passiert, wenn ich entlassen werde, werde ich das in den Griff kriegen? Manchmal geht es auch einfach nur ums Essen und was in der JVA nicht stimmt, also dass sie sich ganz einfach mal beschweren wollen. Man darf sich jetzt nicht einbilden, dass man ganz tief in diese Persönlichkeit eintauchen muss.

Reden Sie auch über die Tat, wegen der der Täter im Gefängnis sitzt?

Das mache ich, wenn diejenigen selbst anfangen darüber zu sprechen. Dann versuche ich natürlich, meinen Standpunkt darzustellen. Ich sage aber nie: "Das war ganz schlimm, das dürfen Sie nie wieder machen!" Das bringt auch in dem Moment nichts.

Sie sind elf Jahre dabei. Welche Begegnungen sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir eine junge Frau, die ich nach der Entlassung auch noch begleitet habe. Die stammte aus Polen und ist durch sehr schlechten Umgang in diese Straftaten reingeschlittert. Die hat die Hilfe wirklich angenommen. Ich habe zum Beispiel bei der Wohnungssuche geholfen, bei Amtsgängen, beim Arbeitsamt. Deutsch war nicht ihre Muttersprache, deshalb war es sehr schwierig für sie. Wir haben Möbel besorgt und sie hat gleich einen Deutschkurs gemacht. Sie hat auch Arbeit bekommen, durch das Vorstellungsgespräch, das wir organisiert hatten. Beim Deutschkurs habe ich ein bisschen Nachhilfe gegeben. Sie hat es geschafft, muss ich sagen. Das war eine Begleitung über zwei Jahre, das ist mir positiv im Gedächtnis geblieben. Das klappt aber nicht immer so.

Sind Sie auch schon an Ihre Grenzen gestoßen?

Ja, es gab auch mal eine psychisch auffällige junge Frau, die ich nach der Haft begleiten sollte, zur Wohngruppe gebracht habe und ähnliches. Die ist aufgrund ihrer Erkrankung auffällig geworden, das war nicht so einfach. Da musste ich mich auch abgrenzen. In solchen Fällen gibt es auch Unterstützung. Es gibt jeden Monat in der Caritas-Regionalstelle ein Gruppengespräch. Alle Betreuer kommen dann zusammen. Jeder kann erzählen, was er gerade macht, wo Probleme liegen. Man kriegt Feedback, es gibt Unterstützung, also man muss das nicht mit sich selbst ausmachen.

Was nehmen Sie selbst aus der Arbeit für sich mit?

Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn ich bei der Resozialisierung helfen kann. Wenn ich weiß, ich kann diesen Menschen dabei helfen, wieder ein geregeltes Leben zu führen. Dankbarkeit bekommt man auch. In den Gesprächen haben mir viele schon gesagt: "Das hat mir etwas gegeben, das hat mich aufgebaut, danke, dass Sie mir die Zeit gegeben haben." Die Gespräche dauern manchmal über eine Stunde. Besonders positiv sind für mich die Fälle, bei denen ich weiß, die haben es danach geschafft. Jeder verdient eine zweite Chance. Manche brauchen eine dritte oder auch eine vierte, manchmal klappt es auch nicht.

Gab es auch schon Briefe oder Geschenke oder ähnliches?

Briefe gab es auch schon, das läuft aber alles nicht über die persönliche Adresse, sondern die Caritas-Regionalstelle. Aber wenn die Leute entlassen werden, sind sie schnell auch wieder in ihrem Umfeld.

Eine Mitarbeitende von uns hat jetzt aber einen ganz lieben Brief bekommen. Derjenige hat sich ganz lieb bedankt und gesagt, dass sie ihm Halt gegeben hat. Das ist nicht die Norm, aber das gibt es.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sendung: Antenne Brandenburg, 05.09.2023, 14:10 Uhr

7 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 7.

    Unfug, Kleene!
    Urteil über 15 Jahre, sind 15 Jahre.
    Lebenslang aber (anbei: "lebenslänglich" ist Schwachsinn, weil "länglich " kein Zeit-, sondern Formattribut ist) bedeutet bis zum Lebensende.
    Bei lebenslanger Haftstrafe wird erstmalig nach 15 Jahren geprüft, ob Freilassung auf Bewährung in Frage kommt.
    Wenn nicht, "bleibt man drin ".... bis zum Tode.
    "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal...." ;)

  2. 6.

    Gruß von einem Justizvollzugsbeamten aus der JVA Plötzensee:
    Ja genau, " ... es gibt mir ein gutes Gefühl!". Datum gehts!
    In Deutschland gibt es IN JEDER Anstalt Menschen mit denen man "mal reden kann ". So zB VIELE Sozialarbeiter = Gruppenleiter. Auch Psychologen oder natürlich Justizvollzugsbeamte.
    Typisch aber: Kriminelle werden von der Gesellschaft und Politik gepampert, die Opfer aber und deren Leben interessiert aber keine S.. !
    Cooles Gefühl, oder ?!


  3. 5.

    An Paula:

    Die längste zeitlich begrenzte Haftdauer beträgt 15 Jahre, da haben Sie recht. Es gibt jedoch auch die "lebenslänglich" Inhaftierten. Die können nach 15 Jahren erstmals einen Antrag auf Haftentlassung stellen. Die meisten Lebenslänglich-Verurteilten werden nach 22, 23 Jahren entlassen. Es gibt aber auch Leute, die bereits 50 Jahre im Gefängnis sitzen.

  4. 4.

    Was ist das denn für eine Märchenstunde? 20 oder 30 Jahre im Strafvollzug? Die Höchstdauer dafür beträgt 15 Jahre.
    Noch dazu kann die Dame sich nicht an die Haftdauer ihrer allerersten Begnung erinnern?

  5. 3.

    Was ist das denn für eine Märchenstunde? 20 oder 30 Jahre im Strafvollzug? Die Höchstdauer dafür beträgt 15 Jahre.
    Noch dazu kann die Dame sich nicht an die Haftdauer ihrer allerersten Begnung erinnern?

  6. 2.

    Ein wichtiges Engagement! Danke Frau Rode für Ihre Bereitschaft darüber zu sprechen.

  7. 1.

    Großen Respekt. Ein so ehrlicher Beitrag. Eine wunderbare Frau. Nehmen sie meine Anerkennung entgegen. Alles im Ehrenamt. Da werde ich ganz einfach still.

Nächster Artikel