Interview | Epidemiologe Klaus Stöhr - "Der Impfstopp für Astrazeneca ist richtig"

Di 16.03.21 | 21:16 Uhr
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Der Epidemiologe Klaus Stöhr in einem Impfzentrum.
Audio: Antenne Brandenburg | 16.03.2021 | Autorin: Anna Bayer | Bild: rbb / Brandenburg Aktuell

Das Impfen ging ohnehin nur zäh voran, dann kam der vorübergehende Stopp für den Einsatz von Astrazeneca. Der Epidemiologe Klaus Stöhr kritisiert Bund und Länder in vielen Entscheidungen, hält es aber für richtig, die Impfungen mit Astrazeneca vorerst einzustellen.

 

Klaus Stöhr, Epidemiologe und Virologe, hat viele Jahre für die Weltgesundheitsorganisation gearbeitet. Derzeit ist der 61 Jahre alte Professor als Berater tätig und übt Kritik: Man müsse sich mehr auf die Risikogruppen konzentrieren und der Bund verlasse sich zudem auf zu wenige und immer die gleichen Experten. Wie Bund und Länder setzt Stöhr auf flächendeckende Impfungen. Mit rbb|24 zieht er Bilanz zur aktuellen Lage.

rbb|24: Der Impfstoff Astrazeneca hatte vorher schon ein Imageproblem. Ist der Impf-Stopp jetzt der Todesstoß für das Vertrauen in die Impfkampagne?

Klaus Stöhr: Nein, überhaupt nicht. Der Impfstoff wurde ja umfänglich getestet und ist in vielen Ländern eingesetzt worden. Es gibt eine umfangreiche Datenbasis. Was wir jetzt sehen, ist ein Verdacht, dass bestimmte Blutgerinnsel, die bei den Geimpften aufgetreten sind, durch den Impfstoff verursacht sind. Die Häufigkeit, mit der solche Gerinnsel auftreten, ist in der nicht geimpften Population genauso groß. Allerdings ist es so, dass ein Impfstoff immer an gesunde Menschen gegeben wird. Deswegen ist doppelte Vorsicht notwendig.

Finden Sie den Impfstopp richtig oder überstürzt?

Der Impfstopp ist richtig. Es ist nicht neu, dass nach Einführung eines Impfstoffes so eine kurzzeitige Unterbrechung erfolgt. Da ist der Covid-Impfstoff nicht der erste und wird auch nicht der letzte sein, weil die Aufmerksamkeit natürlich sehr hoch ist. Jede kleine Nebenwirkung wird festgestellt. Jetzt ist es ganz wichtig, dass man diese Beobachtungen untersucht und der Impfstoff dann auch wieder zugelassen wird. Leichter macht es das jetzt erst einmal nicht. Das ist jetzt eine Phase der Unsicherheit. Aber ich bin mir sicher, dass es besser ist, den Impfstoff kurzzeitig vom Markt zu nehmen, den genau zu untersuchen und dann mit höherer Sicherheit zur Nutzung zurückzugeben.

Man hat in mehreren Ländern gleichzeitig diese Beobachtung gemacht. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA und die einzelnen Zulassungsbehörden beurteilen die Daten. Und deswegen macht es Sinn, jetzt auszusetzen. Das ist besser, als wenn man die Bevölkerung in Unsicherheit belässt und die Arzneimittel-Überwachung stimmt. Ich bin mir fast sicher, dass es in den nächsten Tagen oder Wochen weitergeht.

Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Zusammenhang zwischen Blutgerinnsel im Kopf und dem Impfstoff?

Die Wahrscheinlichkeit richtet sich nach der Daten- und Faktenlage. Das ist keine emotionale Entscheidung. Die Zulassungsbehörden sind auch miteinander vernetzt und die Daten zwischen den Ländern ausgetauscht. Auch die EMA bekommt alle Daten. Das beweist ja nur, dass die Arzneimittel-Überwachung auch funktioniert. Und wenn die Kollegen sich alle Daten angeschaut haben, werden sie auch zu einer guten Entscheidung kommen.

Andere Länder haben mehr Impfdosen zur Verfügung. Warum ist die Versorgung in Deutschland so schwierig?

Innerhalb der Europäischen Union gibt es ein Solidarprinzip. Die haben alle dieselbe Anzahl von Impfdosen pro Kopf in der Bevölkerung. Andere Länder haben da mehr gekauft. Kanada hat etwa achtmal so viel wie sie eigentlich benötigen, die USA viermal so viel. Und auch Australien und Japan haben viel mehr gekauft. Das ist aus ihrer nationalen Perspektive verständlich. Aber mit Impf-Solidarität hat das nichts zu tun. Die Covax-Initiative der Weltgesundheitsorganisation, die Impfstoffe für Entwicklungsländer kauft, hat 200 Millionen Dosen für eine Bevölkerung von circa sechs Milliarden. Das ist eine ganz andere Größenordnung und wir jammern auf hohem Niveau. Aber im globalen Maßstab sind wir schon relativ gut vorangekommen. Das man jetzt so viel Impfstoff hat, hätte ich vor einem Jahr nicht für möglich gehalten. Ich hätte niemals gedacht, dass die EU solidarisch ist und nicht die Ellenbogen und das große Portemonnaie auffährt. Dass das jetzt in einzelnen Ländern auch zu großen Sorgen führt, weil man glaubt, nicht genügend Impfstoff zu haben, ist verständlich.

Kommen wir mit Testen und Impfen aus der Pandemie raus?

Mit der Impfung kommt man schneller aus der Pandemie raus. Mit dem Testen erreicht man das Ende nicht schneller. Nur auf dem Weg dorthin kann man vielleicht bestimmte Öffnungsschritte schneller gehen. Man darf auch nicht zu überoptimistisch sein. Letztendlich ist das Testen in den Hotspots besonders wichtig. Weiter Testen in den Alten- und Pflegeheimen, den Krankenhäusern und auch in den Geschäften, damit kann man für das ein oder andere Öffnungs-Szenario sorgen. Aber die Impfung ist das Exit-Ticket aus der Pandemie. Hier muss die Beschleunigung erfolgen.

Das Interview führte Marc Langebeck für Brandenburg Aktuell. Dieser Text ist eine redigierte und gekürzte Version des Gesprächs.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 16.03.2021, 19:30 Uhr

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5 Kommentare

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  1. 5.

    Ich habe vor zwei Tagen gehört, Paracetamol soll nur im Notfall nach der Impfung eingenommen werden, damit der Körper auf den Impfstoff auch reagieren kann, sonst würde die Wirksamkeit gedämpft werden.
    Aber es gibt, wie in letzter Zeit, immer unterschiedliche Ratschläge...

  2. 4.

    Der Stop des Impfstoffes wird die Skepsis der Bevölkerung untermauern. Ich kenne keinen der sich, wenn er wieder zugelassen wird, sich damit impfen lässt.

  3. 3.

    "Die Probanden von AZ sollen vor der Impfung Paracetamol bekommen haben um Nebenwirkungen zu dämpfen. Warum wurde das nicht rechtzeitig der Bevölkerung mitgeteilt?"

    ... das hatte ich schon vor Wochen ebenfalls kritisiert. Die Information war schon zu finden, wurde aber nicht weiter öffentlich kommuniziert. Das war noch die Zeit, in der jede Kritik als Coronaleugner, Schwurbler etc. tituliert wurde.

  4. 2.

    Mehr Impformationen bitte.
    Aus verschiedenen Quellen nebenbei aufgeschnappt:
    Von der Thrombose waren fast ausschließlich Frauen im gebärfähigen Alter betroffen. Also AZ Impfstoff für Männer wieder freigeben.
    Der AZ-Impfstoff soll nur 25 % des Impfstoffs in Deutschland ausmachen; also unwesentlich.
    Die Probanden von AZ sollen vor der Impfung Paracetamol bekommen haben um Nebenwirkungen zu dämpfen. Warum wurde das nicht rechtzeitig der Bevölkerung mitgeteilt?

  5. 1.

    Die Alten im Altersheim singen und tanzen.
    Meine Frage ist: was ist mit den Jungen deren Immunsystem im letzten Jahr stark unterfordert war und nun Saltomortale schlagen muss. Oder garnicht vorbereitet ist. Colateralschaden? Diese dann Schwersterkrankten sind dann aber keine Coronaopfer?

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