Meinung: Pro | Früherer Kohleausstieg - "Wir können keine 15 Jahre mehr warten"

So 08.01.23 | 14:27 Uhr | Von Hanno Christ
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Bulldozer am Rand der Braunkohlegrube, im Hintergrund ist das Kohlekraftwerk Neurath zu sehen. (Quelle: dpa/Thomas Banneyer)
Audio: rbb24 Inforadio | 07.01.2023 | Bild: dpa/Thomas Banneyer

Die Dürre nimmt zu, das Wasser wird knapper: Die Klimakrise wird vor allem die Lausitz hart treffen. Es muss schneller reagiert werden, dazu gehört auch die Änderung von Gesetzen. Wer jetzt noch auf einen Ausstieg bis 2038 pocht, geht an der Realität vorbei, meint Hanno Christ

Zum Hintergrund: Im Jahr 2038 ist in Deutschland Schluss mit der Kohleverstromung. Dies haben Bundestag und Bundesrat im Sommer 2020 beschlossen. Erst 2038? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) möchte früher vom Netz und zeigt nach NRW, wo es laut Habeck einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens über einen Ausstieg 2030 gäbe. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) pocht hingegen auf die Versorgungssicherheit.

Früher aussteigen aus der Braunkohle – aber gerne doch. Schon bei seiner Festlegung war das Ausstiegs-Jahr 2038 ein aberwitziges Datum, ignorant vor dem Hintergrund der weltweiten Erwärmung des Klimas. Schon damals stöhnten Klimaforscher und Umweltverbände angesichts eines so langgestreckten Ausstieges auf. Klimapolitisch gesehen ist das verantwortungslos.

Tatsächlich geht die bislang eher schleichende Erderwärmung in einen Galopp über. Beobachter warnen vor den Folgen besonders für unsere Region: Die Dürre nimmt zu, das Wasser wird knapper. Ironie des Schicksals: Vor allem die heutige Kohle-Region Lausitz wird es dabei vergleichsweise hart treffen – aber immer noch mild im Vergleich mit anderen Weltregionen.

Auf einen Ausstieg bis 2038 zu pochen, ist an der Realität vorbei

Dieser Entwicklung müssen auch Regelwerke und Gesetze angepasst werden. Das ist kein gebrochenes Versprechen, das ist lebendige Demokratie. Auch ein Kohleausstiegs-Gesetz kann - wie jedes andere Gesetz - novelliert werden. Heute noch auf einen Ausstieg bis 2038 zu pochen, ist an der Realität vorbei, rückwärtsgewandt. Und wenig selbstbewusst.

Ja, die Energiewende ist noch nicht soweit. Fraglich, ob sie auch 2030 erfolgreich gewesen sein wird. An manchen dunklen und sonnenarmen Tagen dominiert die Braunkohle heute den Strommix mit bis zu 50 Prozent. Speicher fehlen – noch.

Aber hätten wir uns vor wenigen Monaten noch vorstellen können, dass Europa weder Gas noch Öl aus Russland bekommt und sich die Räder trotzdem weiter drehen? Hätten wir noch vor fünf Jahren vorhergesagt welchen riesigen Sprung der Anteil erneuerbarer Energie am Strommarkt macht? Dass riesige Fabriken und Gas-Terminals im Eiltempo gebaut werden?

Brandenburg muss sich vorbereiten - nicht nostalgisch, sondern selbstbewusst

Es ist nur folgerichtig, dass der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen teurer und teurer wird. Und ebenso folgerichtig ist es für einen Wirtschaftsminister wie Robert Habeck darauf hinzuweisen, was das für den Energieträger Braunkohle bedeutet. Er ist damit übrigens nicht der einzige. Auch Klimaforscher aus Potsdam zeichnen ein ähnliches Szenario. Brandenburg sollte sich darauf vorbereiten, nicht nostalgisch, sondern selbstbewusst neue Strukturen schaffen. Die großen Stromunternehmen sind da der Politik übrigens oft voraus. Womöglich steigen die schneller aus der Kohleverstromung aus als die Politik "2030" sagen kann.

Dass ausgerechnet Politiker aus dem Osten anprangern, man blende bei einem rascheren Kohle-Ausstieg Gesetze der Physik aus ist die Verkehrung der Realität. Physik ist die Erwärmung, ist der Klimawandel. Unumkehrbar. Physik ist nicht Wohlstand, nicht Versorgungssicherheit immer und überall. Das nennt man dann wohl Ideologie.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.01.2023, 10:00 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

100 Kommentare

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  1. 100.

    Dann gehört als (ehemaliger) Exportweltmeister auch der Anteil der exportierten Waren abgezogen und dem Zielland zugerechnet.

  2. 99.

    Das Problem läuft im Endeffekt darauf hinaus, daß sich ein Geothermiekraftwerk rechnen muß. Je tiefer man dafür bohren muß, desto schlechter wird die wirtschaftliche Rechnung sein. Brandenburg ist nun aber geologisch nie so sehr aktiv gewesen, da wird es auf einige wirtschaftlich sinnvolle Standorte hinauslaufen. Anders sieht es schon in geologisch aktiven Regionen wie im Rheingraben aus - womit wir dann aber wieder bei dem Problem der (möglichst verlustarmen) Verteilnetze sind (die aber auch für die anderen EE ausgebaut werden müssen).

  3. 98.

    Im Scientific American gab da mal vor vielen Jahren schon einen Artikel für die USA dazu, die rechnen auch mit einem großen Potetial für Geothermie und sind fleißig dabei.

  4. 97.

    "Erneuerbare Energie" bedeutet, daß wir selbst nichts dafür tun müssen, damit es wieder Sonnenschein oder Wind gibt, die Nachlieferung der "Rohenergie" gibt es somit gratis immer wieder neu und wir müssen "nur" ernten. Ich glaube Sie sind aber der Einzige, dem das hier nicht klar ist. Im Gegensatz dazu sind fossile Energieträger wie Erdgas und Erdöl im Prinzip für uns interessierende Zeiträume nicht erneuerbar, da zu nahezu 100% biologischen Ursprungs (es gibt auch Vorkommen, wo man einen abiogenen Ursprung vermutet, die spielen in der Menge aber wohl keine Rolle) und den Nachschub gibt es nur über lange geologische Zeiträume.

  5. 96.

    Zur Windkraft hätte ich noch eine Ergänzung bzw. Frage. Da BRB nicht erst seit gestern in Windkraft investiert, sind einige Anlagen schon recht alt. Wäre es nicht sinnvoll, wenn man neben den Ausbauplänen auch Modernisierungen auf vorhanden Standorten durchführen würde?

  6. 95.

    Planungssicherheit … DAS ist es, was einen Kompromiss bzw. einen Beschluss ausmacht … Und soweit ich es weiß, heißt es im Beschluss quasi „spätestens 2038“ ... Nun gebt den Profis da bitte endlich mal Ruhe und eben PLANUNGSSICHERHEIT.

  7. 94.

    "In DEU wurden 2022 7,5 Mio kW PV hinzugebaut. 5m²/kW macht 37,5 Mio m² PV Module/Jahr oder 100.000m²/d."
    Wie kommen Sie auf diese Zahl (7,5 Mio kWp)? Ich habe mal schnell bei der Bundesnetzagentur nachgesehen und dort 25.101,771 KWp angemeldete PV-Leistung in 2022 gefunden. Nun ist sicher nicht jede installierte Anlage gemeldet worden - ich selbst warte auch schon seit September auf die Inbetriebnahme durch den Netzbetreiber - aber so groß wird der Unterschied nun nicht sein. Bei meiner Zahl wären das aber nur ca. 350 Quadratmeter PV-Fläche pro Tag und diese Zahl erscheint mir deutlich realistischer.

  8. 93.

    Immer die gleichen Lügen und Verdrehungen der Kohlefans und der Technologieen des drittletzten Jahrhunderts.

    "Deutschland hat mit 4,6 Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen seit 1850 beigetragen und seine Pro-Kopf-CO2-Emissionen liegen deutlich über dem weltweiten Durchschnitt."

  9. 92.

    Für ein dicht besiedeltes Land wie unseres sicher schwierig, daher ist Freundschaft zu Island o.ä. dünnerbesiedelten und geothermisch aktiveren Ländern sicher nicht verkehrt. Könnten ja auch als Produzent für synthetische Gase taugen.
    Italien holt schon fast 1% seines Stromes aus der Erde.

  10. 91.

    Vielleicht genau gelesen aber eben nicht genau durchdacht.
    PV im Szenario Referenz das 7,7fache von 2022, etwas Rückbau, ca. Faktor 8.
    Wind im Szenario Referenz das 6,6fache, etwas Repowering, ca. Faktor 7.
    Zu Ihren Zahlen
    Wind:
    8facher Energieertrag heisst nicht 8fache Anzahl.
    Sie wissen ja man hat mal mit einige 100kW WKA angefangen, die stehen immer noch, baut heute keiner mehr.
    3-7MW ist der Standard. Offshore geht sicher bald noch einiges mehr.
    Somit reduziert sich die Anzahl drastisch, da Sie wie auch immer mit deutlich zu wenig Ertrag/Anlage für die Zukunft rechnen.
    PV:
    50.000m²/d klingt viel, ist es aber nicht. In DEU wurden 2022 7,5 Mio kW PV hinzugebaut. 5m²/kW macht 37,5 Mio m² PV Module/Jahr oder 100.000m²/d.
    Die 7,5GW sind zu wenig und deshalb im EEG Ausbaupfad ab 2026 22GW/Jahr geplant. Etwas mehr wird vielleicht notwendig.
    Verdreifachung ab 2026 von dem was voriges Jahr lief, klingt doch machbar.
    Wie immer beim Thema Energie, keine Angst vor großen Zahlen.

  11. 90.

    Ach Gottchen, der Kobalt-Mythos, der schon 2019 als maßlos übertrieben entlarvt worden ist. Sie haben aber hoffentlich kein Handy, Laptop oder anderen akku-betriebenes Kleingerät, nicht blaues und verwenden auch keine Gegenstände aus hochlegiertem Stahl wie z.B. einen Verbrennungsmotor, oder?
    LNG-Tanker fahren übrigens schon seit längerem i.d.R mit Boil-Off-Gas.
    Was glauben Sie, wie ganz banal schon Fensterscheiben die Tierwelt verändern?

  12. 89.

    Stromnettoexporte 10/22: 1,1 TWh, 11/22; 2,9TWh,12/22: 3,8TWh
    Quelle: https://www.energy-charts.info/charts/import_export_map/chart.htm?l=de&c=DE&interval=month&year=2022&month=11&exp=cbpf

  13. 88.

    Sie haben vergessen,das die neuen Energien,nicht vor Ort liegen.Kinderhände Budeln nach Kobalt, Energie,Gas, Öl wird mit Schiffen...die mit Schweröle fahren um die halbe Welt Windräder verändern die Tierwelt.Deutschland hat in seiner Arroganz vergessen Technologien zu Nutzen,an statt sie an China zu verkaufen.Dummheit kostet viel Geld.

  14. 87.

    Im Bundestag saßen während der 16 Jahre Merkel die Grünen immer in der Opposition.

  15. 86.

    Das mit dem Vorreiter haben wir bereits verspielt - von daher reiten wir das sterbende Pferd endgültig zu Tode. Den puren Aktivismus, den weniger Kompetente Ministerien an den Tag legen führt lediglich zu einer nicht mehr vertretbaren Verteuerung und hilft dem Klima schon überhaupt gar nicht.

    Die verpennte Zeit, die wir in einem Tiefschlaf verplempert haben können wir bei allen guten Vorsätzen nicht aufholen. Und - soweit ich das erkenne, waren Grüne mit dabei.

  16. 85.

    Schon der Begriff ,,erneuerbare Energie" ist ein Witz! Könnte man Wind- oder -sonnenenergie erneuern, hätte man im Spätherbst bei Windstille und Sonnenscheinmangel keinen Strom im Ausland zukaufen müssen. Mit der ,, Erneuerung" könnte man ja aktiv das Wetter beeinflussen. Aus dem Land der Dichter und Denker ist ist ein Land von Fantasten geworden. Haben wir bei starkem Wind und Sonnenschein eine Überproduktion an Elektroenergie verschenken wir den Strom ins Ausland.

  17. 84.

    "Nach mir die Sintflut!" scheint Ihre These zu sein, Herr Charly. Wenn man alt genug ist, kann man vielleicht so denken. Wer aber Kinder und/oder Enkel hat, gönnt denen keine abgeranzte Welt, sondern macht sich Gedanken und verzichtet vielleicht sogar auf Dinge. Natürlich retten wir nicht alleine die Welt. Aber wir könnten uns gut positionieren, indem wir Vorreiter sind. In kurzer Zeit wird jeder Staat erkennen, dass es nicht so weiter gehen kann. Dann hätten wir schon die Technologie. Wir werden mehr und mehr unabhängig von Despoten (Putin, Ölscheichs etc.). Das ist in Deutschland aber anscheinend nicht erwünscht: "Diesel dir leb' ich, Diesel dir sterb' ich."

  18. 83.

    So redet nur jemand, der im Grunde keine Veränderung will, um in seiner Komfortzone zu bleiben.
    Das leiten sie, wie üblich in ihren Kreisen, mit der Relativierung des menschlichen Einflusses ein. Vor einigen Jahren hätten sie den wahrscheinlich noch komplett geleugnet.
    Leider sind sich der überwiedende Teil der Wissenschaftler über das Gegenteil einig. Der jetzige Klimawandel ist, wen wunderts auch, überwiegend menschengemacht. Man bezeichnet das neue geologische Zeitalter auch treffender Weise als Anthropozän.
    Und weil das so ist, wird sich die Situation durch reines zuschauen signifikant verschlimmern. Aber in einem Punkt gebe ich ihnen Recht, es wird nicht mehr reichen die Treibhausgasemissionen nur zu reduzieren, wir müssen die Anteile die sich bereits in der Atmosphäre befinden herausfiltern. Auf natürlichem Wege dauert es einfach zu lange.

  19. 82.

    Im Prinzip ein gute und energiereiche Idee, aber nicht ganz rückwirkungsfrei:

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Geothermie
    Kapitel Risiken

    Es ist ein wenig Glücksspiel. Leider kann man die ganzen Risiken im Vorfeld nicht vollständig ausschließen.

  20. 81.

    Hurra! Deutschlands Grüne retten die Welt!

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