Zu lang, zu schwer, zu hässlich - Noch immer landet tonnenweise frisches Gemüse im Müll

Mo 23.01.23 | 17:29 Uhr | Von Heimke Burkhardt
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Symbolbild: Grüner Spargel liegt am 16.06.2022 in einem Obst- und Gemüsestand (Quelle: dpa/Hauke-Christian Dittrich)
Video: Super.Markt | 23.01.2023 | Heimke Burkhardt | Bild: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Nicht alles, was gegessen werden könnte, wird auch in Lebensmittelregalen angeboten. Zu große Spargelstangen etwa landen aufgrund einer EU-Verordnung im Müll. Tonnenweise Lebensmittel gehen so pro Saison verloren. Von Heimke Burkhardt

Noch wenige Wochen, dann werden allein bei Jürgen Jacobs in Beelitz 60.000 Kilo Spargel wachsen. Doch wenn der Landwirt den Kontrollgang über die Spargel-Felder macht, ärgert er sich schon jetzt über das, was nach der Ernte auf ihn zukommt: "Wir produzieren hier mit effizienten Mitteln ein sehr gesundes Gemüse, aber es ist schade, wenn schon so viel weggeschmissen werden muss, bevor es in den Handel kommt - weil die Vorschriften es so vorsehen."

Tonnenweise Ausschussware - aus optischen Gründen

Das Problem: Die Spargelstangen von Bauer Jacobs dürfen nicht länger als 22 Zentimeter werden. Sonst darf er sie im Supermarkt nicht verkaufen. Der Salatkopf darf nur zwischen 250 und 300 Gramm wiegen, sonst wird er nicht angenommen. Das sehen EU-Gesetze vor. Und ein geplatzter Kohlrabi schafft es auch nicht in den Laden. 40 Prozent der Ernte werden also direkt wieder umgepflügt.

Uniformität gilt für das deutsche Gemüse. Tonnenweise landet es im Müll oder in der Ackererde: Dieser sogenannte Vor-Ernteverlust liegt laut Deutscher Umwelthilfe bei 16,5 Millionen Tonnen. Das sind mehr als 400.000 Lkw-Ladungen, die in keiner Statistik auftauchen.

"Laut den offiziellen EU-Vorgaben zur Erhebung der Statistiken der Lebensmittel-Verschwendung muss Deutschland diese Zahlen nicht erheben, trotzdem ist es ein unheimlich wichtiger Faktor, der auch zeigt, dass die Schuld, die wir in den Privathaushalten sehen, gar nicht so unheimlich hoch ist, wie es in den offiziellen Statistiken manchmal aussieht", sagt Leonie Netter von der Deutschen Umwelthilfe.

Ausschussware nicht statistisch erfasst

Laut aktuellen Statistiken des Bundes trägt der Endverbraucher mit 59 Prozent zwar den größten Anteil an den jährlich fast elf Millionen Tonnen Lebensmitteln, die im Müll landen - der Handel liegt bei sieben Prozent, die Produzenten bei nur zwei Prozent.

Rechnet man allerdings den von der Umwelthilfe geschätzten Vor-Ernteverlust dazu, sieht das anders aus: Aus insgesamt elf Millionen Tonnen Lebensmittel-Abfall werden dann 27,5 Millionen Tonnen. Diese Zahl taucht in den Statistiken zur Lebensmittel-Verschwendung nicht auf, weil eine zwar essbare, aber noch nicht geerntete Ackerfrucht offiziell gar kein Lebensmittel ist. Stattdessen wird das Gemüse teilweise zum Beispiel als Dünger gewertet, etwa, wenn es untergepflügt wird.

Ästhetische Ansprüche des Handels beeinflussen Kaufverhalten der Kunden?

Beraterin Netter von der Umwelthilfe sieht die Politik in der Verantwortung, um hier Klarheit zu schaffen: "Solange wir diese Zahlen nicht berechnen, können wir auch nicht darüber reden, wie wir das Problem lösen können." Das Problem - das liegt vor allem am Handel, so sieht es die Deutsche Umwelthilfe. Denn die von ihm jahrelang gesetzten und weiterhin geforderten hohen ästhetischen Ansprüche, beispielsweise an Obst oder Gemüse, beeinflussen einerseits die hohe Lebensmittelverschwendung bereits bei der Ernte, andererseits auch das Kaufverhalten der Kunden, die eben nicht zur krummen Gurke oder zum leicht angeschlagenen Apfel greifen. Die Macht des Handels beim Thema "Lebensmittel-Verschwendung" werde immer noch vollkommen unterschätzt.

Philipp Fuchs hat die Nicht-Verschwendung von Lebensmitteln zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Er ist in Berlin-Weißensee für die Organisation Food-Sharing unterwegs und rettet Obst und Gemüse vor der Tonne. In einem Weißenseer Biomarkt holt er angeditschtes Obst und Gemüse und bringt es in ein nahegelegenes Familienzentrum, wo es kostenlos verteilt wird. Seine Motivation? "Ich bin der Meinung, dass Ressourcen verwendet werden müssen. Um jeden Preis." Dass verzehrbare Lebensmittel entsorgt werden, ist für ihn unverantwortlich.

Unverantwortlich - aber von wem? Ist die Kundschaft das Problem, die nur die schönsten Äpfel in ihre Obstschale legen möchte? Oder ist es der Handel, der dem Kunden die glattesten Äpfel, die schönsten Karotten und sowieso nur einwandfreie Ware anbieten will?

Umdenken von Konsumenten beginnt allmählich

Phillip Haverkamp ist Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, für ihn ist der Kunde in der Verantwortung: "Ich glaub, dass der Handel sich schon sehr klar nach den Nachfragen und Ansichten des Konsumenten richtet, denn wir wollen ja unseren Umsatz erzielen, wir wollen zufriedene Kunden - und insofern bieten wir an, was der Kunde möchte."

Haverkamp sieht den Handel nicht alleine in der Verantwortung, Verbraucherbildung zu betreiben. Dieses Thema müsse schon viel früher, etwa in den Schulen, angefasst werden. Aber: Die Verbraucher scheinen sich zu bilden. Tatsächlich gibt es seit wenigen Jahren laut Umwelthilfe ein Umdenken, zu sehen an einem massiven Anstieg geretteter Essensportionen. Etwa durch Organisationen wie Food-Sharing.

"Das Prinzip bei Food-Sharing ist ja, dass es gar nicht direkt um Bedürftigkeit geht", erklärt Isabel Härdtle, die im Weißenseer Familienzentrum gemeinsam mit Philipp Fuchs Obst und Gemüse sortiert. "Wir überprüfen jetzt nicht: Wer braucht das Essen dringender? Es geht darum, dass nichts weggeschmissen wird oder das weniger weggeschmissen wird. Das heißt, alle Menschen, die Interesse haben, können vorbeikommen und sich was nehmen."

Verantwortung trägt niemand

Im Kleinen verändert sich etwas, aber was ist mit dem großen Ganzen? Auf Anfrage des rbb heißt es vonseiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums eher unkonkret: "In sektorspezifischen Dialogforen werden [...] konkrete Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung entwickelt und getestet. Erfolgreiche Maßnahmen sollen von den Unternehmen umgesetzt werden. Mit [...] der Lebensmittelversorgungskette werden Verhandlungen über Zielvereinbarungen geführt."

Es ist ein Kreislauf der Lebensmittel-Verschwendung, bei dem alle anscheinend auf den jeweils nächsten zeigen: Der Produzent sieht die Verantwortung bei Handel und Politik, der Handel schiebt die Verantwortung auf Verbraucher und die Politik. Und der Verbraucher sieht wiederum den Handel und auch die Politik am Zug.

Spargel-Bauer Jacobs fragt sich: "Wer hat damit angefangen, wer hört damit auf? Wenn nicht aus der Politik mal eine Vorgabe kommt, die sagt: Leute wir lösen diesen Teufelskreis auf - dann wird sich an diesem ganzen Sachverhalt nichts ändern." Bis dahin werden Food-Sharer weiter genießbare Lebensmittel vor dem Müll retten, der Einzelhandel wird weiterhin vor allem auf hübsch anzusehende Ware setzen und Landwirte werden wieder und wieder ihre kostbare Ernte wegschmeißen.

Sendung: Supermarkt, 23.01.2023, 20:15 Uhr

Beitrag von Heimke Burkhardt

33 Kommentare

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  1. 33.

    Es ist ein Graus was diese Nichtsnutz*innen in diesem EU-Parlament sich ausdenken.

  2. 32.

    Tja, das Problem dabei ist, dass diese Ware nicht in den Handel kommen darf, also hier wäre der Erzeuger am Zug.
    Er kann es direkt am Hof verkaufen, oder der Tafel zukommen lassen.

  3. 31.

    Problematisch ist auch abgepacktes Obst und Gemüse. 1 Tomate schlecht? 1 Pfirsich mit Delle? Das ganze Pfund oder Kilo wird weggeworfen. Dafür ist es dann tw. Tausende Kilometer unterwegs gewesen. Es lebe der Klimaschutz

  4. 30.

    Ich wohne mitten in der Stadt und habe kein Auto. Ich kann also nicht direkt beim Bauern oder bei einem Stand an der Landstraße kaufen. Könnte ich aber Gemüsekisten mit Obst und Gemüse, das es nicht in den Supermarkt schafft, zu einem angemessenen Preis abonnieren, dann würde ich es sofort tun. Warum schließen sich die landwirtschaftlichen Erzeuger nicht in einer Kooperative zusammen, die einen entsprechenden Lieferdienst aufbaut? Ich würde so eine Kiste nehmen, selbst wenn ich nicht im Voraus wüsste, was sie enthält. Wenn was dabei ist, das ich nicht esse, findet sich bestimmt ein Nachbar, der es mir abnimmt. Statt ständig über die unsinnigen Verluste zu jammern, sollte man vielleicht mal überlegen, wie man das Problem lösen kann und es endlich angehen.

  5. 29.

    Ich finde, dass das Obst und Gemüse nicht schlechter ist , als die Normwahre. Man könnte es doch zu einem Günstigeren Preis anbieten und angeschlagenen Obst gleich den Tafeln anbieten, bevor man es wegwirft

  6. 28.

    Es geht mir nicht um "braune Stellen", also schon "angegammeltes" Obst u. Gemüse im Handel, sondern darum, das sich Leute mehr um die Form (normgerecht) als um den Inhalt kümmern. Wer solche Probleme hat, hat keins.

  7. 27.

    Das ist es, das wollte ich eigentl. auch sagen. Danke, es zeigt --- Vernünftiges könnte doch so einfach sein!
    Und außerdem gibt es bei mir keine Obstschale. Ich will Obst nicht ausstellen, sondern zügig verzehren. Da es kleine Mengen so nicht gibt, was ich verstehen kann, muss ich zusehen, Kartoffeln, Obst und Gemüse so aufzubewahren, dass ich ich das im ansehnl. Zustand gut verkonsumentuckeln kann.

  8. 26.

    Jawohl, jeder Bauer möchte von seiner Arbeit leben können. Und nein, der Bauer verdient nichts an weggeschmissenem Obst oder Gemüse. Aber er trägt die Kosten für die Aufzucht/Wachstum/Ernte. Insofern wäre es wünschenswert wenn zum Beispiel Verarbeitungsbetriebe die angeblichen Missfits aufkaufen und verarbeiten könnte. Bauern als geldgeile Säcke hinzustellen, ist eine Frechheit. Der Handel und die Verbraucher sind das Problem.

  9. 25.

    Ich kann mich da nur vielen meiner Vorrednern anschließen: es ist unverständlich, dass Lebensmittel aufgrund von solchen Richtlinien weggeschmissen werden. Während die Regeln sicherlich einen guten Gedanken haben, müssen sie hier überarbeitet werden - ein Lebensmittel ist nicht schlecht, nur weil es keine Normgröße hat.

  10. 24.

    Ich finde es mal wieder bezeichnend, wie manche über das Eigentum anderer herfallen wollen. Ich bin da völlig unemphatisch. Gehört mir nicht, schadet mir nicht, geht mich nichts an.
    Es scheint sich kein Abnehmer zu finden sonst würden die Bauern nicht ihre Produkte vernichten, in die sie Geld, Zeit und Aufwand investiert haben. Auf der anderen Seite müssen auch Abnehmer da sein, damit es am Ende nicht im Container landet. Darüber regen sich ja auch alle auf. Ebenso, wenn die Regale leer sind. Ansonsten ist doch Spargel in den Läden. Ihr müsst ihn nur kaufen. Letztes Jahr wurde viel Spargel untergepfügt, weil es keine Käufer gab. Wir können also festhalten, es geht manchen nur um Schnäppchen und das Eigentum anderer als Selbstbedienungsladen zu betrachten.

  11. 23.

    Äpfel kaufe ich, um sie zu essen. Im Rentenalter gern geraspelt in diversen Salaten. Nicht, um sie in einer Obstschale anzuschauen. Fragen Sie mal Kunden ausserhalb der Reichenszene, nach welchen Kriterien Sie Äpfel kaufen. Ich wette, da stehen Geschmack und Preis ganz vorn. Wer verdient eigentlich am Import aus Neuseeland, der uns allen schadet?

  12. 22.

    Das ist so unverständlich, warum müssen Spargelstangen 22cm lang sein? Im "Tante Emma"-Läden dürften diese auch länger oder kürzer sein. Das ist so ungerecht gegenüber denen die gar nichts haben - dorthin verschiffen oder fliegen bringt allerdings auch nichts. Ebenso kann man es der Tafel spenden.

    Es ist zum Heulen. Warum geht da keiner auf die Barrikaden / demonstriert gg. derartige Verschwendung? Die Aufmerksamtkeit dauert leider auch nicht lange an....

    Zitat:
    >> Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet, der
    letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, daß man Geld
    nicht essen kann. <<

    Der Mensch schafft es sich selbst zugrunde zu richten.

  13. 20.

    Und Sie glauben allen ernstes, dass das krumme Gemüse günstig an hungerleidende Menschen verkauft werden würde? "Bauern" wollen in erster Linie eins: Geld machen. Wenn sie das krumme Gemüse für viel Geld verkaufen könnten, dann würden sie das tun!

  14. 19.

    "Sonst darf er sie im Supermarkt nicht verkaufen. " Dann sollten sich die "Bauern" vielleicht mal nach anderen Abnehmern ihrer Waren umsehen und nicht nur alles an Supermärkte verkaufen! Denn der Spargelsuppe ist es egal, wie der Spargel aussieht der da reinkommt. Oder ist das vielleicht zu aufwändig / anstrengend? Verdienen sie da vielleicht nicht genug daran? Denn darum geht es diesen "Bauern" doch in erster Linie: Geld verdienen. Nicht darum, günstige Lebensmittel anzubauen.

  15. 18.

    Wie verlogen die Politik ist, zeigt sich hier besonders deutlich. Der Hunger in der Welt ist groß und wir kümmern uns um "schönes" Obst und Gemüse. Der Rest wird halt weggeschmissen. Die Politiker könnten mit entsprechenden Projekten und Initiativen helfen. Z. B. konservieren und an Bedürftige geben, oder, wo möglich, frisch verteilen lassen. Dazu braucht es natürlich Geld und Willen. Beides ist in unserer wohlstandsverwarlosten Ellenbogengesellschaft für die Ärmsten der Armen nicht vorhanden.

  16. 17.

    "Es gibt Menschen, auch in DL, die hungern und wissen nicht, wie sie den nächsten Tag überstehen sollen."

    Nicht wieder diese uralte Räuberpistole. Dadurch wird die Geschichte auch nicht wahrer. Niemand hungert in D, es sein denn freiwillig. Den nächsten Tag nicht überstehen? Ja, das war mal vor 300 Jahren so, als die Mehrheit der Bevölkerung noch Leibeigene waren.

  17. 16.

    Leider gehen dort nicht ältere : Rentner und kranke hin. Meistens wird wie bei der Tafel ca 12:00 ausgeteilt, ja da haben sie ausgeschlafen, und die Kinder essen ja in der Arche. Es gibt Brotfirmen die Freitags das Brot billiger verkaufen, sie gehen deshalb auch nicht pleite, also umdenken .

  18. 15.

    Ich schätze die meisten Ihrer Beiträge, aber der letzte hier, das war wohl nichts:
    Denn wer soll die Murmeln mit der Hand na, schälen geht ja dann wohl nicht mehr, pellen? Natürlich, weiß ich, dass es solches und anders gewachsenes /Gemüse gibt und greife da auch zu. Aber nur noch Murmen im Beutel und dann noch den vollen Preis 2,35 EUR zu bezahlen, dass finde ich nicht mehr gerechtfertigt. Und Äpfel, wo dann schon mehrere braune Stellen haben, das ist auch nicht mein Fall. Wenn ich für das Kilo 3,75 bezahle, dann wünsche ich mir schon, dass ich die Äpfel auch alleine "verputzen" kann. Im übrigen habe ich das Glück, nunmehr jeden Tag zu sehen, was ich mir da Frisches in den Stoffbeutel packen kann. Gott, sei dank, kann ich mir das ja noch aussuchen. Da ich sowie so kein Kultgemüsekäufer bin, ist es mir eigentlich ziemlich egal, wie lang die Spargelstange ist. Ich würde mir da höchstens eine Suppe zubereiten. Oder ich lasse es gleich im Laden liegen.

  19. 14.

    Währen WIR Verbraucher heiß darauf, dann würde es auch verkauft werden. Sind wir aber nicht. WIR lassen es liegen. Außerdem ist es für Maschinen schwerer handelbar und muss händisch bearbeitet werden. Das macht es teurer und WIR wollen das nicht bezahlen sondern am liebesten kostenlos Containern, statt die reduzierten Produkte legal zu den Öffnungszeiten im Laden zu kaufen.

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