AU online bestellen - Krankschreibungen aus dem Internet bewegen sich in Grauzone

Di 03.11.20 | 13:26 Uhr
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Symbolbild: Ein Krankenschein wird vor einer Gruppe von Patienten im Wartezimmer einer Arztpraxis gehalten. (Quelle: dpa/P. Endig)
Video: Super.Markt | 02.11.2020 | Krankschreibung online | Bild: dpa/P. Endig

Seit Mitte Oktober können sich Arbeitnehmer mit Erkältungssymptomen wieder am Telefon von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin krankschreiben lassen. Es gibt aber zusätzlich auch Online-Dienste, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen. Nicht immer ist das zulässig.

Angesichts bundesweit wieder steigender Covid-19-Infektionszahlen gibt es seit Mitte Oktober erneut eine Sonderregelung für telefonische Krankschreibungen. Befristet bis zunächst 31. Dezember können Ärzte eine Arbeitsunfähigkeit für Erkältungen ausstellen, wenn sie sich am Telefon persönlich vom Zustand ihrer Patienten überzeugen.

Doch es gibt auch Internet-Plattformen, auf denen man sich die Krankschreibung ausstellen lassen kann. Diese stoßen jedoch in eine rechtliche Grauzone.

Auch online sind Krankschreibungen mühelos möglich

Die Online-Anbieter werben offen mit dem unkomplizierten Ausstellen von Arbeits-Unfähigkeitsbescheinigungen, die nicht nur Erkältungen abdecken. In einer Stichprobe des rbb-Verbrauchermagazins Super.Markt hat in der virtuellen Sprechstunde des Anbieters teleclinic ein HNO-Arzt bei einer Testperson ein Rückenproblem diagnostiziert und den gewünschten Krankenschein ausgestellt.

Der Anbieter rechtfertigt sich damit, dass das zulässig sei und jeder Arzt selbst entscheiden kann, ob er sich die Behandlung zutraut oder nicht. Arbeitgeber können jedoch misstrauisch werden. Denn der Stempel auf dem Krankenschein stammt womöglich von einem Arzt fernab des Wohnorts.

Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, warnt im rbb vor dem Risiko des Arbeitsplatzverlustes: "Wenn es zum Streit kommt, dann brauche ich vor Gericht den Arzt gegebenenfalls als sachverständigen Zeugen. Und dann ist immer die Frage, was der Arzt aussagt. Bei einer Videosprechstunde kann er zumindest nicht sagen, dass er den Patienten bewegt und an bestimmten Stellen Blockierungen festgestellt hat, sodass so orthopädische Diagnosen per Videosprechstunde für mich zweifelhaft sind."

Ein Anbieter biet sogar Symptome zum Anklicken

Bei einem anderen Anbieter ist es noch leichter: Hier kann man nach Belieben eine vorgeschlagene Krankheit anklicken und sich wie beim Online-Shopping passende Symptome aussuchen. Auch die Anzahl der Krankentage kann man selber bestimmen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird dann von der Internetseite AU-Schein.de für 22 Euro inklusive Postversand nach Hause geschickt.

Die Testperson des rbb hatte eine Magen-Darm-Grippe angekreuzt und ohne Rückfragen den Krankenschein bekommen. Die Berliner Allgemeinmedizinerin Dr. Karin Anton findet die Vorgehensweise erschreckend. "Patienten können dehydrieren, sie brauchen Unterstützung, Ratschläge und Diät. Und sie brauchen immer die Maßgabe: Wenn es nicht besser geht am zweiten oder dritten Tag: bitte kommen Sie in die Praxis oder rufen Sie an, eventuell ist sogar ein Hausbesuch vonnöten."

Arbeitsrechtlich wertlose Krankschreibungen

Arbeitsrechts-Experte Alexander Bredereck hält solche Krankschreibungen sogar für wertlos. "Es ist eigentlich nicht viel anders, als wenn der Arbeitnehmer sich die Bescheinigung selbst schreibt." Wenn er einen Arbeitgeber vertrete, der ihn frage, was er von so einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arbeitnehmers zu halten habe, dann würde er ihm sagen: "Das Ding ist nichts wert".

Auch nach der Auffassung von Ärztekammern "verstoßen Ärztinnen und Ärzte, die für das Geschäftsmodell AU-Schein arbeiten, gegen einschlägige Paragrafen". Verstöße könnten disziplinarrechtlich geahndet werden, heißt es. Auch die GKV, Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, kritisiert diese Art von Krankschreibung als "nicht zulässig".

Der Internet-Anbieter AU-schein.de sieht jedoch weder rechtliche noch medizinische Bedenken und teilt dem rbb auf Nachfrage mit: "Auf Grundlage unseres smarten Fragebogens wurden […] bisher über 70.000 Krankschreibungen online ausgestellt - ohne jegliche Beschwerde wegen fehlerhafter Arztdienstleistung".

Sendung: rbb Fernsehen/Supermarkt, 02.11.2020, 20:30 Uhr

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6 Kommentare

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  1. 6.

    Der Onlinefragebogen von dem einen vermeintlich unseriösen Anbieter ist wesentlich komplizierter als mein Anruf im April bei meiner Hausärztin und das geführte Telefonat.

  2. 4.

    Es gibt tatsächlich immer noch Leute die nicht begriffen haben, das gerade heutzutage und gerade im Herbst und Winter es eigentlich hauptsächlich nur noch Videosprechstunden für erkältungs Infekte Influenza und covid Symptome geben sollte um Hotspots im Ärzte wartezimmer zu vermeiden.
    Wer blau machen will findet auch andere Wege, ich denke hier sind über 95% ehrlich unterwegs.

  3. 3.

    Ich habs nicht geglaubt - AU-Bausatz zum Selbstklicken. Alter Falter - keine 10 Min. so nebenbei suchen.
    Is' ja leichter als früher 'n Entschuldigungszettel von der Oma für die Penne zu bekommen. Sogar ein Jurist stellt AUs aus. Wie geil ist das denn. Tschuldigung Chef, der Paule kann nicht kommen, der hat im Knast auf die Schnute bekommen.
    Ne - aus jetzt.
    @RBB: Der Bericht ist klasse und mögliche Ergebnisse sind durchaus Comedy-Steilvorlagen. Wenn es nur nicht so ernst wäre.

  4. 2.

    Jeder AG kann ein Attest seiner AN anzweifeln. Das ist gängige Praxis. Ich würde Ärzten nicht pauschal unterstellen, dass sie falsche Atteste erstellen, kann es aber in Ausnahmefällen nicht ausschließen. Und ein AG Kent seine „Pappenheimer“. Was die Ärztekammer anbelangt, die hat es in der Hand, ihre Mitglieder entsprechend zu informieren und evtl. fortzubilden. Das Onlineattest ist Folge der „Videobehandlungen“: die schon vor Corona kritikwürdig waren, aber es pauschal als „falsch“ zu deklarieren ist nicht sachgerecht. Arztbesuche haben nun mal derzeit ein erhöhtes Risiko.

  5. 1.

    Das sind für mich keine Ärzte sondern Schalatarne gegen diese sollte die Kassenärztliche Vereinigung vorgehen und ihn ihre Erlaubnis entziehen.

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