Konzertkritik - Überraschungsmomente mit Feist in der Berliner Verti Music Hall

Do 31.08.23 | 09:47 Uhr | Von Laurina Schräder
Archivbild:Die kanadische Saengerin Leslie Feist bei einem Konzert im Tempodrom in Berlin am 24.07.2017.(Quelle:picture alliance/Eventpress Hoensch)
Audio: radio eins | 31.08.2023 | Laurina Schräder | Bild: picture alliance/Eventpress Hoensch

Sechs Jahre ist es her, dass Feist im Berliner im Tempodrom auf der Bühne stand und ihr Album "Pleasure" vorgestellt hat. Seither ist viel passiert. Die Tour zu ihrem neuen Album "Multitudes" führte Feist jetzt wieder nach Berlin.Von Laurina Schräder

Leslie Feist ist etwa 1,60 m groß und ihre Bühne betritt sie am Abend in der Verti Music Hall beinahe ungesehen. Mit dem Handy filmt sie ihren Weg aus dem Backstage – den Blick stets auf ihre Füße gerichtet; das Bild wird im Saal, wo ihre Fans warten, übertragen.

Feist geht vorbei an Technik-Rollkisten, Kabeln, und noch mehr Kisten – bevor auf der Leinwand im Saal immer mehr Füße, Beine, Körper um sie herum zu sehen sind. Langsam begreift die Menge, dass Feist mitten durch sie hindurch auf die Bühne zusteuert.

"Als Wassermann liebe ich Überraschungen"

Der Weg auf die Bühne bleibt nicht die einzige Überraschung von Feist. Die Erklärung, warum sie Überraschungen so liebt, schiebt Feist auf ihr Sternzeichen. Nicht alle Überraschungen sind geplant: Sie habe sich aus Versehen die Setlist in falscher Reihenfolge auf den Arm geschriebenen – eine kleine Herausforderung für ihre Crew.

Zu dem Zeitpunkt steht sie auf einem Runden Podest, ein paar Meter von der Hauptbühne entfernt, mitten im Raum; in der Hand ihre Gitarre – das Handy hat sie an einen vermeintlichen Fan namens Cobe oder Calvin abgegeben, der ihren Auftritt aus diversen Winkeln und mit unterschiedlichsten Filtern filmt, und so die Leinwand hinter Feist bespielt.

Schnell wird klar, dass Cobe/Calvin auch zum Team gehört – und auch das Notizbuch, was er Feist in die Hand drückt, ein geplanter Akt ist. Stören tut das niemanden. Eigentlich wirkt Feist durch die gespielte Szene, bei der sie offenbar aus ihrem eigenen Songbuch vorliest, nur noch sympathischer.

Wo ist das Publikum?

Bei dem ausgewichenen Set aus alten und neuen Songs liefert Feist richtig ab. Während sie die ersten etwa 45 Minuten auf der kleinen Bühne im Zuschauerraum mit ihrer Akustikgitarre steht, wechselt sie während des Songs "I Took All Of My Rings Off" auf die Hauptbühne. Die Leinwand fällt und ihre Band setzt ein und erzeugt einen von mehreren Gänsehautmomenten des Abends.

Feist wechselt nach jedem Song die Gitarre, springt über die Bühne, spricht von Elektrizität und Spannungen zwischen zwei Menschen. Und trotz ihrer Mühen, das Publikum dahin zu bekommen, sich wie sie frei durch den Raum zu bewegen, zu tanzen, singen und Feist eine Rückmeldung zu geben, dass man noch da ist, bleiben die meisten scheinbar festgeklebt auf ihren (Steh-)Plätzen. Vereinzelt tanzt ein Mann durch den ganzen Raum.

Mehr als zwei Stunden, mehr als zwanzig Songs

Wie eigentlich jedes ihrer Alben steht auch "Multitudes" für einen Lebensabschnitt. Mit mittlerweile 47 Jahren reflektiert Feist darauf das Leben auf besondere Art und Weise: Als eines, zusammengesetzt aus vielen Leben, die man alle gelebt hat, und aus Erinnerungen, die sich konstant ändern. Feist ist "Multitudes" und so sind es ihre Songs: alte Hits wie "My Moon, my Man" oder "1234" klingen nicht mehr wie vor rund 15 Jahren, als sie geschrieben wurden. Anmutung und vor allem der Fokus hat sich mit der Zeit geändert: Heute stehen die Zeilen "You Know Who You Are" – "du weißt wer du bist" stärker als je vorher gehört im Vordergrund.

Mit mehr als zwei vollen Stunden, mehr als zwanzig Songs, inszeniert in zwei Akten – von akustisch intim, hin zu geradezu bombastisch rockig – hat Feist alle Erwartungen übertroffen.

Sendung: radio eins, 31.08.2023, 5 Uhr

Beitrag von Laurina Schräder

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