Unabhängige Prüfung - Zwischenbericht bestätigt Vorwürfe gegen frühere rbb-Spitze weitgehend

Do 20.10.22 | 21:42 Uhr
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Anja-Christin Faber (l-r), Vize-Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates, Ralf Roggenbuck, Vorsitzender des RBB-Rundfunkrates, und Katrin Vernau, Interims-Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), Dorette König, Verwaltungsratchefin beim RBB nehmen an der RBB-Rundfunkratssitzung teil. (Quelle: dpa/Britta Pedersen)
dpa/Britta Pedersen
Video: rbb24 Abendschau | 20.10.2022 | Thomas Bittner + Interview mit rbb-Intendantin Vernau | Bild: dpa/Britta Pedersen

Champagner, teure Essen und Reisen auf Kosten der Gebührenzahler lauten die Vorwürfe. Auf einer Sondersitzung des rbb-Rundfunkrats stellte die Kanzlei Lutz Abel am Donnerstag einen Zwischenbericht zu den Vorwürfen vor. Vom rbb-Rechercheteam

Um 12.14 Uhr sind die Mitglieder des rbb-Rundfunk- und Verwaltungsrats endlich vollständig. Die Berliner Grüne Antje Kapek betritt den Saal und wird noch fröhlich klatschend begrüßt. Danach ist es schnell vorbei mit der guten Stimmung.

rbb-Intendantin Kathrin Vernau hatte den Antrag auf einen zusätzlichen Tagesordnungspunkt gestellt: Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus soll zum stellvertretenden Intendanten berufen werden. Nach den Regularien des Rundfunkrats können weitere Tagesordnungspunkte jedoch nur dann kurzfristig aufgenommen werden, wenn die Angelegenheit dringlich ist. Für Vernau ist die Angelegenheit dringlich, da ihr aktueller Stellvertreter Hagen Brandstäter zum einen erkrankt und sein Vertrag zum anderen demnächst vorzeitig beendet werden soll.

Antje Kapek macht indes schnell klar, dass im Rundfunkrat jetzt ein anderer Wind weht. In der Vergangenheit kam das Gremium seinen Kontrollfunktionen nicht immer so nach oder es konnte ihnen nicht so nachkommen, wie es zu erwarten war. "Keine Wahl auf Zuruf", so Kapek. Der Rest solle im nicht-öffentlichen Teil diskutiert werden.

Essen waren nicht abrechnungsfähig

Gut eineinhalb Stunden später wird Schulte-Kellinghaus - in der inzwischen nicht mehr öffentlichen Sitzung - vorläufig zum neuen Stellvertretenden Intendanten ernannt. Ab da referieren die Juristen der Kanzlei Lutz Abel über die Ergebnisse ihrer bisherigen Untersuchungen.

Mitte Juli beauftragte die Compliance-Beauftragte des rbb die Kanzlei Lutz Abel mit der Untersuchung der Vorwürfe gegen die Ex-Intendantin. Geprüft wurden Abrechnungen für Abendessen, die Schlesinger auf rbb-Kosten in ihrer Wohnung veranstaltet hat. Ergebnis: Es fehlt "generell an der Abrechnungsfähigkeit der in Rede stehenden Abendessen, da der dienstliche Anlass der Essen nicht entsprechend den Vorgaben der DA [Dienstanweisung, Anm.d.R.] Bewirtung dokumentiert wurde und anhand der Belege nicht prüfbar ist. Teilweise wurde das Abrechnungsverfahren nicht innerhalb der vorgesehenen Zweimonatsfrist eingeleitet."

Die Reise nach London [...] war unserer Einschätzung nach insgesamt nicht dienstlich veranlasst.

Einschätzung zu angeblicher Dienstreise Schlesingers

Ob die Essen darüber hinaus eher dienstlich oder privat waren, so der Zwischenbericht, ließ sich nur in einem Fall klären: Es geht um das Essen, an dem Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik teilnahm. Sie war von einer rein privaten Veranstaltung ausgegangen. Bei den anderen Essen hätte dies nur durch Gespräche mit den Teilnehmern "festgestellt werden können. Solche Gespräche bzw. Interviews waren für uns", so der Zwischenbericht, aufgrund der Aufforderung "durch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die in diesem Zusammenhang strafrechtlich ermittelt" nicht möglich.

Aber: In den Verträgen sei auch gar nicht vorgesehen gewesen, dass die Intendantin sich an die Bewirtungskostenregeln zu halten hätte. Letztlich sei es jedoch eine Kulturfrage, Dinge seien als normal hingenommen worden, die von außen betrachtet nicht normal sind, so das Fazit der Anwälte in der anschließenden Pressekonferenz.

Reise nach London "pflichtwidrig" abgerechnet

September 2021: Schlesinger, ihr Mann und einige Bekannte reisen nach London zum Sheriffs Ball. Für die Begleiter eine private Reise zu einer Charity-Veranstaltung, für Ex-Intendantin Schlesinger offenbar ein dienstlicher Anlass. Sie hatte dem rbb Reisekosten in Rechnung gestellt.

Einschätzung der Anwälte: "Die Reise nach London, die Frau Schlesinger zusammen mit ihrem Ehemann, Herrn Dr. Spörl, im September 2021 durchgeführt hat und deren Kosten vom rbb erstattet bzw. getragen wurden, war unserer Einschätzung nach insgesamt nicht dienstlich veranlasst." Anders als bei den Bewirtungskostenregelungen, an die die Ex-Intendantin nicht gebunden war, musste sie sich bei der Abrechnung von Reisen jedoch an das halten, was für alle rbb-Mitarbeiter gilt. Welche Konsequenzen das hat, dazu äußerten sich die Anwälte eher zurückhaltend. Eine strafrechtliche Begutachtung der Vorgänge sei nicht Auftrag der Kanzlei gewesen.

In Bezug auf die in den vergangenen Monaten erhobenen Vorwürfe wegen des Verdachts der Bereicherung bestätigt der Zwischenbericht viele Medienberichte. Vorwürfe in Bezug auf die private Nutzung des Dienstwagens samt Massagesitzen, den Schlesinger auch ordnungsgemäß zum Listenpreis versteuerte, hingegen erwiesen sich als unbegründet.

Dienstverträge fehlerhaft

Wirklich spannend wurde es dann bei einem Punkt, der bislang keine Rolle spielte, überschrieben mit "Rechtmäßigkeit der an Frau Schlesinger geleisteten Gehaltszahlungen". Insgesamt gab es drei sogenannte "Dienstverträge", abgeschlossen in den Jahren 2016, 2018 und 2021. Den ersten beiden Verträge, so der Zwischenbericht, mangelte es jedoch an einem "wirksamen Verwaltungsratsbeschluss". In diesen Fällen hier wurden Formalia nicht eingehalten mit dem Ergebnis: Die Verträge sind fehlerhaft.

Aber auch beim dritten Vertrag gab es aus juristischer Sicht "sowohl Verfahrens- als auch Inhaltsmängel". Für die Vergangenheit hat dies keine Konsequenzen, wohl aber für die Zukunft, wenn es um weitere Zahlungen und die Erfüllung des Vertrages geht. Ein fehlerhafter Vertrag muss nicht unbedingt erfüllt werden, so die laienhafte Übersetzung.

Zwischenbericht gibt auch Handlungsempfehlungen

Verantwortlich dafür war letztlich der ehemalige Verwaltungsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf. Seine Amtsführung war wohl vor allem davon geprägt, dass er Verwaltungsratsmitglieder Informationen vorenthielt und seine Vorstellungen durchsetzte. Dorette König, die amtierende Verwaltungsratsvorsitzende, fasste das Problem mit Sicht auf die Zukunft folgendermaßen zusammen: "Beschlüsse dürfen nie wieder auf Basis von Informationen eines einzelnen Mitglieds fallen."

Von außen betrachtet eine Selbstverständlichkeit. Doch wie im rbb wurde wohl auch in den Aufsichtsgremien vieles als normal hingenommen, was schlicht nicht normal war. Der Zwischenbericht enthält auch Handlungsempfehlungen, die dringend notwendig sind: Obergrenzen und klare Regelungen bei Bewirtungen mit dienstlichem Anlass; eine unabhängige Prüfung von Abrechnungen; und Änderungen bei der Arbeit des Verwaltungsrats.

Im Dezember wollen die Anwälte ihre Erkenntnisse zu den Abläufen beim inzwischen gestoppten Digitalen Medienhaus vorlegen. Wer zum Schluss auch materiell für das systematische Versagen auf mehreren Ebenen zur Verantwortung gezogen werden kann, diese Frage wurde Donnerstag noch nicht abschließend beantwortet.

*Das rbb-Rechercheteam bestellt aktuell aus René Althammer und Jo Goll.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.10.2022, 19.30 Uhr

10 Kommentare

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  1. 9.

    1. Sind die Dienstverträge mit Frau S. so fehlerhaft, dass sie als „nichtig“ beurteilt beurteilt werden müssen/können?
    2. Begründen sie Ruhegehaltszahlungen an Frau S.? Wenn ja: In welcher Höhe?

    Diese Fragen kann wohl letzten Endes nur das zuständige Gericht geben. Oder wird eine außergerichtliche Einigung (ein „Vergleich“) - auf Kosten der Rundfunkgebührenzahler - getroffen?

  2. 8.

    Für mich ein Witz einen Mitarbeiter Schulze-Klininghaus zum Stellvertreter wählen zu lassen der in führeren Geschäftsleitung integriert war. Dieses hat für mich nichts mit Neuanfang beim RBB zu tun und Vertrauen beim Gebührenzahler gewinnt man damit auch nicht.
    Für mich heißt es die alten Mitarbeiter/innen der Geschäftsleitung die alle in den Machenschaften involviert waren entlassen für einen sauberen Neuanfang.
    Dem Recherche Team weiter viel Glück beim Aufklären dieses Sumpfes.

  3. 7.

    Zum Glück höre ich dieses Radio schon lange nicht mehr, schaue eigentlich nur noch YouTube und hier ein bisschen rein und amüsiere mich wie schlimm doch die Welt geworden ist.
    Nur Mist dass ich diesen ganzen korrupten Quatsch zwangsmäßig bezahlen muss.
    Hier für die Zeitung meinetwegen 5 € im Monat okay, aber das auch völlig ausreichend.

  4. 6.

    Gut das das aufgeklärt wird. Als viel größeres Problem empfinden viele meiner Bekannten und ich selbst als jahrelange Radio1 und vorher FRITZ-Hörer dieses unsägliche aufgesetzte Gendersprech einzelner Moderatoren. Immer mehr wenden sich vor allem deswegen von Radio1 ab.

  5. 5.

    Aus dem Zwischenbericht der Kanzlei "In den Jahren 2018 und 2019 wurden abweichend von dem System der variablen Vergütung gemäß dem Konzept Kienbaum Unternehmensziele und Strategische Schwerpunktziele nicht im Verhältnis 50:50 sondern mit einem Schwerpunkt auf den Strategischen Schwerpunktzielen im Verhältnis 40:60 gewichtet. Hierdurch wurde an Frau Schlesinger in den Jahren 2018 und 2019 eine um insgesamt EUR 3.924,73 höhere variable Vergütung geleistet, als dies bei der vereinbarten gleichmäßigen Gewichtung der Unternehmensziele und der Strategischen Schwerpunktziele der Fall gewesen wäre."
    Heßst das, es wurde getrickst, damit es zusätzlich noch mehr Boni gab? Oder war diese Verschiebung als Handlungsspielraum im Konzept enthalten? Wurde diese Verschiebung auch bei den anderen AT-Verträgen angewandt oder nur bei Schlesinger?

  6. 4.

    "wird Schulte-Kellinghaus - in der inzwischen nicht mehr öffentlichen Sitzung - vorläufig zum neuen Stellvertretenden Intendanten ernannt." Natürlich. War nicht anders zu erwarten. Das ist der erste Gipfel der Unverschämtheit des Posten verschieben.
    Na mal sehen, wann, wo und von wem seine erste Leiche ausgegraben wird.

  7. 3.

    Das Verhalten von Frau Schlesinger ist einfach nur als asozial und widerwärtig zu bezeichnen.

  8. 2.

    Essen waren nicht abrechnungsfähig
    Reise nach London "pflichtwidrig" abgerechnet

    dieses pille palle soll Anstoß für eine Reformation des ÖR sein ?

  9. 1.

    Bleibt hart am Gas...!

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