Interview | "Wunschbaum"-Aktion Berlin - "Es gibt mehr Familien, die sich kein Weihnachtsgeschenk leisten können"

Do 22.12.22 | 06:08 Uhr | Von Anne Kohlick
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Ein Papierstern, beschriftet mit dem Weihnachtswunsch nach einer Lichterkette, hängt an einem Tannenbaum (Quelle: rbb/Thomas Ernst)
Bild: rbb/Thomas Ernst

Weihnachten ohne ein einziges Geschenk: Damit das keinem Kind in Berlin droht, erfüllt der Verein "Schenk doch mal ein Lächeln" Wünsche. Winnie Woike-Gilke erzählt, wie das funktioniert - und wie sich die zunehmende Armut in den Weihnachtswünschen spiegelt.

rbb|24: Frau Woike-Gilke, wir erwischen Sie jetzt - wenige Tage vor Weihnachten - in einer sehr stressigen Phase. Was beschäftigt Sie vom Verein "Schenk doch mal ein Lächeln" gerade?

Winnie Woike-Gilke: Wir sind dabei, über 4.000 Weihnachtsgeschenke für bedürftige Kinder in Berlin auszuliefern an die sozialen Einrichtungen, mit denen wir zusammenarbeiten. Das sind zum Beispiel Kitas in sozialen Brennpunkten oder auch Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete. Eigentlich wollten wir schon am Dienstag damit fertig sein - aber durch den aktuellen Krankenstand verzögert sich alles. Wir stemmen das Einpacken und Ausliefern als Ehrenamtliche, nach unseren ganz normalen Jobs.

Zur Person

In diesem Jahr sind durch Inflation und Energiekrise die finanziellen Sorgen in vielen Familien gewachsen. Spüren Sie davon etwas in Ihrer Vereinsarbeit?

Wir merken, dass unsere Aktion größer wird. 2015 - in unserem ersten Jahr - waren es 50 Kinderwünsche, die wir erfüllt haben. Inzwischen sind es Tausende. Das freut uns auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verdeutlicht es auch, dass sich die Lebenssituation von vielen Kindern in Berlin nicht verbessert hat. Es gibt mehr Familien, die sich kein Weihnachtsgeschenk für ihr Kind leisten können. Unser Ziel ist, genau diesen Kindern einen Weihnachtswunsch zu erfüllen.

Seit 2015 organisiert Ihr Verein dafür jährlich in der Weihnachtszeit die "Wunschbaum-Aktion". Wie funktioniert das?

Wir sehen uns als Vermittlungspartner: Wir verbinden Menschen, die Gutes tun wollen mit Kindern, die Gutes benötigen. Dafür bitten wir die sozialen Einrichtungen, mit denen wir zusammenarbeiten, jeweils einen Wunsch einzusammeln bei den bedürftigen Kindern, die sie betreuen. Die Wunschzettel der Kinder gehen wir durch und beschriften jeweils einen Papierstern handschriftlich mit einem Wunsch.

Ein Brettspiel wünscht sich ein Kind mit diesem Weihnachtsstern (Quelle: Schenk doch mal ein Lächeln e.V.)
Rund 4.500 Sterne hat der Verein in diesem Jahr an rund 40 Wunschbäumen in ganz Berlin aufgehängt.Bild: Schenk doch mal ein Lächeln e.V.

Und diese Papiersterne hängen später als Schmuck an den Wunschbäumen?

Genau. Das sind Weihnachtsbäume, die wir dieses Jahr an 18 öffentlichen Standorten in Berlin aufstellen konnten: in Foyers von Rathäusern, Bezirksämtern, Bibliotheken. Da konnte jeder und jede hinkommen, sich einen Wunsch pflücken, das Geschenk besorgen und es unverpackt wieder abgeben. Hinzukommen nochmal rund 20 Wunschbäume in Berliner Behörden und Unternehmen, wo die Beschäftigten Wünsche erfüllt haben.

Insgesamt haben wir in diesem Jahr rund 4.500 Wunschsterne aufgehängt. Da steht dann: Ich bin ein Junge, sechs Jahre alt und wünsche mir Lego-Figuren. Wir achten darauf, dass sich die Wünsche für maximal 25 Euro erfüllen lassen, damit sich möglichst viele Menschen beteiligen können.

Sie haben viele der Sterne selbst beschriftet. Welche Wünsche haben Sie besonders bewegt?

Mich macht es emotional, wenn ich Dinge wie Winterschuhe oder Nuckel für Babys auf die Wunschsterne schreibe. Ich habe selbst eine fünfjährige Tochter und finde es schwer zu verdauen, dass anderen Eltern die finanziellen Mittel fehlen, um solche Selbstverständlichkeiten abzudecken wie Stifte oder Schulranzen.

Sie sind seit 2019 Mitglied beim Verein "Schenk doch mal ein Lächeln". War Ihnen schon vorher bewusst, dass es in Berlin viele Kinder gibt, denen es an so Grundsätzlichem fehlt?

Nein, das hatte ich so nicht auf dem Schirm. Es macht mich einerseits traurig - andererseits zeigt es mir, dass wir mit unserem Verein das Richtige tun. Wir haben in diesem Jahr auch viele Anfragen von Einzelpersonen bekommen - teilweise wirklich verzweifelte Bitten - ob wir den Wunsch ihres Kindes auch erfüllen können.

Unsere Zielgruppe sind die Kinder, für die ohne unsere Aktion sonst nichts unterm Weihnachtsbaum liegen würde.

Winnie Woike-Gilke, Schenk doch mal ein Lächeln e.V.

Was waren das für Eltern? Und wie gehen Sie mit diesen Bitten um?

Da waren auffällig viele Alleinerziehende darunter, Mütter oder Väter, die ihren Job verloren oder gerade Schicksalsschläge erlitten haben - die Partnerin war bei einem ins Koma gefallen. Das ist emotional für mich sehr schwer, diesen Menschen abzusagen - aber wir arbeiten ausschließlich mit sozialen Einrichtungen zusammen, nicht mit Einzelpersonen. Wir vertrauen der Einschätzung professioneller Betreuer:innen, welche Kinder unsere Hilfe nötig haben, wer unterstützenswert ist. Unsere Zielgruppe sind die Kinder, für die ohne unsere Aktion sonst nichts unterm Weihnachtsbaum liegen würde.

Wie sorgen Sie dafür, dass sich die Wünsche auf allen Sternen erfüllen?

Wir rechnen immer mit einer Ausfallquote: also damit, dass Menschen einen Wunschstern pflücken, aber doch kein Geschenk abgeben. Wir planen mit rund 10 Prozent, die fehlen. Dieses Jahr haben die Krankheitswelle und lange Lieferzeiten reingespielt. Aber wir geben jeder sozialen Einrichtung, die bei uns Wünsche einreicht, das Versprechen, jeden einzelnen zu erfüllen. Was am Ende an Geschenken fehlt, besorgen wir Ehrenamtlichen vom Verein und finanzieren das über Spenden.

Der Verein

Ein "Tut-Tut-Flitzer" ist als Wunsch auf diesem Papierstern vermerkt (Quelle: Schenk doch mal ein Lächeln e.V.)
Schenk doch mal ein Lächeln e.V.

"Schenk doch mal ein Lächeln" hat 2015 als Projekt im Familien- und Freundeskreis der Brüder Jamal und Fayez Gilke begonnen - beide sind Schwager von Winnie Woike-Gilke.

Organisiert werden Spenden- und Geschenkaktionen in Berlin, die Hilfseinrichtungen für Kinder, Jugendliche und Obdachlose zugutekommen.

Der Verein hat aktuell rund 50 Mitglieder. Beim Einpacken waren dieses Jahr zusätzlich rund 250 Helfer:innen beteiligt.

Wer unterstützen will, kann sich hier [sdmel.de] melden - schon bevor die Vorbereitungen zur nächsten "Wunschbaum"-Aktion im Herbst 2023 beginnen.

Was für einen Aufwand bedeutet das für Sie und das restliche Kernteam des Vereins?

Es bedeutet für mich, dass ich seit Oktober von morgens bis abends für die "Wunschbaum"-Aktion arbeite - wenn ich nicht gerade meinen Vollzeitjob mache. Am vierten Adventswochenende war ich von 7 bis 22 Uhr im Einsatz, teilweise haben wir noch nachts Geschenke eingepackt. Das ist nur möglich, weil viele Freunde unterstützen, sich die halbe Familie im Verein engagiert: Meine beiden Schwager sind die Gründer und meine kleine Tochter hat die Befestigungen für die Wunschsterne gebastelt.

Was motiviert Sie zu diesem Maß an ehrenamtlicher Arbeit?

Unser Verein heißt "Schenk doch mal ein Lächeln" - und genau das funktioniert mit der "Wunschbaum"-Aktion. Dienstag war so ein Tag, da war ich völlig platt und frustriert, weil gefühlt gar nichts geklappt hat bei der Auslieferung der Geschenke. Aber dann habe ich am Abend die ersten Fotos bekommen von Kindern, denen die sozialen Einrichtungen unsere Geschenke übergeben.

Wenn ich das sehe - diese großen Kinderaugen - dann weiß ich ganz genau, wofür wir es machen. Und wir vom Verein sind es nicht alleine. Möglich werden diese tausenden erfüllten Wünsche nur durch die Tausenden, die mitmachen bei der Aktion, die Geschenke kaufen, uns helfen beim Einpacken, beim Ausliefern. Ja, es ist anstrengend, aber es gibt viel mehr als alles Geld der Welt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview für rbb|24 führte Anne Kohlick.

Sendung: Fritz, 22.12.2022, 07:15 Uhr

Beitrag von Anne Kohlick

41 Kommentare

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  1. 41.

    Tja, im Westdeutschland war es tatsächlich so, es gab für die Kinder keine ganztags Kitas mit Mittagessen , und man konnte tatsächlich, so lange die Kinder klein waren, nicht eine versicherungspflichtige Beschäftigung annehmen.
    Bekanntlich werden Kinder größer und selbstständiger, das Rentenalter beginnt mit 65 Jahren, ergo bekam man, vor der Geburt und danach doch einige Jahrzente zusammen.

    Für die Jungen gibt es nun die Kitas, und die Rentenkasse wird es auch noch geben.

    Übrigens, in die Rentenversicherung zahlt man eigenes Geld ein, um in Rentenalter einen Anspruch zu haben, es sind keine Geschenke von jüngeren Eizahlern.

  2. 40.

    Ich finde diese Aktion einfach toll. Mache fast jedes Jahr mit. Die Kinder können nichts für die Misere in den Familien. Ich habe auch nur n kleines Gehalt. Aber 20 bis 25 Euro bleiben immer übrig. Macht weiter so,vielen Dank an euch ,dass ihr euch so viel einbringt.

  3. 39.

    Ich nehme an, diese Gedanken brauchen sich die Jüngeren nicht mehr zu machen. Für uns wird es voraussichtlich keine Rentenkasse mehr geben, die man belasten könnte. Abgesehen davon, insbesondere die älteren Damen, die sich hier offenbar echauffieren, dass Kindern eine Freude gemacht wird, dürften relativ wenig zum Rentenaufkommen beigetragen haben, von dem sie jetzt profitieren. Wenn sie doch nur 2 oder 3 h arbeiten gehen konnten, wir ja hier zu lesen ist.

  4. 38.

    Da naben Sie wohl einen anderen Beitrag gelesen, oder Sie haben ihn in die eigene Lesart übersetzt, kurzum nicht verstanden.

    Trotz aller bescheidene Verhältnisse reichte es für ein Weihnachtsgeschenk für das eigene Kind, das Anspruchsdenken genüber dem Staat war nicht so ausgeprägt, die Konsum -und Wegwerfgesellschaft, das war noch weit weg.

  5. 37.

    Das sehe ich auch so, allerdings muss dann Kund nicht zwangsläufig Alkoholiker werden, nur weil der Papa das auch war.

  6. 36.

    Das ist schlimm, ist aber doch eher Verwahrlosung - Keine Armut.

    Armut an Liebe und Aufmerksamkeit sicher, aber nicht wirtschaftliche Armut.

  7. 35.

    „wollen“

    Leute die etwas wollen, kriegen etwas auf den Bollen.

  8. 34.

    Die Kinder tun mir leid, wenn sie bereits die 4. Generation von Transferleistungsbeziehern sind. Da helfen auch ein paar kleine Geschenke für die Kinder nichts mehr, da müsste der Weihnachtsmann vielmehr den Eltern die Rute geben!

  9. 33.

    Na dann wollen wir doch mal hoffen, daß Sie, sollten Sie daß Rentenalter erreichen, genug Geld gespart haben um die Rentenkasse nicht zu belasten.

  10. 31.

    Es gibtne Menge Armut hier.

    Kinder die nicht zur Schule gehen ,weil die Eltern lieber Alkohol trinken ,statt Bekleidung zu waschen .

    Kinder die hungern weil die Eltern auf Drogen sind und nichts merken.

    Eltern die so verzweifelt und depressiv sind ,dass sie ihre Kinder im kaputten Kinderzimmer einsperren.

  11. 30.

    Es geht ja nicht um die Erwachsenen.
    Natürlich wollen alle Kinder ein tolles Gescheng haben.

    Wir schenken auch nichts mehr,aber sind ja auch keine Kinder mehr!

  12. 29.

    Armut ist relativ. Natürlich gibt es Länder, in denen elternlose Kinder auf der Straße leben und für ein Stück Brot dankbar sind. Aber dort leben wir nicht. Hier gilt ein anderer Standard.
    Vor 40 Jahren schnitt ich auf Vorschlag meiner damals noch kleinen Tochter aus einem Faltkatalog einen Weihnachtsbaum aus und hängte in an die Zimmertür. Wir kochten uns mit Hühnerflügeln und Suppengrün eine Suppe. Die gekochten Flügel wurden am 1. Feiertag aufgebraten. Meine Tochter hatte sich eine Barby gewünscht. Ich kaufte Second Hand eine ähnlich aussehende Puppe und nähte aus einem alten T-Shirt Kleidung dafür. Es gab einen kleinen Schokoladenweihnachtsmann und Mandarinen. Wir sangen Weihnachtslieder und lasen Geschichten. Das war nicht das Weihnachtsfest, das wir uns gewünscht hatten. Aber wir hatten es warm und ein Dach über dem Kopf und waren glücklich. Mit Kreativität und Bescheidenheit kann man auch mit wenig Mitteln Weihnachten feiern.

  13. 28.

    Ich fühle mich nicht arm aber auch nicht reich,trotzdem verzichten wir auf Geschenke. Gutes Essen lecker zubereitet und Spieleabend. Und Kinder kann man auch mit klitzekleinen Kleinigkeiten erfreuen oder einem Museeumsbesuch: z.B. Naturkunde oder Planetarium. Und da gibt es günstige Eintrittspreise. Der Konsumschwachsinn in unserer Gesellschaft ist armselig.

  14. 27.

    Danke für den bisher einzigen passenden Kommentar zu diesem Thema. Dem ist auch nichts hinzuzufügen. Frohes Fest!

  15. 26.

    Es kann doch auch mal ein Schicksalsschlag dazwischen kommen oder Corona. Vielen hat es ins Geld geschlagen, zumal alles teurer geworden ist. Und nicht alle Angestellten bekommen zusätzliches Weihnachtsgeld.
    Auch Menschen die nicht viel Geld haben möchten auch Kinder bekommen, ist das in Ihren Augen nicht gestattet?
    Ein bisschen mehr Weitsicht, reflektion und Rücksichtnahme wäre in diesem Fall angebracht und kein Urteil.

  16. 25.

    „Früher war nix besser!!“

    Also ist es heute besser, wusste ich es doch.

    Danke

  17. 24.

    Das sind die Seniorinnen: früher war alles besser, wir haben so viel für die heutige Jugend geschaffen… das ich nicht lache. Jedes Jahr ne Rentenerhöhung kassieren (egal ob hohe Rente oder nicht) und die die hier solidarisch sind (Corona, Einzahlung ins System ohne Return) diffamieren und beleidigen. Früher war nix besser! Und es ist schrecklich solche Kommentare zu lesen.

  18. 22.

    Frage mich immer, wenn man so arm ist und keine Rücklagen gebildet hat, warum kann man dann nicht verhüten und läuft mit offenen Augen ins Verderben? Denken die Menschen dann, ach ich werd mal im Lotto gewinnen oder der Staat wird mir meine Kinder schon gut bezahlen? Oder denken die Menschen gar nicht? Ich befürchte ja zweitetes.

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