Unterlagen aus 40 Jahren Bespitzelung - Bundesarchiv startet neuen Anlauf zur Rekonstruktion von Stasi-Akten

Di 31.01.23 | 13:48 Uhr
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Die ehemalige Zentrale der Staatssicherheit.(Quelle:dpa/P.Zinken)
Bild: dpa/P.Zinken

Die Schnipsel von bis zu 55 Millionen Seiten zerrissener Stasi-Akten liegen derzeit im Bundesarchiv. Nun wollen die Beamten das Material mit Computern rekonstruieren lassen. Zuletzt hatte sich das Fraunhofer Institut an dieser Aufgabe versucht.

Mehr als 30 Jahre nach der deutschen Einheit will das Bundesarchiv einen neuen Anlauf starten, Millionen Seiten zerrissener Stasi-Akten mit Computertechnik rekonstruieren zu lassen. Dazu werde der Vertrag mit dem bisher beauftragten Fraunhofer Institut gekündigt, teilte das Bundesarchiv am Dienstag mit. Nun folge eine "Markterkundung" und die Suche nach einem geeigneten Anbieter für die virtuelle Rekonstruktion nach heutigem Stand der Technik.

Beschäftigte des Ministeriums für Staatssicherheit hatten während der friedlichen Revolution in der DDR 1989 und 1990 im großen Stil Akten des Geheimdiensts zerrissen. Rund 15.500 Säcke mit Schnipseln wurden gesichert in der Hoffnung, die zeitgeschichtlich wichtigen Dokumente wieder zusammenzusetzen.

"e-Puzzler" kein durchschlagender Erfolg

Das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) prüfte seit 2007, wie das mit Computertechnik klappen könnte. In einem Test sollten zunächst Schnipsel aus 400 Säcken virtuell wieder lesbar gemacht werden. Obwohl der dafür entwickelte "e-Puzzler" grundsätzlich funktionierte, gab es so viele technische Hürden, dass zunächst nur 23 Säcke mit 91.000 Seiten bearbeitet wurden.

Zum Vergleich: Gleichzeitig wurden auch Dokumente per Hand wieder zusammengesetzt, und das gelang immerhin binnen 20 Jahren bei 1,7 Millionen Seiten aus 600 Säcken. Diese manuelle Rekonstruktion soll in jedem Fall weiter gehen. In das IPK-Pilotprojekt hat der Bund nach Angaben des Archivs seit 2007 rund 6,5 Millionen Euro investiert.

"Im Interesse der Opfer der SED-Diktatur haben wir uns für einen Neuanfang entschieden"

"Leider müssen wir feststellen, dass das anspruchsvolle Forschungsvorhaben zur virtuellen Rekonstruktion unsere gemeinsamen Hoffnungen nicht erfüllt hat", erklärte Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs. "Weil wir den Auftrag sehr ernst nehmen und im Interesse der Opfer der SED-Diktatur vorankommen wollen, haben wir uns für einen klaren Schnitt und einen Neuanfang entschieden."

Es wird angenommen, dass in den bis zu 55 Millionen Seiten aus den Schnipselsäcken wichtige Informationen zur Stasi-Überwachung aus den 40 Jahren DDR-Geschichte stecken. In einigen manuell rekonstruierten Dokumente ginge es zum Beispiel um die Bespitzelung und Verfolgung von Oppositionellen wie Jürgen Fuchs, Robert Havemann oder des Schriftstellers Stefan Heym, erläuterte das Bundesarchiv. Auch Einblicke in die Dopingpraxis des DDR-Sports und die Grenzsicherung seien möglich geworden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 31.01.2023, 14:10 Uhr

16 Kommentare

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  1. 16.

    Wenn man unterstellt, dass die damals wirklich Mächtigen zur Wendezeit 50 und älter waren…? Wie alt sind die dann heute?
    Wollen Sie allen Ernstes behaupten, denen geht es noch um Machterhaltung?

    Und Lederer war damals noch nicht mal volljährig. Ist mir neu, dass der Osten von Minderjährigen regiert wurde. Ich dachte bisher, von Greisen….

  2. 15.

    Gerecht, gerechter, am gerechtesten? Das gibt's gar nicht. Aber sie tun so als ob es das gäbe und gängige Praxis sei. Es gibt nur gerecht oder ungerecht, juristisch wie faktisch. Und lauter Themen in diese spezielle Diskussion hinein zu mogeln, die damit aber auch gar nichts zu tun haben, ist entweder Masche oder Unvermögen. Oder Absicht.

  3. 14.

    Sicher, was glauben sie wie Neuentwicklungen vonstatten gehen.
    Oftmals kommt auch ersteinmal kein brauchbares Ergebnis raus.
    Forschung ist auch immer Risiko-Kapital. Läuft im Silicon Valley auch nicht anders. Ein Teil wird verbrannt, aber wenn ein Pferd ins Ziel läuft, sind die Margen gigantisch.

  4. 13.

    Gewiss, das Vorhaben war technisches Neuland. Aber mußte man erst 6.5 Millionen verbuttern, um zu erkennen, dass das nichts wird?

  5. 12.

    Sie sollten besser einmal die Unterschiede dabei sortieren, dann würde es Ihnen eher klar werden. So wirkt es nur wie Verweigerungshaltung. Erstes Stichwort: Gewaltenteilung, zweites: Demokratie….

  6. 11.

    Da hat wohl jemand Muffensausen das er doch noch erwischt wird.....
    Die Stasispitzel waren nicht besser als die Spitzel der Gestapo.

  7. 10.

    Da würde gleich mehrfach widersprechen. Die Gauck-, Birthler- und schließlich Jahn-Behörde haben nicht unerheblich Steuergelder für die Aufarbeitung verschlungen.
    Die Papierschnipsel vernünftig und in hoher Geschwindigkeit einzuspannen, halte ich für eine große ingenieurstechnische Herausforderung, was nicht heißt, dass man sie mit Gewinnerwartungen wie an der Börse lösen könnte.
    Und schließlich gilt in einem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung bis Gerichte mittels Beweise das Gegenteil feststellen.
    Also Gregor Gysi sieht mir jetzt nicht nach einem Täter aus, aufgrunddessen Opfer berechtigte Entschädigungsansprüche hätten, insbesondere schon deswegen, weil man beii ihm mit der Rettung der SED/PDS eher masochistische als sardische Züge verorten müsste.

  8. 9.

    Schon interessant, was für Kommentare beim RBB blockiert werden. Neuer Versuch.
    Es gibt kein ernsthaftes Interesse an einer Aufarbeitung. Über 30 Jahre später und man redet immer noch über diese Aktenschnipsel. Wenn da die Börsenkurse von morgen drauf stünden, wären sie längst rekonstruiert. Dieses Rekonstruktionstempo ist ein Witz, genau wie die zwei Mark Fuffzig Entschädigung für die paar anerkannten Opfer der SED-Diktatur. Es sind halt noch zu viele Täter am Leben und wie Gregor Gysi und Konsorten haben sie auch nicht wenig Macht, konnten ja auch ungestört ihre Karrieren weiterführen. Nach 45 wollte es auch niemand gewesen sein und gewusst haben.

  9. 8.

    Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun.
    Erstens ist das „e-puzzeln“ eine abstrahierte Problemstellung, deren Lösung mannigfaltig genutzt werden kann.
    Und zweitens sind das wichtige Zeugnisse für die historische Archäologie Ostdeutschlands.
    Geheimdienstlich wertvoll sind da sowieso nur die Schnipselsäcke der HVA, wenn es über deren Arbeit überhaupt noch relevante Aufzeichnungen gibt.

  10. 7.

    Ich war im Visier der STASI. Aber bis heute ist keine Akte aufgetaucht. Wer schon schön, wenn ich auch noch erfahren würde, wer mich angesch...en hat.

  11. 6.

    Ich empfehle, das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK)und das viele Geld für die Aktion sinnvoller einsetzen als im Müll längst vergangener Zeiten zu stochern.

  12. 5.

    Das Ansinnen, die Stasiakten wieder herzustellen, kann ich nur unterstützen.
    Zumal die damalige Kulturstaatsministerin Grütters, durch den Einflüsterer Lederer (sED/Die Linke), diese Aufarbeitung tropedierte. Zuviel steht für die viermal umbenannte SED auf dem Spiel, zuviele "alte" Genossen bangen um ihre Stellung, ihrer Macht, dem Einfluß und dem Geld.

  13. 4.

    Wir sind über 30 Jahre nach der Vereinigung. Haben wir keine anderen Probleme in diesem Land.
    Wird auch die Bundesdeutsche Vergangenheit auf gearbeitet da war ja auch nicht alles Gold.

  14. 3.

    Mit welchem Ergebnis sind die ersten 20 Jahre Puzzelei abgeschlossen worden, welche neuen Erkenntnisse wurden gewonnen? Das ganze erscheint als ABM Maßnahme für offenbar Jahrhunderte mit keinen nennenswerten Ergebnissen.
    Alles pure Geld und Arbeitskräfteverschwendung. Passt in eine Zeit wo behörden dringend Personal suchen.

  15. 2.

    Wenn in 20 Jahren 600 Säcke per Hand zusammengesetzt wurden, schafft man jährlich 30 Säcke. Wenn noch fast 15000 Säcke warten, ist das ein sehr sicherer Job für die nächsten 400 Jahre. Aber je weiter die Wende zurückliegt, je mehr stellt sich die Sinnfrage und bezahlen muß es auch jemand. Gehen dort wirklich täglich Menschen zur Arbeit und puzzeln zerrissene A4-Blätter zusammen?

  16. 1.

    Eine Aussage geht fast im Technikglauben unter: Das man von Hand schneller und eventuell sogar billiger vorankommt. Das ist so überraschend auch nicht. Mit welchem Ziel genau? Will man denn Entschädigungen an wem noch zahlen? Will man "Berufs/Tätigkeitsverbote" für die "Kleinen" (Die "Großen" gibt es ja nicht mehr unter 65) unendlich lange aussprechen? Geht das überhaupt nach dem Grundgesetz unendlich lange? Ohne zu relativieren: Ist es nicht gerechter, wenn für Chancengleichheit eingetreten wird? Wenn gleich bezahlt und eingestuft wird? Bei gleichen Stundenzahlen? Die Ausbildungen besser gewürdigt werden? Und die Kinder der Opfer, oder besser Alle, gleiche Chancen mit anerkannten statt belächelten/abgewerteten Zeugnissen/Abschlüssen erhalten?

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