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Video: rbb24 | 16.10.2023 | Nachrichten | Quelle: picture alliance/ZUMAPRESS/M.Kuenne

Bilanz vom Sonntag

Dutzende Festnahmen, Strafanzeigen und verletzte Beamte bei Pro-Palästina-Demo

127 Festnahmen und zahlreiche Strafanzeigen - das ist die Bilanz der ausgeuferten pro-palästinensischen Demo am Sonntag in Berlin. Polizeipräsidentin Slowik spricht von "unerträglichen Bildern, die wir gerne verhindert hätten".

Bei der verbotenen pro-palästinensischen Demonstration am Potsdamer Platz in Berlin am Sonntagnachmittag hat es dutzende Festnahmen und Strafanzeigen gegeben. Wie die Polizei am Montag mitteilte, kam es insgesamt zu 127 Freiheitsbeschränkungen beziehungsweise Freiheitsentziehungen, 76 Straf- und 68 Ordnungswidrigkeitenverfahren.

Zuvor hatte die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses von 155 Festnahmen gesprochen. Laut Slowik waren gut 800 Polizeibeamte im Einsatz. 24 von ihnen seien verletzt worden, so Slowik, die meisten bei Widerstandshandlungen, sieben bei einem Reizgas-Einsatz.

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Zustrom zur Demo mit "nicht gekannter Dynamik"

"Wir hätten diese unerträglichen Bilder am Potsdamer Platz gerne verhindert", sagte Slowik. Erst im Laufe des Sonntagnachmittags sei in der Community intensiv über das Internet und Chat-Kanäle für die eigentlich kleine Demonstration zum Israel-Konflikt geworben worden. Dann habe es einen heftigen Zustrom von Menschen zum Potsdamer Platz gegeben, woraufhin die Polizei die bis dahin nicht untersagte Demonstration dann doch verboten habe.

Etwa 500 Personen seien mit einer bisher nicht gekannten Dynamik und Schnelligkeit auf den Potsdamer Platz geströmt, so Slowik. Schnell waren es dann etwa 1.000 Menschen, die sich versammelt hatten.

Eine erfahrene Polizistin habe gesagt, eine solche Dynamik des Zustroms habe sie noch nie erlebt. Berlin habe eben eine sehr große "gewachsene palästinensische und arabische Community", so Slowik. "Es gibt in Berlin Stadtteile, das ist auch richtig so, die eine große Community haben, die vielleicht größer ist als manche Stadt in Deutschland."

Wasserwerfer-Einsatz in Erwägung gezogen

Die Polizei habe dann versucht, die Demonstration aufzulösen. Demonstranten wurden von Beamten angesprochen, die Szenerie zu verlassen. Auch per Lautsprecherdurchsagen wurden die Teilnehmer des pro-palästinensischen Aufzugs aufgefordert, den Potsdamer Platz zu verlassen. "Im weiteren Verlauf wurden die ausgesprochenen Platzverweise mittels einfacher körperlicher Gewalt in der Form von Schieben und Drücken durchgesetzt. Dabei kam es vereinzelnd zu Flaschenwürfen und zum Werfen von Pyrotechnik auf die Einsatzkräfte", hieß es in einer Pressemittelung der Polizei.

"Gegen 18.30 Uhr kam es zu tätlichen Angriffen auf Polizeibeamte, die durch den Einsatz eines Reizstoffsprühgerätes von den Kräften abgewehrt wurden", hieß es weiter. Wegen der aggressiven Stimmung sei ein Wasserwerfer zu der Demonstration gefahren. Wegen der Gefahr der Eskalation und auch weil viele Kinder und Kinderwagen dort waren, sei er nicht eingesetzt worden.

Beim Abzug der Demo sei es nach Polizeiangaben gegen 19:30 Uhr in der Stresemannstraße zu einer Bedrohunglage gekommen. "Gäste eines jüdischen Restaurants beobachteten mehrere Unbekannte, die sich dem Restaurant genähert und die Fensterscheibe bespuckt sowie gegen diese getreten haben sollen. Des Weiteren sollen die Personen über Handgesten ein Maschinengewehr imitiert und auf das Restaurant gezielt haben", hieß es in der Mitteilung. Als alarmierte Einsatzkräfte eintrafen, waren die Unbekannten nicht mehr am Ort. Es konnte kein Schaden an der Fensterscheibe festgestellt werden.

Polizei will in Zukunft auf der Hut sein

Als eine Reaktion will die Berliner Polizei noch genauer als bisher prüfen, welche pro-palästinensischen Demonstrationen verboten werden und welche nicht, kündigte Polizeipräsidentin Slowik an. Sie sagte dem rbb, die Polizei sei jetzt "natürlich deutlich mehr auf der Hut, ob Veranstaltungen als Trittbrette genutzt werden."

Slowik betonte gegenüber dem rbb aber auch, dass die Versammlungsbehörde "gewillt" sei, Veranstaltungen zuzulassen, wenn es keinerlei Hinweise gebe, dass dort Straftaten, Gewaltverherrlichung oder antisemitische Hetze stattfinde. "Wenn wir zunehmend den Eindruck haben, dass es kaum zu verhindern ist, dass Potential zuströmt, das Straftaten verübt, dann werden unsere Ermessensspielräume immer enger," so Slowik.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ergänzte im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses, dass die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in einem Rechtsstaat ein hohes Gut sei. "Das müssen und werden wir natürlich auch zukünftig sehr klar beachten," unterstrich Spranger.

Vertreter Palästinas kritisiert Kundgebungsverbote

Der Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, kritisierte die Einschränkungen für palästinensische Kundgebungen. "Ich bin zutiefst besorgt über die übertriebene Reaktion auf eine friedliche Antikriegsdemonstration gestern in Berlin", hieß es in einer Stellungnahme Arafehs vom Montag. "Free Palestine" sei ein Aufruf zur Beendigung der israelischen Besatzung und zur Wahrung der Menschenrechte, fügte er hinzu.

Auswirkungen der Nahost-Krise werden Berlin noch mehr treffen

Zur Lage in der Stadt insgesamt sagte Slowik, die Polizei schütze mit 400 Objektschützern aktuell 100 israelische und jüdische Einrichtungen. Zur Stunde lägen keine Hinweise vor, dass Angriffe auf diese Einrichtungen geplant seien.

Die Auswirkungen der aktuellen Nahost-Krise werden Berlin nach Einschätzung der SPD in nächster Zeit aber noch mehr und stärker treffen als bisher. "Hier bei uns werden die schwierigsten Momente sicher noch kommen, die haben wir noch nicht gesehen", sagte der Berliner SPD-Innenpolitiker Martin Matz am Montag dem rbb. Matz forderte, auch Hassäußerungen und Antisemitismus im Internet zu verfolgen. Portale wie Tiktok seien kein rechtsfreier Raum, gegen manche verbotene Äußerungen von bekannten Nutzern dort müsse konsequent vorgegangen werden.

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Spranger will konsequent ausweisen

Auf die Frage des AfD-Abgeordneten Karsten Woldeit, ob unter den Demonstrations-Teilnehmern am Sonntag auch ausreisepflichtige Personen und bekannte Straftäter gewesen seien, antwortete Innensenatorin Spranger: "Wir werden konsequent ausweisen, wenn wir ausweisen können."

Die rechtlichen Grenzen für Abschiebungen sind allerdings eng. Wenn ein Ausländer eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" ist, so sieht es das Aufenthaltsgesetz vor, kann ausgewiesen werden. Das gilt vor allem für Straftäter, wenn sie rechtskräftig verurteilt sind.

Die Taten müssen aber ein bestimmtes Gewicht haben. Gewalt auf einer Demonstration kann dazugehören. Schwere Straftaten gegen das Leben, Körperverletzung, auch Angriffe auf Polizeibeamte wiegen besonders schwer. Einfach nur an einer verbotenen Demonstration teilzunehmen reicht nicht aus.

Spranger betonte zudem: "Wir haben viele arabischstämmige Familien in der Stadt, die nichts mit der Hamas zu tun haben wollen. Das dürfen wir nicht vergessen." Sie würden auch Signale geben, dass sie versuchen, einzuwirken gegen extremistische Bestrebungen. Spranger betonte: "Wir müssen in Kitas und Schulen massiv Aufklärung betreiben."

Sendung: rbb 88.8, 16.10.2023, 11:30 Uhr

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