Zu wenige Corona-Tests - Amtsarzt hält Berliner Infektionszahlen für unterschätzt

Sa 28.03.20 | 17:37 Uhr
Patrick Larscheid, Amtsarzt im Berliner Bezirk Reinickendorf. (Quelle: dpa/Paul Zinken)
Bild: dpa/Paul Zinken

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Der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid geht nach eigener Aussage davon aus, dass die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Berlin deutlich höher sind als die offiziellen Infektionszahlen. "Der Fallzahlanstieg kann ja nur so groß sein, wie die Testkapazität ist", sagte er am Samstag der Nachrichtenagentur DPA. "Das ist der Knackpunkt. Die Tests in Berlin sind weiter auf 2.000 am Tag limitiert. Der Bedarf geht aber darüber hinaus." Für eine Abschätzung, ob Schutzmaßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen wirkten, ist es nach Larscheids Meinung allein wegen dieser unsicheren Datenlage noch viel zu früh.

"Denkfehler" bei offiziellen Fallzahlen

In Berlin waren mit Stand von Freitagabend offiziell 2.152 bestätigte Coronavirus-Infektionen registriert, darunter acht Todesfälle. Um welchen Faktor die Fallzahlen unterschätzt sein könnten, sei auch ihm unklar, sagte Larscheid. "Wir haben in Berlin im Moment schätzungsweise eine Steigerung von 200 bis 400 Fällen täglich. Aber aufgrund der begrenzten Testkapazitäten sehen wir die nicht alle in der Statistik. Das ist das Problem.“

Deshalb sei in Vergleichen der prozentualen Steigerungen auf Basis der offiziellen Berliner Fallzahlen "ein Denkfehler", ergänzte er. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales hatte am Donnerstag mit Blick auf die Vorwoche bereits einen Rückgang der prozentualen Steigerungen errechnet. 

Zahl der Labore begrenzt

Für mehr Tests brauche man einfach mehr Geräte und Reagenzien, sagte Larscheid. "Aber da sind wir marktabhängig. Das sind Dinge, die sind so speziell, die wachsen nicht aus dem Boden." Weiterhin führten in Berlin nur einzelne Labore und das Robert Koch-Institut diese Tests durch. "Da kann man nicht einfach andere mitmachen lassen. Wir brauchen die Hardware und bestimmte Reagenzien, die im Bereich dieser Diagnostik auch nicht einfach hektoliterweise hergestellt werden können." Die Gesundheitsverwaltung von Senatorin Dilek Kalayci (SPD) habe 10.000 Tests pro Tag angekündigt. "Frau Kalayci war aber so klug, den Zeitraum dafür offenzulassen."

Dennoch sei es in Reinickendorf weiter gut möglich, Kontaktpersonen zu erfassen und nachzuverfolgen, betonte Larscheid. "Wir können, wollen und müssen das auch leisten - bis wir umfallen. Weil es nach wie vor die beste Methode ist, die Ausbreitung zu verzögern", urteilt Larscheid. Bislang seien rund ein Viertel der Tests bei engen Kontaktpersonen positiv.

Doch auch bei der Nachverfolgung könnten nicht alle potenziellen Virusträger getestet werden. "Wenn wir einen Berg vor uns herschieben, den wir am ersten Tag nicht schaffen, dann können wir ihn am zweiten Tag noch viel weniger abarbeiten -  weil der nächste Berg vom zweiten Tag dazugekommen ist", erläuterte Larscheid. Eine Zeitachse für seriöse Schätzungen, wie sich die Pandemie in Berlin entwickelt? "Fragen Sie mich das Anfang Mai."

"Ein großes Problem sind die Pflegenden"

In allen Berliner Bezirken sind nach Larscheids Angaben inzwischen auch einzelne Alten- und Pflegeheime von der Pandemie betroffen. Müsste es dort noch strengere Maßnahmen zur Eindämmung geben? „Wir sind nicht weit von einem Besucherstopp entfernt. Ausnahmen sind eigentlich nur noch Sterbende", sagte er. 

"Ein großes Problem sind die Pflegenden. Sie tragen den Erreger auch hinein. Und auf sie können wir ja nun schlecht verzichten." Einen Fall wie Würzburg mit zwölf Toten in einem Seniorenheim habe Berlin zum Glück noch nicht. "Aber wegen der miserablen Ausstattung mit Barrieremaßnahmen und auch Basishygienemaßnahmen schon im Normalfall kann sich so etwas an jedem Ort in Deutschland wiederholen", ergänzte er. "Es ist nicht so, dass in Würzburg auffällig große Fehler gemacht wurden."

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