#Wiegehtesuns | Die Friseurmeisterin - "Der Mindestlohn ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein"

Sa 01.10.22 | 11:21 Uhr
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Symbolbild: Eine Friseurin föhnt einer Kundin in Berlin die Haare. (Quelle: dpa/B. Pedersen)
Video: rbb|24 | 30.09.2022 | Material: rbb24 Brandenburg aktuell | Bild: dpa/B. Pedersen

Zum 1. Oktober steigt erneut der Mindestlohn. Friseursalon-Betreiberin Anja Sieminiak bringt das mitten in der Energiekrise in einen Zweispalt: Gerne möchte sie ihren Mitarbeiter:innen mehr zahlen, doch für ihr Geschäft bedeuten die Ausgaben eine zusätzliche Belastung.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Anja Sieminiak ist Friseurmeisterin aus Leidenschaft. In Strausberg betreibt sie ihren eigenen Friseur- und Kosmetiksalon "La Belle Poule". Insgesamt hat sie vier Mitarbeiter:innen.

Ein Bild von Friseurin Anja Sieminiak aus Strausberg. (Bild: rbb)
Bild: Friseurin Anja Sieminiak aus Strausberg (Bild: rbb)

Die Erhöhung des Mindestlohns ist gut für meine Mitarbeiter. Aber es hebt ja nicht das auf, was auf der Inflation auf der anderen Seite passiert. Im Prinzip ist das lächerlich - ein Tropfen auf den heißen Stein. Die [Mitarbeiter:innen, Anm.d.Red.] haben im Endeffekt gar nichts davon, so wie die Entwicklung ist. Ganz im Gegenteil: Im schlimmsten Fall kommen sie noch in die neue Versteuerung und haben dann sogar weniger als vorher.

Ich bin der Meinung, dass die Mitarbeiter, die arbeiten gehen und fleißig sind und zuverlässig sind, sogar viel mehr verdienen müssen, wenn's technisch möglich ist. Wenn's gehen würde, würde ich meinen Mitarbeitern sofort 25 oder 30 Euro die Stunde zahlen. Das würde schon gehen, aber die Frage ist natürlich, ob der Endverbraucher für seinen Haarschnitt dann 400 oder 500 Euro bezahlen würde.

Es ist ja nicht nur der Mindestlohn mit seinen Nebenkosten, die dazu kommen. Daraus folgend ist ja bei der Lohnerhöhung, dass zum Beispiel die Berufsgenossenschaft angehoben wird. Wir haben ja Umsatz dadurch [wenn wir die Kosten erhöhen, Anm.d.Red.]. Das heißt also, auch mein Anteil Berufsgenossenschaft wird erhöht.

Die Umlage wird im Handwerk circa mal 3,8 gerechnet. Wir sind jetzt bei einer Erhöhung von 1,52 Euro pro Stunde. Dann sind wir also bei circa sechs Euro in der Stunde - mit Abgaben, Berufsgenossenschaft, Versicherung und alles was bezahlt werden muss. Und das heißt für mich, dass neu kalkuliert werden muss. Letzten Endes muss der Endverbraucher die Kosten irgendwie auferlegt kriegen.

Die Kosten gehen ja auch weiter. Energie wird reingeschoben, Gasgrundkosten werden teurer. Die Lieferanten sind alle schon teilweise teurer zum 1. September. Also das ist eine Spirale, die sich hochdreht.

Natürlich ist man bisschen frustriert, dass man nicht mehr dagegen machen kann. Dass einfach bestimmte Konzerne oder so jetzt unser Leben gerade im Griff haben. Man würde schon gerne auch die Geringverdiener weiter als Kunden behalten. Das ist aber nicht möglich, weil irgendwelche Konzerne nicht genug kriegen können. Es muss einfach anders gedeckelt werden, bin ich der Meinung: entweder an der Einkommenssteuer, an der Mehrwertsteuer - da werden alle gleichberechtigt dann. Es kann nicht sein, dass immer nur einzelne Bereiche verdienen an allen.

Ich werde jetzt nicht die Preise anheben und meinen Kunden sagen, sie sollen ein Handtuch mitbringen, dürfen hier nur noch bei 19 Grad sitzen. Das wird nicht passieren. Wenn's nicht mehr geht, muss man darüber nachdenken, ob es Konsequenzen gibt.

Natürlich gibt es bestimmte Grundgedanken. Also man kann ja mit der Öffnungszeit spielen. Es gibt hundert Pläne in meinem Kopf, aber die werden erst nach vorne geholt, wenn es wirklich Schadensbegrenzung sein soll.

Die Frage ist, wie weit tragen die Kunden das mit - beim Einkaufen, beim Friseur, Kosmetik. Und dann kann man auch erst reagieren.

Das Gespräch führte Marie Stumpf.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 30.09.2022, 19:30 Uhr

13 Kommentare

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  1. 13.

    Also ich laß nur die Kopfgärtnerin meines Vertrauens an meine Rübe. Auf Haarakiri im Irgendwo hab' ich keine Lust, freue mich jedoch immer auf ein Kämmback an gewohnter Stelle.

  2. 12.

    Die Erkenntnis kommt von meinen mir bekannten Friseuren, bestätigt auch hier

    https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/barbier-friseur-woche-des-handwerks-100.html

  3. 11.

    Ein Haarschnitt für 500 € ist doch gar nicht so abwegig und wäre auch noch preiswert ! In der Inflationszeit 1923 hat ein Brot mehrere Milliarden gekostet. Angesichts der wahnsinnigen Schuldenaufnahme durch politische Hasadeure und die verfehlte Geldpolitik der Notenbanken, könnten diese " Sondervermögen " in gar nicht allzu ferner Zukunft für 'n Appel und 'n Ei zurückgezahlt werden. Ist dieses Szenario realistisch ober volkswirtschaftlicher Unsinn , dies als eigentlich geniale Lösung zu bezeichnen ?

  4. 10.

    Das die Höhe der Trinkgelder massiv zurückgegangen ist. bemerken auch die Friseure. Außerdem ist die Steuerfreiheit bei Trinkgeldern begrenzt.

    Wenn der Stundenlohn in dieser Branche massiv steigt, müssen viele Salons schließen. Ein Herrenhaarschnitt für 45 Eur ist nicht zu verkaufen

    Wenn man grob kalkuliert, sind sogar die 12 Eur Mindestlohn nur bei mindestens 3 Kunden pro Stunde machbar

  5. 9.

    " Wer aber ohnehin zum Einkauf fährt .. "

    stimmt, habe ich nicht bedacht

  6. 8.

    Wer aber ohnehin zum Einkauf fährt und dann noch tankt, geht eben auch noch zum Friseur. Die Salons sahen jedenfalls recht voll aus. Das wurde auch im Kommentar des rbb bestätigt. Es fahren ja auch viele Berliner, das ist noch weiter.

  7. 7.

    " So weit ist Strausberg ja nicht von Slubice entfernt "

    so ca 70Km , also Hin-und Rück um die 140 Km, bei den Benzinpreisen spielt das schon eine Rolle

  8. 6.

    Woher nehmen Sie die Erkenntnis, dass Mitarbeiter in Barbershops keine Ausbildung haben?

    Die Mitarbeiter können oft besser Haare schneiden und rasieren als ein deutscher Salon

    Übrigens ist die Nähe zu Polen ein wichtiger Punkt

    Man kann die Erhöhungen nicht voll umlegen.

  9. 5.

    Warum soll ein Stundenlohn von 25 Euro den Haarschnitt plötzlich 300 Euro kosten lassen? Was für eine unsinnige Polemik. In kenne Friseure persönlich. OTon: „ich muss aufgrund des Trinkgeldes nie am Automaten Geld ziehen. Da kommt nämlich einiges zusammen.“ So dramatisch ist es nicht. Fazit: wenn alle Friseure mitziehen, warum nicht die Preise einem höheren Lohn anpassen? Übrigens haben (im Gegensatz zu Friseuren) alle Barbershops Mitarbeiter null Ausbildung und können daher unterbieten.

  10. 4.

    Da haben Sie wirklich Recht.
    V.a. frage ich mich, wie diejenigen, die in ihrem Berufsleben nicht oder kaum in die Nähe gerechter Entlohnung kamen (aber eine /mehrere Qualifizierungen mit Anerkenntnisfähgkeit) vorzulegen hatten, damit es überhaupt zu einer Einstellung kam, damit umgehen sollen. Zu meinen Zeiten waren nicht einmal ein universitärer Abschluss 'höheren' Geldes wert. Dafür wurde davon gesprochen, "der Nächste stehe schon vor der Tür". Trotzdem habe ich es aus jahrelanger Beschäftigung im prekären Entlohnungsbereich in eine höhere Gehaltsebene geschafft. Nur war dann die Zeit bis zur Rente nicht mehr ausreichend genug, um noch wesentl. Points zu machen.
    Die ganze Misere jetzt, zeigt doch, dass man gar nicht so viel arbeiten kann, um mal auf den grünen Zweig zu kommen bzw. wird bewusst, was so sti-no Handgriffe im Alltag dann im fortgeschritt. Alter wirklich mit "wieviel" zu bezahlen sind.

  11. 3.

    Das kann ich nur bestätigen ich sehe viele Deutsche Frauen die zu den Friseursalons in Polen gehen immer voll dort.
    Bin des öfteren mal in Slupice und immer dasselbe alles voll dort.

  12. 2.

    Mindestlohn + Trinkgeld = unsozial ungerecht... gegenüber den rentenwirksamen Einzahlungen anderer Qualifizierungsanstrengungen.

  13. 1.

    Einen Punkt hat die Meisterin nicht erwähnt: Die Nähe zu Polen. Wie rbb neulich berichtete, nutzen viele Besucher der Märkte die Gelegenheit zu einem Friseurbesuch. Die Preisdifferenz zu D soll gross sein. So weit ist Strausberg ja nicht von Slubice entfernt

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