Brandenburgs Freie Wähler vor dem Wahljahr 2024 - Orange Kraft mit viel Ego

So 24.09.23 | 14:25 Uhr | Von Thomas Bittner
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Peter Vida, Fraktionsvorsitzender BVB/Freie Wähler, spricht während der Sondersitzung des Brandenburger Landtages
Bild: dpa/Soeren Stache

Die Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen und Freien Wähler wollen sich am Sonntag auf die Kommunal- und die Landtagswahl 2024 einstimmen. In Bernau wird über Kandidaten und Themen abgestimmt. Wer sind BVB/Freie Wähler? Eine Analyse von Thomas Bittner

  • Freie Wähler streben Wahlziel 8 Prozent an
  • Kandidierende in allen 44 Wahlkreisen
  • Zentralversammlung stimmt über Thema einer Volksinitiative ab

In Bernau im Landkreis Barnim wollen die Vertreter von Brandenburgs Bürgerinitiativen am Sonntag entscheiden, mit welchen Themen und mit welchen Kandidaten BVB/Freie Wähler in den Landtagswahlkampf 2024 gehen. Dass man sich in Bernau trifft, dürfte kein Zufall sein. Bernau ist die Herzkammer der Vereinigung. Hier hat sie 2019 mit Péter Vida ein Direktmandat im Landtag gewonnen. Hier stellt die lokale Wählergruppe die stärkste Fraktion im Stadtparlament. Hier lebt der Landesvorsitzende Vida mit seiner Familie.

Erste Vereinigung, die ihr Personal zur Landtagswahl festlegt

Für die bei BVB versammelten Bürgerbewegungen ist das Wahljahr 2024 in doppelter Hinsicht entscheidend. Denn die gut 150 Wählergruppen sind meist kommunalpolitisch engagiert, die Kommunalwahlen im Juni sind das erste Etappenziel. Aber auch landespolitisch will man wieder mitmischen. Zur Landtagswahl kündigt man Direktkandidaten in allen 44 Wahlkreisen an. Auch die Landesliste soll am Sonntag beschlossen werden. Damit ist BVB/Freie Wähler die erste Vereinigung, die ihr Personal zur Landtagswahl festlegt. Viele Parteien wollen erst im nächsten Frühjahr ihre Kandidaten auf den Landeslisten küren.

Kooperation mit Bundesverband der Freien Wähler

Der Name und auch das Konstrukt der Vereinigung sind verwirrend. Im Landtag wird sie als politische Vereinigung wie eine Partei betrachtet, sie bekommt Wahlkampfkostenerstattung analog zur Parteienfinanzierung der anderen Landtagsparteien. Vor Ort in den Kommunen verstehen sich die Gruppen als Listenvereinigungen. Auch wenn sie den Namen "Freie Wähler" in ihrem Titel tragen, gehören BVB/Freie Wähler nicht zum Bundesverband der Freien Wähler mit dem Vorsitzenden Hubert Aiwanger. Doch man kooperiert miteinander.

Bundes- und europapolitische Ambitionen haben die Brandenburger nicht, man kommt sich nicht gegenseitig ins Gehege. Der Name "Freie Wähler" ist nicht geschützt, jede Gruppierung kann sich so nennen. Ohne Bundesverband im Rücken kann sich die vom Landtagsfraktionschef Péter Vida unangefochten geführte Brandenburger Organisation ziemlich autark bewegen. Jüngst wurde das Logo geändert. Die Orange ist als Frucht zum Markenzeichen der Brandenburger BVB/Freie Wähler erklärt worden. Sie soll zum Synonym für "gesunden Menschenverstand" und "gute Abwehrkräfte" werden.

Als "gesunde Kraft der Mitte" sieht sich Vidas orange Truppe. Was die über 150 Gruppen im Land eint, ist der Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung, nach direkter Demokratie. Denn mit Bürgerprotesten, Unterschriftensammlungen und Volksinitiativen haben sich die Bürgerbewegten einen Namen gemacht. Als größter Erfolg dürfte die Volksinitiative zum Ausbau der Straßenausbaubeiträge gelten. Noch vor der Landtagswahl 2019 schaffte die damalige rot-rote Regierung die Beiträge ab, nachdem die Freien Wähler über 108.000 Unterschriften beim Landtag präsentierten.

Mitte bei BVB/Freie Wähler manchmal schwer auszumachen

Das Spektrum der Interessen ist breit, manchmal widersprüchlich. Vom Kampf gegen Erschließungs- und Ausbaubeiträge über die Ablehnung neuer Windräder bis hin zum Protest gegen den Flughafen finden sich viele, die man vor Jahren noch als "Wutbürger" bezeichnete, in den Reihen der BVB. Aber auch Sportvereine, Baumfreunde und ein Fastnachtsverein gehören dazu.

Wo genau die Mitte ist, kann man manchmal schwer ausmachen. Als sich die Forster Genossen der Linkspartei mit der Landespartei überwarfen, weil ihre Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung mit der AfD kooperierte, führte das zum Parteiausschluss. Danach nannte sich die Fraktion in "Unabhängig links" um. Inzwischen ist "Unabhängig links" dem Landesverband von BVB/Freie Wähler beigetreten.

Aber auch ehemalige CDU-Mitglieder wie die populäre Tierärztin Sabine Buder, die im Bundestagswahlkampf nur knapp im Wahlkreis scheiterte und sich auch mal um den Job des CDU-Parteivorsitzenden bewarb, wechselten zu den Orangen. Sabine Buder soll das Zugpferd in Péter Vidas Barnimer Nachbarwahlkreis werden. Mit Parteiwechslern hat BVB gute Erfahrungen gemacht. Als der bekannte langjährige SPD-Landtagsabgeordnete und Flughafenrebell Christoph Schulze 2014 zu den Freien Wählern wechselte, verschaffte er mit seinem Direktmandat der kleinen Organisation mit drei Abgeordneten den Einzug in den Landtag. Die Abgeordneten verstritten sich später heftig, in den Reihen der Gruppierung sind auch unversöhnliche Egos versammelt.

Kleinste Fraktion mit fleißigsten Rednern

Seit 2019 sind durch den Wahlerfolg von fünf Prozent die Freien Wähler in Fraktionsstärke im Parlament vertreten. Als kleinste Fraktion haben sie mit fünf Abgeordneten ein großes Pensum abzuarbeiten. Der Abgeordnete Philip Zeschmann stand seit der Wahl schon 349 Mal am Rednerpult. Er ist damit der "Rednerkönig" im Landtag. Auf Platz zwei folgt ihm Péter Vida mit 275 Wortmeldungen.

Die Fraktion erweist sich als besonders hartnäckig, wenn es gilt, Missstände aufzudecken. Im rbb-Untersuchungsausschuss gehört Péter Vida zu den hartnäckigsten Fragestellern, nicht selten zum Unmut anderer Fraktionen. Aber neben Frontalopposition versucht die Fraktion auch, sich für eine mögliche neue Regierungskonstellation in Stellung zu bringen.

In jüngster Zeit hat CDU-Chef Redmann mehrfach betont, nach der nächsten Wahl nicht mehr mit Grünen und auch nicht mit der Linken regieren zu wollen. Das macht BVB/Freie Wähler für eine Koalitionsfindung interessant. Acht Prozent der Wählerstimmen ist das erklärte Ziel. Im letzten BrandenburgTrend des rbb von infratest dimap lagen die Freien Wähler bei sechs Prozent, im April waren es noch fünf. Der Trend geht nach oben.

Altersdurchschnitt bei Wählern liegt höher

Wie muss man sich die Anhängerschaft der Organisation vorstellen? Sie ist älter als der Durchschnitt, in der Gruppe der 50- bis 64-Jährigen ist der Zuspruch am größten. Männer wählen sie häufiger als Frauen. 75 Prozent sind mit der Landesregierung unzufrieden, im Landesdurchschnitt geben das nur 57 Prozent an. Offensichtlich sind die Anhänger auf der Suche nach Alternativen zu den etablierten Parteien. Aber auch mit der AfD fremdeln viele. Drei Viertel der Anhänger haben Probleme mit rechtsextremen Positionen in der AfD, aber ein Drittel kann sich die AfD auch problemlos als Teil einer Landesregierung vorstellen. 54 Prozent wiederum finden die Idee einer Wagenknecht-Partei gut.

Mitte zwischen Grünen und AfD

Mit rechtspopulistischen Ausfällen wie bei Freien Wählern in anderen Bundesländern ist die Brandenburger Organisation bisher nicht aufgefallen. Das bemerkte auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Er sei den Freien Wählern "wirklich dankbar" dafür, dass sie sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus wenden, sagte er jüngst im "Nordkurier". Ob das schon ein Blinken in Richtung Koalition war?

Péter Vida selbst sieht seine Orangen in der Mitte zwischen den Polen AfD und Grünen. Er setzt bei der Unzufriedenheit mit den Regierenden an. Auf der Zentralversammlung soll darüber abgestimmt werden, welches Thema per Volksinitiative zum Topthema gekürt wird. Eine Art Themen-Casting ist zu erwarten. Ob es der öffentliche Nahverkehr, die Gesundheitsversorgung oder Erschließungsbeiträge für neue Straßen werden, entscheidet die Mehrheit der Versammlung. Das ist ungewöhnlich und offenbart das Themenhopping, mit dem sich die Sammelbewegung Aufmerksamkeit zu verschaffen sucht. Im Landtag geht es mal um die Anerkennung des brandenburgischen Karnevals als Kulturgut, mal um kostenlose Menstruationshygieneartikel an Schulen, mal um die Anerkennung des Hahnenschreis auf dem Misthaufen als Sinneserbe.

Dass ihm mitunter Populismus vorgeworfen wird, hält Vida für eine Schmähung. Er mache ja nicht bei der Problembeschreibung Halt, sondern biete Lösungen und Kompromisse an. Wie diese aussehen könnten, wird man am Sonntag in der Bernauer Stadthalle erleben können.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 24.09.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

10 Kommentare

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  1. 10.

    Schade eigentlich, wenn sie Teil der Freien Wähler währen würde ich eher meine Stimme für sie abgeben. So ist das ein undurchsichtiger Regionalverein.

  2. 9.

    Schade eigentlich, wenn sie Teil der Freien Wähler währen würde ich eher meine Stimme für sie abgeben. So ist das ein undurchsichtiger Regionalverein.

  3. 8.

    Bitte nicht die Orangen BvB/Freie Wähler mit der Bundespartei Freie Wähler verwechseln. Sie unterstützen sich gegenseitig und die Freien Wähler verzichten auf eine eigene Präsenz in Brandenburg, aber es sind zwei komplett verschiedene Dinge. Die Freien Wähler unter Aiwanger sind eine Bundespartei, die BvB/Freien Wähler sind eine unabhängige politische Organisation und explizit keine Partei und nicht der Bundespartei Freie Wähler zugehörig. Es ist eher ein Zusammenschluss aus Volksinitiativen und Vereinen sowie politisch interessierten Brandenburgern, die Extrempositionen wie von den Linken/Grünen/AFD vertreten, ablehnen.

  4. 7.

    Orange. Piraten, LG, Niederlande, BSR. Farbe macht noch kein Programm. Mir fehlen Inhalte. Eine Analyse soll das sein?

  5. 6.

    Das ist das gleiche wie bei rechts-"Konservativen", die nur sich selbst als "bürgerlich" zulassen. Mit anderen Worten: Jeder, der nicht eine erkennbare Schlagseite nach Rechts hat, ist kein bürgerliches Mitglied unserer Gesellschaft mehr - sondern bitte was? Versifft? Tja. Mit solchen ausgrenzenden Phrasen treibt man Spaltung und Radikalisierung voran.

  6. 5.

    Also mir sind bestimmte Sachverhalte wie z.B. Wasserverband WSE und das Spiel der SPD oder Grundstücksgeschachere Beeskow Frank Steffen erst durch die Öffentlichkeitsarbeit der BVB/Freie Wähler zugänglich geworden. Zum Thema Wasserversorgung gibts auch gute Lösungsansätze.
    Kurzum, ich denke es gibt politische Alternativen jenseits der AfD und des politischen Status-Quo-Filzes. Und deren Abgeordnete sind Einheimische und keine abgehalfterten Westimporte.

  7. 4.

    -Im rbb-Untersuchungsausschuss gehört Péter Vida zu den hartnäckigsten Fragestellern, nicht selten zum Unmut anderer Fraktionen.

    Sind nicht Untersuchungsausschüsse dafür geschaffen, reihenweise unbequeme Fragen zu stellen? Keine Frage und auch keine Häufung von Fragen sollte Unmut auslösen, verehrte andere Fraktionen.

  8. 3.

    Ne ,tut mir leid , aber keine Stimme von mir.
    Warum ?
    Was bietet diese Partei im Gegensatz zu den anderen. ?
    Nichts ,neues.

  9. 2.

    Alles mit den "Orangen" schön und gut. Mir ist allerdings nicht klar, wenn ich die "Orangen" unterstütze, wie siehts bei den Hauptfragen dieser Zeit dann aus, etwa bei der Illegalen Migration, beim Heizungsgesetz GEG etc. Unter dem Strich muss ich bei den "Orangen" in Bayern feststellen, dass dort die "Orangen" im Ergebnis, sicherlich teilweise ungewollt, nur Steigbügelhalter von Söder sind.

  10. 1.

    Was oder wer ist die "kranke" Kraft der Mitte? Abwehrkräfte gegen was oder wen? Ist "gesunder Menschenverstand" in der politischen Auseinandersetzung ähnlich wie "Ideologie" ein Totschlagargument?

    Und als Deutscher habe ich Bauchgrummeln, wenn eine politische Kraft von "gesund" spricht....

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