Vor Landesparteitag - Berliner Grüne in Aufruhr

Mi 06.12.23 | 10:41 Uhr | Von Angela Ulrich
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Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin, sprechen am 03.06.2023 auf der Landesdelegiertenkonferenz ihrer Partei. (Quelle: dpa-Bildfunk/Monika Skolimowska)
Audio: rbb24 Inforadio | 05.12.23 | Angela Ulrich | Bild: dpa-Bildfunk/Monika Skolimowska

Aus der Regierungsverantwortung in die Opposition: Die Berliner Grünen lecken immer noch ihre Wunden. Doch vor ihrem Landesparteitag am Samstag zoffen sie sich erneut – und zwar ganz grundsätzlich um den Kurs der Partei. Von Angela Ulrich

Es ist nicht so, dass Tanja Prinz nach den Sternen greift. Für die 44-jährige Grüne aus Lichtenrade wäre schon der kleinstmögliche Sieg okay, wie sie sagt. "Bei 50 Prozent plus eine Stimme würde ich die Wahl annehmen und loslegen – und natürlich hoffen, dass ich in den nächsten Jahren so gute Sachen mache, dass es gesehen wird. Und dann kann es gern beim nächsten Mal besser werden. Aber beim ersten Rutsch erwarte ich mir noch nicht so große Höhenflüge."

Prinz will Berliner Grünen-Co-Chefin werden, für das Realo-Lager. Die Mutter von drei Kindern sitzt bisher im Kreisvorstand der Grünen von Tempelhof-Schöneberg. Sie will die Grünen "bürgernäher" machen und stört sich an der "Innenstadtzentrierung" ihrer Partei. "Mir ist wichtig, dass wir uns als Partei in den Austausch begeben mit den Menschen, die außerhalb des S-Bahn-Ringes wohnen, wie ich selbst das auch tue", sagt Prinz. "Hier müssen wir ins Gespräch gehen mit Verbänden und Vereinen. Das sollten wir auch in den Außenbezirken tun."

"Vergiftetes Klima"

Aber wie Tanja Prinz das ändern will und was das für die Partei bedeuten würde, darüber herrscht großer Unmut. Und das genauso im Lager der Parteilinken als auch bei zahlreichen Realos. Hier hat sich Tanja Prinz als Kandidatin bei einer Vorabstimmung zwar demokratisch durchgesetzt – knapp, mit 83 zu 78 Stimmen, gegen die bisherige Co-Landeschefin Susanne Mertens.

Doch vor der Landesdelegiertenkonferenz an diesem Samstag grummelt es gewaltig in der Partei. Von "vergiftetem Klima" sprechen hochrangige Grüne, die sich nicht namentlich zitieren lassen wollen. Denn mit Tanja Prinz geht es um mehr als um eine Personalie. Es geht um das mühsame Gleichgewicht zwischen dem linken und dem Realo-Flügel der Partei. Und um den Kurs der Grünen insgesamt.

Seit der Wiederholungswahl im Februar gibt es dazu sehr unterschiedliche Auffassungen. Mit 18,4 Prozent habe man das starke Grünen-Ergebnis gehalten, heißt es vor allem im linken Lager um Fraktionschef Werner Graf und auch bei der Realo-Spitze.

Die Grünen um Tanja Prinz hingegen, die sich noch mehr in der Mitte einordnen, sehen Potenziale bei der Wählerschaft verschenkt. "Es scheint einige Vorbehalte gegen uns zu geben", sagt Prinz. An diversen Wahlkampfständen habe sie ein großes Misstrauen gegen die Grünen wahrgenommen – das müsse sich ändern. Schluss mit den Grünen als einer "Verbotspartei", hin zu mehr Offenheit, auch was mögliche Koalitionen angeht – das ist Prinz‘ Kurs.

Es soll bei der Versammlung im November in Mitte aber "drunter und drüber gegangen sein", erzählen Grüne. Von "Druck und falschen Versprechen im Vorfeld" ist die Rede, von "Tricksereien". Die Wahl sei "ein Unfall" gewesen, sagen hochrangige Realo-Vertreter.

Von "Druck" will hingegen Lara Liese aus dem grünen Bezirksvorstand in Mitte nichts wissen. Liese unterstützt Tanja Prinz und sagt, Debatten über die Ausrichtung einer Partei gehörten zur demokratischen Kultur dazu.

Prinz selbst ficht das nicht an. Sie stellt in einem Bewerbungsvideo auf ihrer Homepage klar: "Ich bin Tanja Prinz, und ich möchte in den kommenden zwei Jahren eure Stimme sein. Dafür bitte ich um euer Vertrauen."

Tanja Prinz (Quelle: Rainer Christian Kurzeder)
Tanja Prinz | Bild: Rainer Christian Kurzeder

"GR@M" will an die Macht

Prinz wird unterstützt von einer Strömung innerhalb der Realos, die mit dem aktuellen Kurs der Grünen unzufrieden ist. Sie nennen sich "GR@M" – die "Grünen Real @ Mitte" – und sind deutlich bürgerlicher als der bisherige Landesvorstand. Sie werfen den Parteiflügeln vor, zu dogmatisch zu sein, zu wenig bürgernah. Und sehen Großstadt-Grüne in Hamburg (24,2 Prozent) oder München (30,8 Prozent) als Vorbilder.

Demgegenüber pochen Linke und Realos im grünen Parteivorstand darauf, dass gerade der "kooperative Kurs" zwischen beiden Flügeln zuletzt die vergleichsweise guten Ergebnisse gebracht hätte. Eine zerstrittene Partei habe klar schlechtere Chancen - neue Grabenkämpfe wären daher ganz falsch. Genau die sehen prominente Parteivertreter aber mit Tanja Prinz als Co-Chefin wieder auf sich zukommen. Und werfen den "GR@M"s vor, mehr an Macht als an Inhalten interessiert zu sein.

"Macht kommt von machen"

Mit Macht kann Tanja Prinz tatsächlich einiges anfangen: "Macht kommt von machen - und wir stehen gern bereit, um da wieder mitzumachen", sagt die Kandidatin – im Sinne von "mitzuregieren".

Doch vorher müsste Tanja Prinz die Mehrheit der Delegierten beim Landesparteitag am Samstag in einem Hotel in Moabit von sich überzeugen. Kein leichtes Unterfangen, angesichts des unterschwellig lautstarken Unmuts. Von einer möglichen Unterbrechung des Parteitreffens für einige Tage wird gemunkelt, falls Prinz auch nach drei Wahlgängen keine Mehrheit haben sollte.

Dann müsste aber auch der gesetzte Kandidat der Parteilinken, der bisherige Co-Vorsitzende Philmon Ghirmai, auf seine Wahl warten. Und die Grünen würden in der Öffentlichkeit ein Bild der Zerrissenheit zeigen.

Über eine mögliche andere Kandidatin für den Realo-Platz an der Parteispitze will derzeit niemand spekulieren. Und Tanja Prinz zeigt sich zuversichtlich: "Ich werde die Woche auf jeden Fall weiter nutzen, um ganz viel zu telefonieren und um Rückhalt zu bitten. Aber ich stelle mich jetzt auf ein nicht zu jubelhaftes Ergebnis ein."

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.12.2023, 6 Uhr

Beitrag von Angela Ulrich

100 Kommentare

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  1. 100.

    Mit dem Flügel der sog. GR@M wird es doch nur noch korrupter, siehe die Affäre um Stephan von Dassel, der einen Parteikollegen aus dem Vorstand von Mitte ohne sauberes Verfahren einen gut bezahlten Posten im Bezirksamt verschaffen wollte: Am Ende sind beide gescheitert und das war auch gut so.

  2. 99.

    "Sogar Deutschland hat noch 7.000 t Uran in Reserve."
    <Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt, dass noch 7.000 Tonnen Uran vorhanden sind, zählt diese aber lediglich als Ressource und nicht als Reserve.
    Theoretisch ließen sich aus dem Uran etwa 798 Terawattstunden Strom produzieren. Damit könnte man den aktuellen deutschen Stromverbrauch für etwa 17 Monate decken.>
    U.a. https://www.deutschlandfunk.de/gas-fracking-oel-kohle-uran-bodenschaetze-deutschland-energie-100.html#Uran

    Anstelle der Wiederaufnahme des Uranabbaus in Deutschland würde ich, selbst als AKW-Gegnerin, der Neuauflage des Projektes "Megatons to Megawatts" eher aufgeschlossener gegenüberstehen.


  3. 98.

    Die Frage ist, wie kann man von der globalen Atom-Allianz (Aktien, Fonds) bei dem Megatrend Kernkraft profitieren? Was die hiesigen Grünen erzählen, ist irrelevant. Wie der ältere Herr im roten Pullover zutreffend bei Kanzlerbürgergespräch feststellte, die Grünen haben keine Ahnung.

  4. 97.

    Ja, und die Grünen sind eine kalte Partei. Nicht so warmherzig zu den Menschen wie die Liberalen. Man denke nur an alle die Auto fahren und parken wollen.

  5. 96.

    Zur Zeit ärgert die Dauer-Dunkel-Flaute die Grünen Regulierer. Am Donnerstag machten Wind und Sonne insgesamt gerade einmal 7,7 Prozent der Elektrizitätsversorgung aus. Um diese Dauerflaute zumindest einigermaßen zu kompensieren, muss immer mehr Braunkohle verbrannt werden, die extrem klimaschädlich ist. Dennoch halten die Ampel-Regierung und allen voran Robert Habeck mit wahrem Eifer am Ausbau von Windkraftanlagen fest. Dass es völlig egal ist, ob man ein Windrad oder zehn Millionen davon aufstellt, wenn kein Wind weht, der sie in Gang setzt, ist gewissen Kreisen nicht vermittelbar. Das Ergebnis dieses Wahnsinns ist, dass Deutschland, nach Polen, das so gut wie gar nichts in erneuerbare Energien investiert hat, den zweithöchsten CO2-Ausstoß produziert.

  6. 95.

    „Grün ist so verwendet eine Beleidigung“
    Das stimmt. Die Liberalen setzen mehr Kräfte frei, um das 1,5 grd-Ziel zu erreichen. Und sie werden nicht müde, die Privatwirtschaft, die das 10fache bringt, weiter zu ermuntern. Trotz der Schwierigkeiten durch die Spaßbremsen.

  7. 94.

    Sehr gut herausgearbeitet. Ohne Kernkraft wird es keine Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten geben.
    Richtig ist, dass viele Probleme zu lösen sind, Stichwort Endlagerung. Man hat nach mir vorliegenden Informationen in Schweden Lagerkapazitäten geschaffen, die über Jahrzehnte für ganz Europa reichen würden und die auch angeboten. Unsere aktuelle Bundesregierung hat keinen Bedarf.
    Wir sind hier nach Fukuschima in eine ideologische Schieflage geraten, an die Mutti nicht ganz schuldlos ist.
    Man arbeitet international mit Hochdruck an der Kernfusion. Die wird hoffentlich viele Probleme, auch ideologischer Art, lösen.

  8. 93.

    „Grüne FDP“
    Was soll das denn sein?
    Grün ist so verwendet eine Beleidigung.

  9. 91.

    Beim Land Bremen beschäftigt zu sein ist etwas anders als bei der Fraktion einer Partei angestellt zu sein.

  10. 90.

    Viele glauben nicht an eine schnelle Lösung durch Kernenergie. Auf der Weltklimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten haben sich zahlreiche Staaten dem Vorhaben angeschlossen, ihre Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030 zu verdreifachen. Der Präsident der Konferenz, al-Dschaber, erklärte in Dubai, bislang hätten 120 Länder unterschrieben. Zu den Unterzeichnern zählen Deutschland und die anderen EU-Staaten.

  11. 88.

    Frau Prinz hat das berufliche Profil einer Berufspolitikerin, vergleichbar mit Frau Jarasch. Wenn es mit der Berliner Grünen Chefin klappt, macht sie da weiter. Das bringt mehr, als das, was sie jetzt macht. Dort ist die Diplom-Politikerin seit 12 Jahren für das Bundesland Bremen in der Bundesratskoordinierung tätig.

  12. 87.

    "Quelle: Abgeordnetenwatch" Die grüne Kandidatin war noch nirgends eine Abgeordnete. Deswegen gibts sie dort auch nicht, wenn man bei Abgeordnetenwatch nach "Tanja Prinz " sucht.

  13. 86.

    Die Welt wird, wenn nicht erhebliche Einschränkungen in der Industrieproduktion und damit am Wohlstand hingenommen werden sollen, auf die Atomkraft in Zukunft verzichten können. Das dies in Deutschland aus ideologischen Gründen zur Zeit nicht machbar ist, muss der Bau der Kraftwerke in den Nachbarländern erfolgen in denen rationaler gedacht wird.
    Die Atomkraft ist eine der Möglichkeiten den in Zukunft steigenden Strombedarf zu erzeugen. Dazu muss, was von den Klimaschützern immer gefordert wird, auch auf diesem Gebiet geforscht werden, was den Bau billigerer Kraftwerke und Maßnahmen zur besseren Abfallentsorgung betrifft.
    Wenn aber die Welt CO2 frei gemacht werden soll, muss jede andere Form der Energieerzeugung, auch der Atomkraft genutzt werden.
    Übrigens, das Argument der Atomkraftgegner man müsse Brennstäbe aus Russland beziehen ist reine Propaganda. Länder mit den größten Uranreserven sind Australien, Kanada, Namibia. Sogar Deutschland hat noch 7.000 t Uran in Reserve.

  14. 85.

    Viele haben offensichtlich nicht verstanden, dass es hier um die Landesgrünen im Bundesland Berlin geht.

  15. 84.

    "Den Grünen stünde eine Rückkehr zur Realität, und Frau Prinz ist "Realo", gut zu Gesicht."

    Ich befürchte die Grünen sind in puncto Umwelt die einzige Partei die realistisch ist, von den Realos mal abgesehen. Was dir treiben konnte man in Hessen und kann man aktuell in BW sehen. Eine grüne FDP.

    "Wenn ich was Unbequemes und gerade Umweltschutz scheint für einige sehr unbequem zu sein, erreiche ich damit nichts - außer einer frühkindlichen Trotzreaktion. "

    Und wenn sich solche "Erwachsene" wie Kleinkinder in der Trotzphase benehmen, dann muß halt von oben verordnen, sonst wird das nie was.

    Sie widersprechen sich in jeden zweiten Satz selbst. Und ihre Scheinheiligkeit in Sachen Umweltschutz ist beispiellos. Wasch mir den Pelz aber mache mich nicht nass.

  16. 83.

    Nun, das denke ich nicht. Den Grünen stünde eine Rückkehr zur Realität, und Frau Prinz ist "Realo", gut zu Gesicht. Umweltschutz ist (für mich) wichtig (hoffentlich für Andere auch). Ich habe aber was gegen Verordnungen nach dem bisherigen Stil "par Ordre du Mufti", gegen einseitige Verkehrspolitik, gegen bullerbüähnliche Luftschlösser. Wenn ich was Unbequemes und gerade Umweltschutz scheint für einige sehr unbequem zu sein, erreiche ich damit nichts - außer einer frühkindlichen Trotzreaktion. Gerade solche Dinge müssen, wann immer es geht, auf Augenhöhe geschehen - also muß der "Erklärbär" mal aus dem Käfig gelassen werden, ich muss möglichst viele Leute mitnehmen um wirklich was dauerhaft zu erreichen. Das gilt auch für Migrations- und Minderheitenpolitik, für Bildung u.v.m. Das habe ich in der letzten grünen Garde arg vermisst. Projekte mit einer Halbwertszeit von einer Wahlperiode braucht kein Sch...Schtadtbewohner. Vll. färbt ja da auch was auf BRB ab - möglich wäre es.

  17. 82.

    >"Ach an Sie die Frage: Was innen die oppositionellen Iinksalternativen dazu im AGH bewirken?"
    Auch an Sie eine Frage: Was will der Dichter uns mit diesen wirren Formulierungen sagen?

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