Kommunalwahl in Brandenburg - Problemlöser für Rathaus und Räte gesucht

So 25.05.14 | 14:07 Uhr | Von Andrea Marshall

Es geht um das neue Tierheim oder die drohende Schul-Schließung, um Flüchtlinge oder das geplante Shopping Center, um das abgesagte Tulpenfest oder die schlechte Wasserqualität im Senftenberger See: Kommunalpolitik kümmert sich um die Probleme vor der Haustür. Am Sonntag stimmt Brandenburg über die Menschen ab, die sie lösen wollen: Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte, Kreistagsmitglieder. Fast 20.000 Bewerber treten an. Von Andrea Marshall

Am Sonntag ist Superwahltag in Brandenburg: Mehr als 2,15 Millionen Menschen können sich an den Kommunalwahlen beteiligen. Erstmals dürfen auch 35.000 Jugendliche ab 16 Jahren mitwählen. Entschieden wird, welche der über 20.000 Bewerber in die 420 Gemeindevertretungen, 14 Kreistage und vier Stadtverordnetenversammlungen einziehen. Außerdem werden 270 ehrenamtliche Bürgermeister und 373 Ortsvorsteher bestimmt. Zeitgleich findet die Europawahl statt. Die Wahllokale sind seit 8 Uhr geöffnet.

Verwirrende Zettelwirtschaft

In vielen Wahllokalen müssen die Wähler mehrere Stimmzettel ausfüllen – je nachdem, welche Gremien und welche Posten in ihrem Wahlkreis neu besetzt werden. Das führte schon im Vorfeld zu Verwirrung. In Gumtow (Prignitz) beispielsweise stehen fünf Einzelwahlen an: die Europa-, Kreistags-, Ortsbeirats-, Ortsvorsteher- und Gemeinderatswahl. Es gibt fast 100 Kandidaten – etwa so viele, wie der Ort Einwohner hat. Auf fünf Zetteln müssen Kreuzchen gesetzt werden. Der längste ist 75 Zentimeter lang. Gumtow stöhnt angesichts der verzwickten Materie.

Kandidat verstorben - und trotzdem wählbar

Die Zettelwirtschaft hat auch zu Pannen und Absurditäten geführt. In Velten wurde der Name eines inzwischen verstorbenen Politikers auf die Stimmzettel gedruckt. Er kann jetzt tatsächlich "posthum" gewählt werden. Die Stimmen kommen jedoch seiner Partei, der FDP, zugute. In Heiligengrabe (Ostprignitz-Ruppin) und Michendorf (Potsdam-Mittelmark) fehlten dagegen Namen auf den Stimmzetteln. Die Gemeinderatswahlen müssen deshalb dort verschoben werden.

Der Koschener Kanal aus der Vogelperspektive (Quelle: dpa)
Im Lausitzer Seenland ist die Freunde inzwischen getrübt | Bild: dpa-Zentralbild

Experten: Kommunalwahl interessiert mehr

Trotz dieser Komplikationen: Die Kommunalwahlen werden die Brandenburger am Sonntag mehr interessieren als die Europawahl, schätzen Wahlforscher. Denn die Themen brennen den Wählern unter den Nägeln – sie liegen schließlich direkt vor der Haustür. Was genau die Gemüter erhitzt, variiert von Ort zu Ort. Während in Potsdam über den Bau eines neuen Tierheims gestritten wird – mit tatkräftiger Unterstützung einer leibhaftigen Prinzessin -, sorgt man sich im Landkreis Oberspreewald-Lausitz um die Wasserqualität des Senftenberger Sees. Denn der wird durch eisenhaltiges Grundwasser mehr und mehr zur braunen Brühe, was unter anderem den Tourismus an der entstehenden größten künstlichen Seenkette Deutschlands gefährden könnte.

Landflucht, Kohle und das Tulpenfest

Andernorts geht es um Parkplätze oder Fluglärm, die drohende Abbaggerung weiterer Dörfer für den Braunkohle-Tagebau, das abgesagte Tulpenfest oder das geplante Einkaufszentrum. Im Speckgürtel rund um Berlin werden wegen steigender Einwohner- und Geburtenzahlen händeringend neue Schul- und Kitagebäude gesucht. In Berlin-fernen Regionen führt dagegen die Landflucht zum gegenteiligen Trend: Wo die Einwohnerzahl sinkt, werden Schulen geschlossen.

In den Randregionen Brandenburgs stehen wegen der Landflucht zudem Häuser und Wohnungen leer. In Schwedt etwa wurden verlassene Plattenbauten bereits beherzt abgerissen. Zu wenige Landärzte bedeuten Engpässe in der medizinischen Versorgung. Auch ist es eine Herausforderung, ein öffentliches Verkehrssystem aufrecht zu erhalten, wenn es nur noch wenige Nutzer an verstreuten Orten gibt.

Meiste Kandidaten auf SPD-Ticket

All diese Probleme sollen (angehende) Kommunalpolitiker anpacken, die sich am Sonntag zur Wahl stellen. Die meisten von ihnen gehen für die SPD ins Rennen, was im SPD-dauerregierten Land Brandenburg nicht ganz überrascht. Insgesamt 1059 Kandidaten stehen auf den SPD-Listen, so viele wie bei keiner anderen Partei oder Wählergruppe.

Für die CDU buhlen 887 Kandidaten um die Gunst der Wähler, plus 79 weitere in einer Listenvereinigung. Es folgen die Linken (779 Kandidaten), die Grünen mit 429 Kandidaten plus 19 weiteren (Listenvereinigung). Zudem gibt es unzählige lokale Bündnisse. Selbst die Satirepartei "Die Partei" tritt an – das allerdings nur in Frankfurt (Oder).

NPD-Bewerber mit krimineller Vergangenheit

Die rechtsextreme NPD hat in fast allen Landkreisen in Brandenburg Kandidaten aufgestellt: 115 sind es insgesamt, darunter ehemalige Straftäter, die wegen schwerer Gewalttaten, Brandstiftung oder anderer Delikte verurteilt wurden. Manche saßen mehrere Jahre in Haft. Hinter dieser Kandidatenauswahl steckt Kalkül, sagt Dirk Wilking vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg im rbb-Interview. "Die Zielgruppe sind Jugendliche. Schon 16-Jährige können ja jetzt mitwählen." Motto: Die NPD-Leute hauen auch mal drauf. "Der Nimbus ist: Die machen wenigstens was und reden nicht nur", meint Wilking.

Im Wahlkampf hatte die NPD massiv gegen Asylbewerber Stimmung gemacht. Die Partei war in der Vergangenheit vor allem in einzelnen Gemeinden im Süden Brandenburgs erfolgreich.

Entscheidung "nach Nase"

Welcher Kandidat nun am Sonntag die Nase vorn hat, hängt allerdings stark davon ab, ob die jeweilige Nase gefällt. Denn bei einer Kommunalwahl wird weniger nach Partei- oder Listenzugehörigkeit, sondern nach Persönlichkeit entschieden. Man kennt sich, vor allem in kleineren Orten. Gewählt wird deshalb derjenige, bei dem die Chemie stimmt. Vielleicht war man zusammen schon mal ein Bier trinken. Oder einen Kaffee. Wahlforscher finden es deshalb fragwürdig, das Ergebnis der Kommunalwahl als Stimmungstest für die Brandenburger Landtagswahl im September zu werten.

Dem "Nasen"-Prinzip folgen traditionell die Wähler im Ort Gusow-Platkow (Märkisch Oderland). Bei der dortigen Gemeinderatswahl treten, wie zuvor, gar keine Parteien an, sondern Kandidaten der Feuerwehr, vom Sportverein oder von den "Geschichtsfreunden". Für die Wähler sind die Personen ausschlaggebend, nicht die Gruppierung, sagt auch "Geschichtsfreund" Thomas Drewing.

Gesucht werden eben Problemlöser. Für all das, was "vor der Haustür" unter den Nägeln brennt.

Beitrag von Andrea Marshall

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