Interview | Fan-Bündnis-Sprecher Martin Endemann - "Stehplätze sind sicher"

Fr 29.07.22 | 18:37 Uhr
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Die Fans vom 1. FC Union Berlin im Stadion an der Alten Försterei (imago images/Nordphoto)
Bild: imago images/Nordphoto

Nach jahrzehntelangem Verbot will die Uefa nun wieder Stehplätze im Europapokal zulassen. Im Interview erklärt der Sprecher des Fan-Bündnis "Football Supporters Europe", Martin Endemann, was die Neuerung für Vereine und Fans bedeutet.

rbb: Herr Endemann, wie haben Sie die Entscheidung der Uefa aufgenommen, wieder Stehplätze im Europapokal zuzulassen?

Martin Endemann: Das ist eine fantastische Nachricht für die gesamte europäische Fangemeinde. Für uns kam das nicht sonderlich überraschend. Darauf haben wir als Organisation seit Jahrzehnten hingearbeitet und wir haben in den letzten Monaten und Jahren viele Treffen mit der Uefa.

Zur Person

Martin Endemann vom Fan-Bündnis "Football Supporters Europe" (imago images/Zink)
imago images/Zink

Martin Endemann ist Politologe und Sprecher von Football Supporters Europe (FSE).

Das Netzwerk von Fußballfans in Europa hat Mitglieder in 48 UEFA-Mitgliedsländern.

Warum gab es das Verbot überhaupt?

Es fing an mit der Katastrophe von Hillsborough in England. [Ein schweres Zuschauerunglück mit mehr als 90 Toten und Hunderten Verletzten im Jahr 1989, Anm. d. Red.] Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass das mit Stehplätzen gar nichts zu tun hatte. Aber es gab in den 90er Jahren dann eine große Diskussion um die Sicherheit und viele Stadien in ganz Europa wurden in reine Sitzplatz-Stadien umgerüstet. Wir waren von Anfang an der Meinung, dass man Stehplätze völlig sicher organisieren kann.

Was ist das Motiv der Uefa, nach dem Verbot von 1998 nun plötzlich wieder Stehplätze zu erlauben?

Da gibt es viele Motive. Zum einen haben die Fan-Proteste der letzten Jahre sicherlich ihren Teil dazu beigetragen. Da hat die Uefa gesehen, dass das eines der Themen ist, in dem sich alle europäischen Fußball-Fans einig sind. Da sind die Meinungen ja normalerweise auch nicht immer ganz homogen. Und natürlich ist es auch im Interesse der Vereine. Gerade die deutschen Vereine werden davon profitieren. Klubs wie Dortmund mussten in den letzten Jahren immer umrüsten, was für jedes Champions-League-Spiel einen Haufen Geld kostet. Außerdem können sie wieder mehr Zuschauer in den Stadien unterbringen.

Union Berlin wirkte recht überrascht von der Neuerung. Können Sie den Umzug für die anstehende Euro-League-Saison ins heimische Stadion noch bewerkstelligen – oder gibt es da noch zu viele weitere Hürden?

Das müssen Sie den 1. FC Union fragen. Die vielen Stehplätze und wenigen Sitzplätze, die es in der Alten Försterei gibt, waren natürlich eine Hürde, die das Stadion von vornherein für den Europapokal ausgeschlossen haben. Ob die Alte Försterei auch noch weitere Regularien, wie zum Beispiel die Anzahl der Presseplätze nicht erfüllt, das kann ich nicht beurteilen. Die aller größte Hürde für viele Vereine ist jetzt aber weggefallen.

Beinhaltet die neue Regelung auch Nachteile?

Ich kann keine sehen. Jetzt haben wir erstmal eine Testphase, wobei ich es etwas komisch finden würde, wenn das danach rückgängig gemacht werden würde. Es ist natürlich sehr schade, dass diese Testphase sich bisher nur auf die Top-Ligen beschränkt. Die anderen gehen erstmal leer aus.

Inwiefern können kleinere Klubs davon profitieren?

Der größte Vorteil ist die Kapazitätserhöhung. Und die Mindestanforderungen an Sitzplätzen sind auch geringer. Union ist ja europaweit nicht der einzige Verein, der deshalb auf ein anderes Stadion ausweichen musste.

Welche Auswirkungen haben die Neuerungen für die Fanbasis?

Jeder, der mal in einer Stehplatz-Kurve stand, wird wissen, dass die Stimmung dort besser ist als wenn man sitzt. Es ist sehr viel einfacher, im Stehen zu singen und es ist einfacher, Freunde zu treffen, wenn man sich auf einer Tribüne flexibler bewegen kann. Außerdem haben viele Fans bei den begrenzten Kapazitäten mit den Sitzplätzen in die Röhre geguckt. Dortmund ist das beste Beispiel. Nicht alle, die regelmäßig zu den Bundesliga-Spielen gingen, hatten dann auch die Chance, Dortmund in der Champions League zu sehen, weil ungefähr 15.000 Plätze gefehlt haben.

Die Rückkehr der Stehplätze ist ein Pilotprojekt für die kommende Saison in den fünf Topligen Europas. Trauen Sie dem Ansatz eine längerfristige Zukunft zu, auch über die betreffenden Länder hinaus?

Garantiert. Die Uefa hat eine Machbarkeits-Studie in Auftrag gegeben und wollte sicher sein, dass von wissenschaftlicher Seite keine Einwände bestehen. Natürlich hat sie Angst vor Haftung und will jedes Horror-Szenario ausschließen. Aber Stehplätze sind sicher. Ich bin überzeugt, dass die Testphase sehr gut verlaufen wird und dann kommen schon im nächsten Jahr mehrere Länder hinzu, oder es wird gleich für alle frei gegeben. Das ist reine Spekulation, aber ich sehe der Zukunft sehr positiv entgegen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Shea Westhoff, rbb Sport.

Sendung: rbb24, 27.07.2022, 21.45 Uhr

4 Kommentare

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  1. 4.

    Sie machen Ihrem Namen wieder mal alle Ehre, LOL. Das letzte mal dass es Gewalt im Stadion gab, war Ende 2019 beim ersten Berliner BL Derby, als aus dem Gästeblock mit Pyrotechnik auf Menschen geschossen wurde.

  2. 3.

    Bloß keine Stehplätze, in Köpenick ist es schon mit Sitzplätze gewalttätig genug, da Bears keine Steigerung. Es wir wollen auch noch mit Familie zum Fußball gehen können, auch dort.

  3. 2.

    Sie bringen Bradford und Hillsborough mit Hooliganismus in Verbindung? Wie kommen Sie auf dieses schmale Brett?

  4. 1.

    Hillsborough war nicht der Anfang, sondern das Ende. Bereits Jahre zuvor wurden in England aufgrund des Hooliganismus intensive Diskussionen über mangelhafte Stadionsicherheit sowie ein generelles Stehplatzverbot geführt, spätestens nach den beiden Katastrophen von Bradford (wenngleich diese einen völlig anderen Hintergrund hatte) und Heysel (beide im Mai ´85) dann auch europaweit - mit unterschiedlichsten Ergebnissen und Auswirkungen.

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