Fußball-Bundesliga - Die Kehrseite der erfolgreichen Unioner Jahre

Fr 27.10.23 | 21:48 Uhr | Von Shea Westhoff
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Urs Fischer
Audio: rbb24 Inforadio | 27.10.2023 | Jakob Rüger | Bild: IMAGO/Beautiful Sports

Den Unioner Himmelsstürmern droht bei einer Pleite in Bremen am Samstag der Sturz auf die Abstiegsränge. Ein Szenario, das noch vor Kurzem als absurd abgetan worden wäre. Wie konnte es so weit kommen? Der Versuch einer Erklärung. Von Shea Westhoff

Als hätte Union Berlin kollektiv Platz genommen in einer Schwebeseilbahn, die nur eine Richtung kennt: hinauf zum Gipfel. So wirkte die Entwicklung dieses renitenten, sympathischen Fußballklubs in den vergangenen fünf Jahren unter Trainer Urs Fischer. In jeder Saison stieß der Verein unaufhaltsam in neue Höhen vor, Aufstieg, Klassenerhalt, Europapokal, nun sogar die Champions League.

Union Berlin, das war für verdrossene Fußballromantiker die Erinnerung, dass der Sport abseits des etablierten Klub-Adels diejenigen belohnt, die mit Bescheidenheit, Fleiß und nicht zuletzt leidenschaftlichem Fußball zu Werke gehen. Der Klub verkörperte den Ansatz, dass es auch anders funktionieren kann.

Zahlen können nichts erklären

Richtig erklären konnten den rasanten Aufstieg jedoch die wenigsten, der Verein blieb ein Mysterium. Deswegen ist auf eine bitter-ironische Art nur folgerichtig, dass man den gegenwärtigen steilen Sinkflug der Truppe ebenso ratlos verfolgt.

Es sind aufwühlende Zahlen: Wettbewerbsübergreifend setzte es neun Niederlagen in Serie, am Samstag droht bei Werder Bremen mit der zehnten Pleite der Absturz auf einen Abstiegsplatz. In der Champions League scheint der Verein vom Pech verfolgt, steht immer noch bei null Punkten. Der zu Saisonbeginn auftrumpfende Stürmer Kevin Behrens wartet seit neun Stunden auf einen Treffer.

Und doch sind all die Zahlen nur Symptome der Negativserie und können eine entscheidende Frage nicht beantworten: Was hat sich eigentlich so plötzlich verändert in Köpenick, wo der Fußballklub im Bunde mit Göttin Fortuna doch jahrelang so verlässlich für Sensationen sorgte?

Neue Erwartungshaltung der Geldgeber

Auch der scheinbar genügsame Klub, der Jahr für Jahr eisern und bescheiden an den Saisonzielen "40 Punkte" sowie "Klassenerhalt" festhält, kann sich der schwindelerregenden Dynamik des Fußballgeschäfts nicht entziehen. Anders gesagt: Die zuletzt errungenen Erfolge wirken auf den Klub ein, verändern ihn. Der gehobene Status bedeutet auch, dass den Ergebnissen und Entscheidungen plötzlich eine größere Fallhöhe innewohnt. Und die Entscheider im Verein sind dazu verdammt, sich immer weiter aus dem Fenster zu lehnen.

Vor knapp drei Wochen präsentierte das Präsidium Rekordzahlen. 63.000 Mitglieder sind so viele wie nie zuvor, und die Einnahmen in Höhe von 174 Millionen Euro bedeuten eine Steigerung von 52 Millionen Euro zur Vorsaison. Für die laufende Saison erwarte der Verein eine Fortsetzung des Trends, die Erträge sollen sich gar auf rund 190 Millionen Euro belaufen.

Das klingt gut, das klingt stabil. Allerdings verpflichten solche positiven Entwicklungen immer auch zu weiteren Schritten. Das gewachsene Interesse am Klub und der Aufstieg in die Bundesliga sowie die Teilnahme am internationalen Geschäft machen aus dem Wunsch des Umbaus der heimeligen Alten Försterei plötzlich eine Notwendigkeit. Denn eine Stadion-Kapazität von nur 22.000 Zuschauern wäre für einen Klub mit diesem Zulauf auf die Dauer vermessen.

Neue Sponsoren versprechen derweil frisches Geld für die gewachsenen Ambitionen. Der aktuelle Trikotsponsor "Paramount" etwa soll laut Bild-Zeitung fünf Millionen Euro pro Saison einbringen, rund doppelt so viel wie der vorherige Trikotpartner "Aroundtown". Es darf jedoch bezweifelt werden, dass der Erwerb der Unioner Markenrechte sich unabhängig vom Erreichen der Königsklasse so drastisch verteuert hat. Anders gesagt: Die neuen Geldgeber treten auch mit einer neuen Erwartungshaltung auf. Die Sichtbarkeit im internationalen Geschäft ist der Faktor, der den Preis nach oben treibt.

Transfer-Paradigmenwechsel

Wie behauptet man sich aber auf der Bühne der Topklubs? Unter anderem mit wettbewerbserprobten Spielern. Manager Oliver Ruhnert beeindruckte in den vergangenen Jahren durch seinen Transfer-Riecher. So lotste er Spieler nach Köpenick, die entweder niemand auf der Rechnung hatte (Behrens, Becker), Spieler, die in Union ein Sprungbrett für höhere Aufgaben sahen (Schlotterbeck, Awoniyi) oder auch gestandene Profis, die scheinbar ihren Zenit überschritten hatten und in Köpenick beweisen wollten, dass sie es noch draufhaben (Subotic, Kruse, Khedira). Dass diese Rechnung so gut aufging, lag vor allem an Urs Fischer, der nach jedem weiteren sommerlichen Kaderumbruch ein harmonierendes Team formte.

Die Transfers im Sommer 2023 dürfen als Paradigmenwechsel gelten. Spieler mit vermeintlichem internationalen Format wurden geholt, die sind teuer. Das Unioner Transfersaldo von –29,9 Millionen Euro war so deutlich im Minus wie bei keinem anderen Bundesligaklub.

Kompliziertes Teamgefüge

Viel entscheidender ist allerdings die Tatsache, dass die neuen Größen wie Leonardo Bonucci, Kevin Volland, Robin Gosens und David Datro Fofana - natürlich - mit vornehmeren Ansprüchen kommen. "40 Punkte" und "Hauptsache Klassenerhalt", das ist nicht ihr Stil. Und schon gar nicht, auf der Bank zu sitzen. Das stellt Fischer, das stellt das Teamgefüge vor völlig neue Herausforderungen. Siehe Fofana, der sich über seine Auswechslung im Champions-League-Spiel gegen Neapel erboste und seinem Trainer den Handschlag verweigerte.

Siehe Bonucci, der in der gleichen Partie über die gesamte Spieldauer auf der Bank Platz nehmen musste. Auch wenn der Italiener glaubhaft dementierte, vermeintlichen Frust darüber an italienische Medien durchgestochen zu haben (diese hatten eifrig berichtet). So kann man sich trotzdem leicht zusammenreimen, wie sich der langjährige Juventino mit der Nichtberücksichtigung gegen den alten Rivalen aus Kampanien gefühlt haben muss.

Das verflixte sechste Jahr

Garstig, gallig, eklig, das waren zumindest die Attribute, mit denen man die Spielweise der Unioner in den vergangenen Jahren behaftete. Ob sie genügen, um die Wende zu schaffen? Hoffnung macht, dass Trainer Urs Fischer nicht ansatzweise zur Disposition steht. Plötzlich einsetzende Kurzatmigkeit der Vereinsführung in Bezug auf den Trainerposten hat meist auf lange Sicht wenig Gutes bewirkt.

Erinnert sei an Huub Stevens, Schalker Jahrunderttrainer, der nach seiner verkorksten ersten Champions-League-Saison – die er genau wie Fischer im sechsten Amtsjahr erreicht hatte – seine Sachen packte. Vorgeblich in gegenseitigem Einvernehmen mit der Klubführung. Mittlerweile haben die Schalker ebenfalls kollektiv Platz genommen in einer Schwebeseilbahn, die nur eine Richtung kennt, allerdings nach unten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Sendung: rbb24, 27.10.2023, 18 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

14 Kommentare

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  1. 14.

    Die beste Analyse seit langem. Als Unionfan zwar traurig, aber sehr nachvollziehbar. Bitte mehr davon!
    Und an Kommentierende: Echte Fans sind FÜR und nicht GEGEN.

  2. 13.

    Hallöchen Unioner,
    auch wenn ich seit meiner Kindheit vor 60 Jahren, als ich schon mit meinem Vater ins Olympiastadion zu Hertha bin, Hertha Fan bin, ziehe ich vor Union meinen Hut und hoffe, dass in Köpenick die Nerven behalten werden. Es kommen wieder andere Zeiten. Doch jetzt gilt es festzuhalten an eurem Plan und an dem Urs. Schaut nach Freiburg zum Streich. Auf gestiegen, abgestiegen und aufgestiegen. Aber sich treu geblieben. Ein Herthaner drückt euch die Daumen.

  3. 12.

    Genau das ist passiert. Der letzte Spielereinkauf und klar, das Eifersüchteleien und Konkurrenzdenken aufkommt, da sind Profis nicht ganz davor gefeit. Und es war zu früh mit der Championsleage anzufangen.

  4. 11.

    Die Punkteausbeute der letzten sechs Spiele der Vorsaison waren doch auch nicht berauschend. Und so ging es in der aktuellen Saison weiter, deshalb keine Überraschung wegen der bisherigen punkteanzahl!

  5. 10.

    Wenn Du den Verein, deren Geschichte und die Fans nicht kennst, ist Dein Post schäbig. Niemand MUSS mit Union Sympathisieren! Dann bitte auch nicht so einen Quatsch schreiben. Und ein "In Berlin nur die Union" hängt auch nirgends.
    Momentan knirscht es bei den Eisernen. Sie hatten schon Schlimmeres durchstehen müssen. Aber auch das werden wir überstehen!
    Eisernes HaHoHe

  6. 9.

    Mit des Geschickes Mächten
    Ist kein ewger Bund zu flechten!

  7. 8.

    Manche hatten ja schon gestern Abend ein Derby.
    Grüße in die Rankestr.

  8. 7.

    Meinen sie die Demut, welche bei Union in Form von " zuerst 40Pkt und danach sehen wir weiter..." von allen Akteuren auf und neben dem Platz seit Jahren gelebt wird, was übrigens in der Vergangenheit von extern immer als völlig unrealistisches Tiefstapeln ausgelegt wurde?
    Wie man es macht... ;)

    eisern!

  9. 6.

    Von welchem Derby fabuliert man hier?
    Bis in die 3.Liga ist es für Union noch weit.
    Eher ist doch ein Derby zwischen dem BFC Dynamo Berlin und dem BCC777 denkbar.
    Und Demut? Ich glaube, Union zeigt es nach jedem Spiel, dass sie verloren haben.
    Oder wird das mit dem Berliner 2.Liga verglichen, die Demut mit Großkotzigkeit und Arroganz verwechseln?

    HaHaHa

  10. 5.

    Zuerst muss ich sagen, mich als Unionfan bereits seit den 1980'er Jahren kann nichts erschüttern. Mal gewinnt man, mal verliert man, es gehört egal bei welcher Sportart oder Liga dazu! Es interessiert mich daher nur teilweise, wo der 1.FC Union Berlin gerade in der Tabelle steht. Klar freue ich mich, wenn der Verein ganz oben mitspielt, aber es ist nicht selbstverständlich! Anderen Topteams geht es nicht anders. Ich meine auch, dass Union sich fängt u. dauerhaft in der 1.BL mitspielen kann!

  11. 4.

    Derby, welches Derby?

    Gegen ein wettbewerbsverzerrendes Franchise-Investorenkonstrukt aus Miami was fast 80% der Anteile besitzt, wird es jedenfalls für mich nie wieder ein sogenanntes Derby geben.

  12. 3.

    Jetzt nicht nervös werden. Viele große Vereine haben, beim Einstieg in die Champions Liga mit der Mehrbelastund gekämpft. Wir Unioner kämpfen wie ein Mann weiter.

  13. 2.

    Karma! Wir sehen uns zum Derby im nächsten Jahr!

  14. 1.

    Also Sympathie kann ich für diesen Verein nicht empfinden. Wenn ein Verein nur auf Grundlage der Erfolgsfans so hochkommt ist das noch kein Privilig . Der Verein befindet sich gerade da wo er hingehört . Und das ist gut so. Es schadet nicht wenn U. etwas Demut lernt und nicht denkt sie können alles zerlegen was sich in den Wuhlewind stellt .

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