Ära Urs Fischer beendet - Absturz aus königlichen Höhen

Mi 15.11.23 | 10:35 Uhr | Von Ilja Behnisch
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Urs Fischer
Video: rbb24 Abendschau | 15.11.2023 | T. Michels | Bild: imago images/Cathrin Müller

Urs Fischer ist nicht mehr Trainer des 1. FC Union. Mit ihm begann 2018 eine Zeit, in der es - nahezu ungebremst - nur bergauf ging. Doch nun folgte auf den absoluten Höhepunkt der völlige Einbruch. Ein Rückblick auf eine ganz besondere Ära. Von Ilja Behnisch

Wie sehr Urs Fischer in ganz Berlin Eindruck hinterlassen hat, ließ sich spätestens im Herbst 2021 benennen. Als der Tierpark Berlin einem an Ort und Stelle geborenen, Roten Panda nicht irgendeinen Namen gab, sondern den Namen Urs. Nach Urs Fischer, Trainer von Fußball-Bundesligist Union Berlin.

Das passte, weil der Rote Panda mitunter als Katzenbär bezeichnet wird und der Name Urs auf das lateinische "Ursus" zurückzuführen ist, was wiederum Bär bedeutet. Das passte aber auch deshalb, weil insgesamt ziemlich vieles passte in der Beziehung zwischen diesem Urs Fischer und Berlin. Bis auf das Ende bei Union vielleicht, das dazu führte, dass Fischer nun also nicht mehr Trainer in der Bundesliga ist. Ein modernes Fußball-Märchen bleibt die Liaison zwischen dem Schweizer und dem Fußballklub aus Köpenick aber dennoch.

Stolze Entscheidungsträger, überraschter Umworbener

Es begann im Juni 2018. Nach einer enttäuschenden Zweitliga-Saison mit Platz acht hatte der Klub Vereins-Ikone André Hofschneider von seinen Aufgaben als Cheftrainer entbunden. Union wollte nach oben, wollte in die Bundesliga und brauchte eine Weile, den richtigen Trainer dafür zu finden.

Dass es am Ende der Schweizer Urs Fischer wurde, der auf seiner letzten Station mit dem FC Basel zwei Mal Schweizer Meister sowie ein Mal Pokalsieger wurde und in der Champions League auftrumpfte, machte die Entscheidungsträger Unions stolz und überraschte den Umworbenen. "Wir waren als Verein gespannt, ob der Trainer das will", gab Oliver Ruhnert, Geschäftsführer Sport, auf der Vorstellungs-Pressekonferenz zu. Urs Fischer sagte: "Die Anfrage von Union hat mich gleichermaßen überrascht wie gefreut."

Rumpelfußball in der Relegation

Denn offenbar sah Fischer etwas in diesem Klub. "Die Bedingungen bei Union sind hervorragend, der Verein ist ambitioniert und wir haben zur neuen Saison einigen Gestaltungsspielraum. Diesen gilt es klug zu nutzen, um im Sommer eine starke und dominante Mannschaft an den Start zu bringen", so Fischer beim Amtsantritt. Mission geglückt, lässt sich im Rückblick sagen. Und mehr, viel mehr. Denn der Aufstieg sollte ja erst der Anfang sein.

Wer im Sommer 2019 die Aufstiegsspiele Unions gegen den VfB Stuttgart gesehen hat, musste dabei viel Fantasie aufbringen, auch nur an einen Klassenerhalt in der Bundesliga zu denken. Geschweige denn an mehr. Zwar setzte sich mit Union ausnahmsweise einmal der Zweitligist durch in der Relegation. Im Rückspiel allerdings, das mit 0:0 endete, kamen von gerade einmal 296 gespielten Berliner Pässen lausige 162 beim Mitspieler an. Und mit diesem Rumpelfußball wollte man in der ersten Liga bestehen?

Immer höher hinaus

Doch Union passte sich den neuen Gegebenheiten an, holte jede Menge neuer Spieler, darunter mit Christian Gentner, Neven Subotic und Anthony Ujah auch viel Bundesliga-Erfahrung. Große Kader und eine hohe Fluktuation sollten fortan zum wiederkehrenden Stilmittel des Klubs werden und Fischer immer wieder dabei glänzen, die neuen Spieler scheinbar mühelos an das eiserne System zu gewöhnen und gleichzeitig spielerische Fortschritte zu implementieren. Statt Abstiegskampf landete Union in der ersten Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte somit bei zehn Punkten Vorsprung auf die Abstiegsplatze auf Rang elf.

Und wieder hieß es hinterher, die eigentlich schwere Aufgabe stehe erst noch vor Urs Fischer und den Seinen. Denn die zweite Saison im Fußball-Oberhaus sei bekanntlich die schwerere. Nicht so für Union Berlin unter Urs Fischer.

Wieder verstärkte sich der Klub namhaft, holte unter anderem Ex-Nationalspieler Max Kruse und Robin Knoche (beide ablösefrei), lieh den in Mainz erprobten Liverpool-Stürmer Taiwo Awoniyi, der später fest verpflichtet und noch später für über 20 Millionen Euro nach Nottingham veräußert werden sollte. Und landete auf einem sensationellen Platz sieben, der zur Teilnahme an der Conference League berechtigen sollte. Union international, im zweiten Jahr der Bundesliga-Zugehörigkeit.

Urs Fischer würde einen Berliner Techno-Club zum Innehalten bringen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Den Unkenrufen zum Trotz

Und Urs Fischer? Blieb ruhig. So ruhig, dass die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" im Jahr 2020 schrieb, er "würde einen Berliner Techno-Club zum Innehalten bringen". Der "Kicker" hingegen stellte fest: "Ergebnis first. Spektakel war einmal - Trainer Urs Fischer versachlicht Unions Fußball". Er verlängerte um Weihnachten 2020 seinen Vertrag, der sich zuvor durch den Aufstieg ohnehin schon automatisch bis 2021 verlängert hatte. Die neue Laufzeit? Unbekannt. Ruhe bewahren. Auch in dieser Hinsicht.

Er habe sich in seiner Zeit in Berlin verändert, ließ Fischer zwischendurch immerhin einmal durchblicken. Er sei, na klar, ruhiger geworden, sagte er dem "Kicker": "In der Schweiz war ich zwischendurch mal impulsiver, ein bisschen dünnhäutiger. Ich habe viel dazugelernt, sehe heute vieles lockerer, bin entspannter."

Es gibt aber auch kaum Grund zur Aufregung. Der dieses Mal nur punktuell verstärkte Kader marschiert weiter Richtung Himmel, erreicht im dritten Bundesliga-Jahr Platz fünf und damit die Europa League. In der Conference League ist zwar bereits nach der Gruppenphase Schicht. Dafür siegt Union in allen Berliner Derbys gegen die Hertha. Von denen gibt es in der Saison 2021/22 gleich drei Stück, eines davon im DFB-Pokal, in dem Union erst im Halbfinale an RB Leipzig (1:2) scheitert.

In der Folgesaison geht es allen erneuten Unkenrufen zum Trotz wieder ein Stück nach oben. Für den abgewanderten Awoniyi trifft plötzlich Sheraldo Becker verlässlich, mit den Neuzugängen Diogo Leite und Danilho Doekhi, die in Deutschland zuvor nur Eingeweihte kannten, festigt Fischer seine ohnehin schon beängstigend stabile Abwehr weiter.

Die Spielzeit wird zum Rausch, endet auf Rang vier und mit der Qualifikation zur Champions League. Die Derbys gegen Hertha werden abermals sämtlich gewonnen, in der Europa League zelebriert Union in der Zwischenrunde gegen Ajax Amsterdam vor fantastischer Kulisse den eigenen Höhenflug und erreicht das Achtelfinale.

Systemabsturz und Abstiegskampf

Und Urs Fischer? Bleibt Urs Fischer. "Es macht nichts mit mir", sagte er Anfang 2022 im Interview mit der "Welt" und auf den damaligen Tabellenplatz drei angesprochen. Priorität hätte immer noch der Klassenerhalt. Das nahm ihm da schon kaum noch jemand ab. Erst recht nicht vor der aktuellen Spielzeit.

Wieder einmal holte Union jede Menge neuer Spieler. Und was für welche! Den aktuellen deutschen Nationalspieler Robin Gosens! Von Inter Mailand! Den Ex-Nationalspieler Kevin Volland! Von der AS Monaco! Den italienischen Europameister Leonardo Bonucci! Von Juventus Turin! Union, da waren sich nun fast alle einig, habe sich nachhaltig in der Spitze der Bundesliga etabliert. Und dann das. Systemabsturz, Abstiegskampf und das Ende von Urs Fischer als Trainer von Union Berlin.

Der Eindruck hinterlassen hat in seinen etwas mehr als fünf Jahren in Berlin. Und das beileibe nicht nur, weil sie einen rotes Panda-Baby nach ihm benannt haben.

Sendung: rbb24, 15.11.2023, 18 Uhr

Beitrag von Ilja Behnisch

20 Kommentare

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  1. 20.

    Ich hätte mit einfach mehr Analyse gewünscht, bevor eine der Seiten vielleicht falsche Schlüsse zieht. Es geht wohlgemerkt seit einigen Wochen bergab, nicht seit einer Saison. Für mich wirkt das nicht gerade reflektiert. Das können Sie ja gern anders sehen, ich denen trotzdem, dass in vielen Fällen ein Trainerabgang die denkbar schlechteste "Lösung" ist. Hertha ist da ein gutes Beispiel. Wie auch immer, jetzt isses so. Und die oder der Neue muss beweisen, dass es am Urs lag.

  2. 19.

    Eine Trainerentlassung, ist immer sehr traurig. Besonders bei Urs Fischer, hat er sich doch um den Verein sehr verdient gemacht. Irgendetwas scheint aber nicht mehr gestimmt zu haben.

  3. 18.

    Eben - Urs geht aus eigener Entscheidung. Auch das zeigt seine Stärke. Er bekam ein Team vorgesetzt, welches keines ist. Eines draus zu machen - dazu fehlte die Zeit.
    Anderen "keine Ahnung" zu unterstellen, nur weil sie vielleicht eine andere Meinubg haben als die eigene- halte ich für fragwürdig.

  4. 17.

    "was weiß ich"
    Das ist das Problem. Viel Meinung und wenig Ahnung. Der Trainer geht aus eigenem Antrieb, der Rest des Vereins kann dabei leider nur zugucken.

  5. 16.

    Genau wie Sie sehe ich das auch.
    Leider können wir Urs nicht zurückholen. Ein großartiger Trainer und ein großartiger Mensch - Danke und für die Zukunft alles Gute.

  6. 14.

    Undank ist des Welten Lohn. Der M.... Hat sein schuldigkeit getan. Das ist doch immer so. Bin zwar kein Fussball Fan. Aber, das hat er nicht verdient. Ich wünsche ihn für die Zukunft alles Gute. Tschüß.

  7. 13.

    Falsche Entscheidung. Immer dieses reflexhafte Opfern des Trainers. Hat man mal nach den Ursachen der Schieflage geforscht? Dass es sich nur darum handelt, dass sich die Gegner auf die Spielweise von Union eingestellt haben darf bezweifelt werden. Vielleicht hinterfragt man mal die Arbeitsweise des Mentalbeautragten, die Personalstrategie beim Spielereinkauf, was weiß ich. Dass Urs gehen muss wird den Verantwortlichen noch leid tun…

  8. 12.

    Es ist schade, wenn wie so oft das Ende traurig ist. Ich bin durch Bekanntschaft Unionfan geworden und habe/ werde die Zeit mit Union sehr genießen. Der Geist, den ich mehrmals z.B. beim Weihnachtssingen erleben durfte ist einfach unbeschreiblich.
    Für Urs Fischer + Familie alles Gute und Meeeega Dank.

  9. 11.

    Tja, der FCU ist eben NICHT einzigartig (Selbstdarstellung).
    Immerhin war U.F. sagenhafte fünf Jahre Angestellter in der Försterei! Nichts gegen ihn, was aber müsste in Aue beim Abgang von Männel mit über 500 Spielen passieren, wenn das Gewese um ihn proportional zum jetzigen um Urs Fischer sein soll??? Eine Ehrenbürgschaft? Ein Denkmal?
    Identifikation mit ständig wechselndem Personal????
    Aber zumindest ein "rbb-spezial" kommt heute 20:15 Uhr.
    Fehlt nur noch Halbmast vorm Rathaus Köpenick!
    Eine Dresdnerin als Co-Trainerin! Chapeau!
    "So wie die Sachsen heute arbeiten, werden die Berliner morgen leben!".....dieser Spruch aus DDR-Zeiten fiel mir dazu gerade ein!

  10. 10.

    Entzaubert!

  11. 9.

    Petri Urs! Bleibst mein Lieblingstrainer. Ahoi!

  12. 8.

    Ein trauriger Tag für Union Berlin, Zukunft sehr sehr fraglich.
    Die schöne Zeit ist vorbei, ich hoffe alle Unioner haben diese Zeit, wie ich, genossen.
    Eisern

  13. 7.

    Ich glaube nicht, das Urs Fischer lange "arbeitslos" bleibt. Super, sympathischer Mensch und Trainer. Alles Gute!

  14. 6.

    Jetzt ist es noch trüber geworden in den feuchten Auen der Wühle. Urs Fischer ist weg. Ich danke ihn für die tollen Jahre und wünsche ihm alles Glück für die Zukunft. Uns wünsche ich, dit bald die Sonne wieder scheient.
    U.N.V.E.U.

  15. 5.

    Das gab es alles schon... Jürgen Röber hat die Hertha aus der 2. Bundesliga ebenso in die Champions League geführt. Dort wurde sogar die 2.Runde erreicht...

  16. 4.

    Wie traurig. Vielen Dank an Urs Fischer für alles was er geleistet hat und alles Gute für die Zukunft.

  17. 3.

    Ein wahrlich schwarzer und extrem trauriger Tag für Union und natürlich für alle Union-Fans. Was Urs Fischer hier geleistet hat, ist einfach unbeschreiblich. Die hoffentlich wirklich einvernehmliche Entscheidung ist nachvollziehbar. Obwohl die Spieler nicht frei von Schuld sind an dem Systemabsturz ab. Vielleicht sollte man da auch noch den einen oder anderen überdenken …
    Es zeigt aber auch, dass Union nicht frei von den Gebaren des Profifussballs ist.
    Danke Urs Fischer, Fußballgott, alles Gute

  18. 2.

    Es war eine superleistung von urs Fischer Union soweit zu bringen. Das muss ihm erstmal ein Trainer nachmachen!! Ich wünsche ihm alles Gute für den weiteren Lebensweg. Und...Kommen Sie zu hertha (zwinker). Da kann man einen guten Trainer gebrauchen.

  19. 1.

    Was in Erinnerung aller Journalisten bleiben wird, ist Urs Fischers Art. Vor jeder PK vor den Spielen hat er jeden Journalisten per Handschlag begrüßt. Was viele Berliner Fans nicht wissen: der stolze Vater Urs und seine erfolgreiche Tochter Riana Fischer.

    Riana hat im Fußball ihre eigene Geschichte geschrieben. Fischer und Fischer. Riana wurde bei ihrem Karriereende mit dem FC Zürich in der Saison 2021/2022 zum achten Mal Schweizer Meisterin, er ist der gefeierte Trainer in der Bundesliga.

    Ihr letztes Spiel bestritt Tochter Riana am 6. Juni 2022: Der FCZ siegte im Play-off-Final gegen Servette Chênois im Penaltyschiessen und krönte sich zum Schweizer Meister. Die Juniorinnenjahre eingerechnet, hatte Tochter Riana Fischer damit 20 Jahre für den FCZ gespielt. Urs und Riana machen dasselbe, aber bewegen sich in komplett anderen Welten. Riana Fischer plant ihren beruflichen Weg als Sportmanagerin im Frauenfußball fortzusetzen. Riana Fischer wird ihrem Vater zur Seite stehen.

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