Rückkehrertage in Brandenburg - Wie Brandenburger Städte die Feiertagsbesucher festhalten wollen

Di 27.12.22 | 14:27 Uhr
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Rückkehrertag in Guben (Bild: rbb/Schilka)
Rückkehrertag in Guben | Bild: rbb/Schilka

Wenn Brandenburger zu Weihnachten und Silvester in ihre Heimat zurückkehren, dann wollen einige Städte und Gemeinden das ausnutzen. Sie veranstalten Rückkehrertage und bieten Arbeitsplätze und Wohnungen an. Manchmal klappt's. Von Florian Ludwig

Gelassen schiebt Anja Brülke ein Krankenbett durch die Flure des Gubener Naemi-Wilke-Stifts. Im Zimmer angekommen, schließt sie die Patientin an die Überwachungsgeräte an. Sie wechselt Verbände, legt Zugänge und misst den Blutdruck - all das, was zu ihrer Arbeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin gehört.

Anja Brülke ist gebürtige Gubenerin. Ihren jetzigen Ehemann lernt sie bereits in der Schule kennen. Doch als es um das Thema Ausbildung geht, wenden sich beide von der Neißestadt ab. Brülke geht in die Nähe von Mainz, ihr Mann nach Hamburg. Nach einem Zwischenstopp in Berlin zieht Anja Brülke zu ihrem Mann in den Norden. Als schließlich die Kinder geboren werden, wächst das Heimweh. Die Kinder sollen möglichst nah bei den Großeltern aufwachsen. Das Ehepaar zieht es zurück in den Südosten Brandenburgs.

Junge Familien sollen zurückgeholt werden

Seit drei Jahren ist Anja Brülke zurück in Guben. Der Schritt aus der Großstadt zurück sei nicht leicht gewesen, sagt sie. Doch Hamburg sei ihr irgendwann zu viel geworden. "Wir haben gemerkt, wir wollen diesen Rückschritt, ein bisschen mehr Ruhe im Familienleben", sagt die Krankenpflegerin. Nach 15 Jahren in der Ferne kehrte sie schließlich zurück.

Anja Brülke ist quasi der Prototyp dessen, was zahlreiche Städte in Brandenburg mit ihren Rückkehrertagen ansprechen wollen. Die Gemeinden wollen gezielt junge Familien zurück in die Mark holen. Die Rückkehrertage, etwa in Cottbus, Calau, Senftenberg oder eben Guben in dieser Woche sollen ein Austauschforum für diejenigen sein, die wegen der Feiertage ohnehin in der alten Heimat zu Besuch sind. Guben leistet sich sogar eine eigene Willkommensagentur. Neben Zuzüglern soll die auch Rückkehrer gezielt ansprechen. Der Rückkehrertag am Dienstag ist dabei nur ein Teil des Konzepts.

Austauschen und Kontakte knüpfen

Die Wirtschaft setzt auf die Rückkehrer im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Es sei zuweilen "existenzbedrohend", so Stefan Zupp von der Cottbuser Handwerkskammer (HWK). "Arbeit ist sehr viel da, viele Aufträge können nicht fristgerecht erledigt werden", so Zupp. Er schätzt, dass die Rückkehrertage in den letzten Jahren jeweils etwa 50 Menschen zurück nach Südbrandenburg geholt haben. Die Familienmitglieder, die ebenfalls in die Region kommen, sind dabei nicht mitgerechnet.

Saxophon-Musik, Tee und eine eigene Ausstellung zum Thema "Warum in die Ferne schweifen?" sollen mögliche Rückkehrer in Calau (Oberspreewald-Lausitz) wieder von ihrer alten Heimat überzeugen. Hier hat die Wohnungsbaugesellschaft eingeladen. Das Ziel: neue Bekanntschaften in der alten Heimat. "Leute, die hier zu Besuch sind oder die zu uns gekommen sind, haben kaum Kontakte", sagt Geschäftsführerin Marion Goyn. Beim Rückkehrertag sollen die Interessierten beispielsweise auch nach ihren Hobbys gefragt werden - um dann in die entsprechenden Vereine vermittelt zu werden. Die Calauer Rückkehrertage sollen nicht auf die Weihnachtszeit begrenzt bleiben. Zukünftig, so Goyn, sollen sie vier Mal im Jahr stattfinden.

Guben braucht Fachkräfte

In Guben wird der Rückkehrertag gleich etwas größer aufgezogen. Über 20 Firmen präsentieren sich am Dienstag. Sie alle haben Jobs im Angebot und würden diese am liebsten an ehemalige Gubener vergeben. Auch das Wilke-Stift, in dem Anja Brülke gelandet ist, setzt auf die Rückkehrer. "Rückkehrer sind eine besondere Verstärkung, weil sie die Region und die Mentalität kennen", sagt der Leiter des Notfallzentrums, Rutker Stellke. Zudem sei es hilfreich, dass die Rückkehrer in der Regel keine Berufsanfänger seien und zum Teil auch die Strukturen des Hauses bereits kennen würden, so Stellke. Hinzu kommt: "Wer mehrere Eindrücke gesammelt hat, kann aus einem reichhaltigeren Erfahrungsschatz schöpfen", sagt Stellke. Zumindest eine Zeit lang außerhalb der Heimat zu leben habe also Vorteile.

Insbesondere Guben braucht Fachkräfte. Mehrere Großansiedlungen aus der Industrie benötigen Arbeiter. Auch deshalb bemüht sich die Stadt besonders um Rückkehrer. Es gehe dabei nicht nur um die Besucher, die zwischen Weihnachten und Neujahr in der Stadt sind, so Gubens Bürgermeister Fred Mahro (CDU). Es gehe auch um die Einwohner, die täglich zur Arbeit aus Guben herauspendeln - immerhin 2.700 Menschen, so Mahro. Dabei würden auch in Guben selbst zahlreiche Fachkräfte benötigt. "Wir sind erst am Beginn des Strukturwandels in der Lausitz. Umso wichtiger sind solche Tage", so Mahro.

Vor allem in der Industrie würden die Fachkräfte benötigt. Chemiker seien beispielsweise bei der Agentur für Arbeit gar nicht mehr gelistet, so Mahro. Diese seien praktisch nie arbeitslos. Auch die Neuansiedler seien auf Fachkräftesuche. Mahro betonte, das Angebot richte sich an alle: Rückkehrer, Umzugswillige, Zugewanderte, Flüchtlinge.

"Es ist schwierig jemandem zu sagen, 'geh in die Kleinstadt', wenn er dort niemanden kennt"

Familie Brülke ist unterdessen wieder in Guben angekommen. Doch das liegt auch daran, dass der familiäre Anker schon immer in Guben war. Anja Brülke musste nicht erst neue Bekanntschaften schließen. "Wir haben einen stabilen Freundes- und Familienkreis gehabt, uns konnte gar nicht langweilig werden", sagt sie.

Und sie empfiehlt diesen Schritt auch anderen. "Wenn man sagt, man möchte entschleunigen, man möchte dem stressigen Alltag entfliehen, dann ist es wirklich einfacher, das in einer kleineren Stadt zu machen", sagt sie. "Aber es ist auch schwierig, jemandem zu sagen 'Geh in die Kleinstadt', wenn er dort niemanden kennt", so Brülke. Negative Folgen ihres Umzugs sieht sie nicht. In Hamburg sei sie 20 Minuten zum Kino gefahren, in Guben dauere das etwas länger. Und auch in der Großstadt sei es schwierig, beim Arzt unterzukommen. All das wiege das positive Gefühl, das sie in ihrer alten Heimat spürt, nicht auf.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 27.12.2022, 19:30 Uhr

8 Kommentare

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  1. 8.

    "...am Elbstrand,..."
    Da muss ich mal wieder hin - in die "Strandperle". Danke für den "Schubser".

  2. 7.

    Spricht da ein Blinder über Farbe. Vielleicht erst anschauen, dann urteilen. Besser als Brandenburg ist es aber auf alle Fälle. Und in den Randbezirken wie beschrieben findet man auch die Kombination aus Dorf und trotzdem Kultur, Weltoffenheit und Flair! statt ländlicher Ödnis und Tristesse

  3. 6.

    Da in den Städten ein Quadratmeter im Wohnungsbau aktuell rund 4000 Euro kostet, sollte nunmehr mit Hochhausbau im ländlichen Bereich mit geringeren Bodenrichtwerten schnellstens begonnen werden, damit man die 400.000 Wohnungen pro Jahr noch schafft.

  4. 5.

    Herr Stolpe hatte vor Jahren gesagt: Bleiben Sie hier, es wird sich lohnen. Er hat es etwas anders gemeint, aber was hat sich bis heute geändert um zu bleiben? Die Rentenpunkte können es nicht sein. Darum wird man, was die Chancen betrifft, bis heute betrogen... und hat weitreichende Konsequenzen. Auch Politische.

  5. 4.

    "Diesen Trend sehe ich auch bei anderen, die ab 30 zurück in die Heimat streben."

    Ein "Trend", der aber im Vergleich zu sinkenden Einwohnerzahlen und steigendes Durchschnittsalter in Städten abseits der direkten Ballungsräume ausrichtet.

  6. 2.

    Ich bin auch nach fast 10 Jahren Berlin zurück "aufs Dorf". Die Großstadt ist als gerade volljähriger Mensch halt reizvoll, aber es wurde mir zu laut, zu hektisch,zu viel. Man ist gefühlt nur im Stress und am hetzen: zur Schule, zur Arbeit, nach Hause und dann natürlich noch "was unternehmen". Zahlt Mieten in astronomischen Höhen um dann täglich stundenlang mit den Öffis zu pendeln. Was für eine verschwendete Lebenszeit!

    Je älter ich wurde desto mehr kam die Sehnsucht nach der "alten" Ruhe. Und wenn dann noch eigene Kinder dazukommen ist die Hilfe der Familie einfach unbezahlbar. Diesen Trend sehe ich auch bei anderen, die ab 30 zurück in die Heimat streben.

  7. 1.

    Hamburg oder Guben? Dann ganz klar lieber in Hamburg an den Rand z.B. ins nördliche Eimbüttel ziehen, wenn man es etwas ruhiger haben möchte. Dort hat man dort, ist aber auch in 15 min. am Elbstrand, der Elbphilharmonie, in Planten un Blomen oder in 10 min. im Stadtpark. Hamburg, das Venedig des Nordens, hat Flair, Kultur, jede Menge grün und ist die schönste Stadt Deutschlands, da wirkt der Vergleich mit Guben schon sehr konstruiert, weil die Wahl eindeutig immer zugunsten von Hamburg ausfällt.

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