Annalena Baerbock an der Oder - Vorkommen des Baltischen Goldsteinbeißers in Deutschland wahrscheinlich erloschen

Annalena Baerbock hat sich Donnerstag über die Situation an der Oder nach dem Fischsterben informiert. Reitwein ist ein besonderer Ort: Dort gab es nicht nur auf polnischer, sondern auch auf deutscher Seit Eingriffe in den Fluss. Von Fred Pilarski
Einen persönlichen Eindruck wollte sie gewinnen von der Situation an der Oder. Nicht als Bundesaußenministerin sei Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) nach Reitwein (Märkisch-Oderland) gekommen, sondern als Brandenburger Bundestagsabgeordnete.
Der Oder sei die deutsche Innenpolitik ziemlich egal und die polnische auch, sagte die Grünen-Politikerin: "Aber für die Oder ist wichtig, dass wir dieses sensible Ökosystem für die Zukunft erhalten."
Zerstörungen durch Militärübungen
Die Stelle, an der sich Baerbock über die Oder informierte, hat eine besondere Geschichte. Während des Kalten Krieges trainierten die Warschauer-Pakt-Armeen bei Reitwein Flussüberquerungen und zerstörten mit amphibischen Kettenfahrzeugen und Pontonbrücken die Ufer. Alte Buhnen, die den Fluss bis dahin in der Mitte hielten, zerbröselten zu kleinen Inseln. Der Natur kam das zugute. Unter Binnenschiff-Kapitänen war die Stelle allerdings gefürchtet: Durch die chaotischen Strömungsverhältnisse waren dort immer wieder Schiffe auf Grund gelaufen.
Diese Problemstelle wurde auf deutscher Seite schon vor einigen Jahren entschärft. Mit einem Parallelwerk, einer Art Mole, die mehrfach durchbrochen ist. Das Ergebnis: Ruhige Flachwasserzonen und stärker durchströmte Bereiche wechseln sich im Schutz des Parallelwerks weiterhin ab. Die kleinen Inseln konnten erhalten werden.
Bis zur Umweltkatastrophe beobachteten Wissenschaftler an dieser Stelle eine reiche Fischfauna. Darunter das einzige Vorkommen des Baltischen Goldsteinbeißers in Deutschland.
Population des Goldsteinbeißers wohl erloschen
"Ich befürchte, dass die Population erloschen ist, weil sie sehr klein war", sagt der Wissenschaftler Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. "Hier kamen zwei Dinge zusammen. Der Ausbau der Oder und die Giftwelle. Und wir wissen noch nicht, was überlebt hat von der Population."
Vor der Vergiftung konnte die Reitweiner Vorzeigebuhne die Fische und Muscheln also nicht schützen. Vor dem Niedrigwasser im Sommer auch nicht. Und erst recht nicht vor dem Stress durch die Baggerarbeiten während der Laichzeit im Frühjahr - genau gegenüber auf der polnischen Seite. Dort wurden seit März konventionelle Buhnen aufgeschüttet, die das Wasser in die Strommitte lenken sollen – ein Teil des umstrittenen polnischen Ausbauprogramms, mit dem die Oder vertieft werden soll.
Wenig Hoffnung auf Ausbaustopp
Manche Naturschützer halten selbst die sogenannte Ökobuhne in Reitwein für einen überflüssigen Eingriff in den Fluss. Für die Experten der Bundeswasserstraßenverwaltung schien sie bislang eine Möglichkeit zu sein: dass sich Schifffahrt und Natur doch noch miteinander versöhnen lassen.

Die Hoffnung, mit der polnischen Seite über den Ausbau der Oder grundsätzlich ins Gespräch zu kommen, scheint derzeit allerdings gering. Beim jüngsten Treffen der der deutschen und polnischen Umweltministerinnen vergangene Woche in Bad Saarow (Oder-Spree) gab es in dieser Hinsicht kein Entgegenkommen von polnischer Seite.
Friedliches Zusammenleben
Während Bundesumweltminsterin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) einen Ausbaustopp für die Oder fordert, äußert sich Annalena Baerbock in Reitwein zurückhaltend diplomatisch: Es sei ein Segen, dass beide Länder an dem Fluss friedlich zusammenleben, betont sie. In diesem Geist müsse die Zusammenarbeit gestaltet werden. Gleichzeitig gelte jedoch auch an der Oder europäisches Umweltrecht.
Das könnte ein indirekter Hinweis auf die Europäische Wasserrahmenrichtlinie sein, nach der Eingriffe in Gewässer keinesfalls zu einer Verschlechterung der Wasserqualität führen dürfen.
Sendung: rbb|24 Brandenburg Aktuell, 01.09.2022, 19:30 Uhr