Fluchtroute über Belarus - Lage an polnischer Ostgrenze spitzt sich zu

Mo 08.11.21 | 18:57 Uhr
Polnische Polizisten stehen hinter einem Stacheldrahtzaun, während sich an der weißrussisch-polnischen Grenze Migranten versammelt haben. Mehrere Hundert Migranten haben sich nach Angaben der Behörden in Belarus zu Fuß auf den Weg zur Grenze zum EU-Nachbarland Polen gemacht. (Quelle: dpa/L. Shcheglov)
Audio: Inforadio | 08.11.2021 | Jan Pallokat | Bild: dpa/L. Shcheglov

Hunderte Geflüchtete sind auf belarusischer Seite an der Grenze zu Polen angekommen. Armee, Grenzschutz und eine Art Freiwilligenarmee sind alarmiert. Derweil registriert die Bundespolizei weiter viele illegale Grenzübertritte nach Brandenburg.

Es ist bislang der größte Versuch, die polnisch-belarusische Grenze gewaltsam zu durchbrechen, wie ein polnischer Regierungssprecher am Montag sagte. Auch belarussische Behörden hatten bestätigt, dass eine größere Gruppe Menschen auf der Autobahn Richtung Polen unterwegs sei.

Aufnahmen in sozialen Medien zeigten menschenleere Straßen in der belarusischen Hauptstadt Minsk, wo zuvor noch zahlreiche Migranten aus der Golfregion und dem Nahen Osten unterwegs gewesen waren. Weitere Aufnahmen eines Trecks hunderter offenbar zumeist männlicher Migranten in Grenznähe vervollständigten das Bild.

Das polnische Verteidigungsministerium veröffentlichte bei Twitter ein Video aus einem Hubschrauber, das eine große Gruppe Menschen an einem mit Stacheldraht gesicherten Grenzabschnitt in der Nähe von Kuznica zeigt.

Seitenschneider kontra Pfefferspray

Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes gab es am Montag wiederholte Versuche, die Grenze unerlaubt zu überqueren, die aber allesamt vereitelt worden seien. Aufnahmen der Behörde zeigten Männer mit Seitenschneidern beim Versuch, Stacheldraht zu beseitigen und polnische Grenzschützer, sie unter Einsatz von Pfefferspray daran zu hindern.

Unterschiedliche Angaben gab es, wie es bislang zu dem größten Marsch einer einzelnen Gruppe von hunderten Migranten an die belarusisch-polnische Grenze kam. Den polnischen Behörden zufolge handelt sich um eine weitere Provokation des belarussischen Staates, der die Migrantengruppen insgesamt steuere und kontrolliere. Der Vize-Außenminister Polens mutmaßte, die belarusische Seite wolle größere Zwischenfälle provozieren, etwa Schüsse und Todesopfer. Die Migranten würden von belarusischen Einheiten eskortiert, hieß es aus Warschau weiter.

Polnischen und unabhängigen belarusischen Medien zufolge indes, die sich teilweise auf Teilnehmer der Gruppe bezogen, handelt es sich um eine Eigeninitiative von Migranten, die sich ordentlich an einem nahen Grenzübergang um Einreise nach Polen bemüht hätten, beziehungsweise ein Zeichen setzen wollten.

Zuletzt schien es, als wenn die Gruppe zwischen eigentlichem Grenzzaun und einer weiteren Umzäunung auf belarusischer Seite eingeklemmt sei. Die polnische Regierung rief Anwohner zu besonderer Wachsamkeit auf.

Polnische Regierung lässt im Grenzgebiet keine Journalisten zu

Unabhängig kann die Lage von polnischer Seite nicht überprüft werden, da die Regierung Journalisten und andere Beobachter offiziell nicht an die Grenze lässt und Aufnahmen auch Anwohnern verboten sind, wie ein ARD-Reporter bestätigte. Ein Netzwerk polnischer Hilfsorganisationen hatte zuvor bereits vor drohenden Zusammenstößen gewarnt; unter vielen Migranten habe sich eine gefährliche Stimmung von Frustration und Verzweiflung breit gemacht.

Polnischer Grenzschutz stockt personell auf

Seit Monaten geraten Migranten an der polnischen EU-Außengrenze zwischen die Fronten; Polen lässt sie nicht rein, Belarus aber auch nicht wieder zurück, viele campieren teils seit Wochen im Wald. Polen hat zur Verstärkung des Grenzschutzes nach offiziellen Angaben 10.000 Soldaten zusätzlich im Einsatz. Das Land versetzte die sogenannte Territorialverteidigung, eine Art Freiwilligenarmee, in Alarmbereitschaft. Premier Mateusz Morawiecki erklärte, die polnische Staatsgrenze sei "heilig" und rief zu ihrem Schutz zu einem lagerübergreifenden politischen Konsens auf.

1.000 Geflüchtete aus Belarus in einer Woche in Deutschland angekommen

Unterdessen meldet die Bundespolizei am Montag, dass in der ersten Novemberwoche knapp 1.000 unerlaubte Einreisen mit Bezug zu Belarus registriert worden, viele davon in Brandenburg. Damit erhöhe sich die Gesamtzahl im laufenden Jahr auf etwas mehr als 8.800.

Polen und andere Staaten werfen Belarus vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen ins Land zu holen und dann weiter in Richtung EU zu schicken. Polen versucht, das zu verhindern. Die Migranten sitzen teilweise im Grenzegebiet fest.

Sendung: Inforadio, 08.11.2021, 15 Uhr

Mit Material von Jan Pallokat

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