Comeback der Stechuhr - Elektronische Arbeitszeiterfassung gilt bald für (fast) alle

Im vergangenen September urteilte das Bundesarbeitsgericht, dass künftig nicht mehr nur Überstunden, sondern sämtliche Arbeitszeiten erfasst werden müssen. Politik und Wirtschaft fragen sich nun, wie sich das umsetzen lässt. Von Martin Küper
Es ist erstmal nur ein Referentenentwurf, den das Bundesarbeitsministerium im April vorgelegt hat [tagesschau.de], um ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts umzusetzen. Doch dieses ist unmissverständlich: "Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen", heißt es da.
Eine Auflistung zum Monatsende zum Beispiel ist damit nicht mehr möglich, und auch die Verantwortlichkeit ist klar festgelegt: Der Arbeitgeber ist in der Pflicht. Klar ist damit auch: Jeder Betrieb muss nun eine elektronische Lösung finden, diese Forderung umzusetzen. Da es erst ein Gesetzentwurf ist, läuft parallel eine politische Diskussion, wie sinnvoll und praktikabel das ist - und auch die Wirtschaft ist auf der Suche nach einem Weg, der das Arbeitsgerichtsurteil umsetzbar macht.
Eine App für die Zeiterfassung
Für viele Baubetriebe zum Beispiel gehört es zum Standard, die Arbeitszeit ihrer Maurer, Maler und Trockenbauer aufzuzeichnen, da sie nach geleisteter Arbeitszeit bezahlt werden. Eine bezahlbare elektronische Lösung könnte nun eine App sein, die das Potsdamer German Deep Tech Institute entwickelt hat.
Der Berliner Bauunternehmer Eckhard Schulte testet sie seit einem Jahr auf seinen Baustellen. Seine Arbeitnehmer drücken einen Start- beziehungsweise einen Stoppbutton, und melden sich auch zur Pause ab und wieder an. Überwacht fühle sich dadurch niemand, sagt Schulte: "Das war am Anfang natürlich ein Thema. Aber die App überträgt das GPS-Signal nur in dem Moment, in dem derjenige sich einloggt und sich wieder ausloggt. Ansonsten werden keine Bewegungsprofile erstellt oder sonstige Dinge." Außerdem funktioniere das GPS nur auf den zugeordneten Baustellen.
Genauer als Papier
Für Maurer Kevin Jänicke beginnt der Arbeitstag in der Regel um sieben Uhr. Kommt er nun zum Beispiel schon um 6.52 Uhr und loggt sich ein, bekommt er auch diese Zeit ausbezahlt. Das sei in jedem Fall gerechter als die pauschal aufgelisteten Standard-Arbeitszeiten von früher, argumentiert sein Chef Eckhard Schulte und auch Jänicke ist zufrieden: "Es ist für mich eine Arbeitserleichterung: Ein Knopfdruck und unser Büro hat es gleich auf dem Computer und sieht das."
Dazu gibt es noch ein Argument, das sein Chef aufführt: Berlin sei die Hauptstadt der von ihm als "Teilzeitmaurer" bezeichneten Kollegen, die angeben, nicht Vollzeit zu arbeiten. Mit einer App könne man nun besser sehen, wie viel Zeit sie tatsächlich auf den Baustellen verbringen und sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind – und nicht eben unter Umständen schwarz einfach weiterarbeiten.
Es wird wohl noch dauern
Begonnen hatte die Diskussion um die Erfassung mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mai 2019, das die Arbeitgeber in der EU zur Zeiterfassung verpflichtete. Über das Bundesarbeitsgericht kam es nun zu dem ersten Gesetzentwurf, der aber gerade kleinen Betrieben auch nach einer Verabschiedung noch jahrelange Übergangsfristen einräumt.
Vor der Verabschiedung des Gesetzes steht die Debatte. Nicht nur zahlreiche Wirtschaftsverbände haben Bedenken wegen der zu erwartenden Kosten und des bürokratischen Aufwands, auch in der Politik regt sich Widerstand.
Viele Unternehmen sind noch ratlos
Eckhard Schulte ist einer der wenigen Unternehmer, der sich zu dem Thema Arbeitszeiterfassung äußert - die meisten Unternehmen, die man dazu anfragt, halten sich lieber bedeckt. Das liegt auch daran, dass eventuelle Entscheidungen auch immer mit den Betriebsräten abgestimmt werden müssen.
Viele elektronische Zeiterfassungsinstrumente haben zudem eine datenschutzrechtliche Seite, die genau geprüft werden muss. Denn die Grenze zwischen Erfassung und Überwachung ist schmal, darf aber nicht überschritten werden. Der vorliegende Entwurf räumt auch die Möglichkeit ein, auf elektronische Erfassung zu verzichten, wenn beide Seiten, also Management und Betriebsräte sich darauf verständigen können. Für kleinere Betriebe, die nicht mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen, soll es keine Pflicht zur elektronischen Aufzeichnung geben.
Ausnahmen für leitende Angestellte
Sicher scheint auch zu sein, dass leitende Angestellte ihre Arbeitszeiten nicht dokumentieren müssen. Da die Regelung der Arbeitszeiterfassung Teil des Arbeitszeitgesetzes werden wird, sind sie eine bereits dort definierte Ausnahme. Für Manager, Chefärzte und Leiter öffentlicher Dienststellen zum Beispiel gilt dieses Gesetz schon jetzt nicht. Auch häusliche Pflege und der liturgische Bereich von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ist schon jetzt ausgenommen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 20.05.2023, 19:30 Uhr