Interview | "Human Rights Film Festival" - "Überall wurden gleichzeitig rote Linien überschritten"

Do 13.10.22 | 07:15 Uhr
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Gespräch zu Storytelling und Aktivismus beim Human Rights Filmfestival Berlin. (Quelle: humanrightsfilmfestivalberlin.de/Dovile Sermokas)
Audio: rbb24 Inforadio | 13.10.2022 | Jakob Bauer | Bild: humanrightsfilmfestivalberlin.de/Dovile Sermokas

Das "Human Rights Film Festival" startet am Donnerstag mit einem schonungslosen Programm. Im Mittelpunkt stehen Menschenrechtsverletzungen. Nur ums Hinschauen soll es bei diesem Festival aber nicht gehen, erklärt die Festival-Direktorin im Gespräch mit Jakob Bauer.

Zur Person

Anna Ramskogler-Witt Festival Direktorin HRFFB. (Quelle: humanrightsfilmfestivalberlin.de)
humanrightsfilmfestivalberlin.de

Anna Ramskogler-Witt ist studierte Kunsthistorikerin. Seit 2008 beschäftigt sie sich beruflich mit dem Spannungsfeld zwischen Kultur und Menschenrechten. 2019 hat sie die Leitung des Human Rights Film Festivals in Berlin übernommen.

Vom 13. bis zum 23.10. findet zum fünften Mal das "Human Rights Film Festival" in Berlin statt. Festivalzentrum wird die Villa Elisabeth in Mitte sein. In acht Kinos und digital zum Stream sind 43 Filme zu sehen, bis auf wenige Ausnahmen alles Dokumentarfilme. Dazu gibt es Workshops und Gesprächsrunden in den Reihen "Talking Humanity" und "Human Rights Forum" sowie eine Foto- und eine Virtual-Reality Ausstellung im Festivalzentrum Villa Elisabeth. Anna Ramskogler-Witt leitet das Festival seit 2019.

rbb|24: Beyond Red Lines - Jenseits von roten Linien, das ist das Motto des diesjährigen Festivals. Was steckt dahinter?

Anna Ramskogler-Witt: Die Idee dazu ist uns kurz nach dem Festival letztes Jahr gekommen. Die Lage hat sich weltweit zugespitzt. In Afghanistan kam es zur Machtübernahme der Taliban, in der Ukraine hat man gemerkt: Irgendetwas passiert. An ganz vielen Orten auf der Welt sind Krisen aufgelodert. Überall wurden gleichzeitig rote Linien in Bezug auf die Menschenrechte überschritten. Und wir waren irgendwann fast in einer Winterdepression und dachten uns: Krass, was passiert jetzt? Dann haben wir gesagt: Okay, wir schauen uns beim nächsten Festival an, wie man aktiv werden kann, wenn diese roten Linien überschritten wurden. Wir zeigen Menschen, die trotzdem nicht aufgeben.

Haben Sie da Beispiele aus dem Programm?

Ein sehr positives Beispiel ist "Bigger Than Us". Der Film erzählt die Geschichte von jungen Aktivist:innen weltweit, die Projekte gestartet haben, um in ihrem Umfeld kleinere oder größere Veränderungen zu schaffen. Da gibt es einen jungen syrischen Geflüchteten, der in seiner Umgebung ein Schulprojekt startet. Eine andere Protagonistin des Films schafft es, dass Plastiktüten in ihrem Heimatland verboten werden.

Ein trauriges Beispiel ist unser Eröffnungsfilm "Ithaka". Da geht es um den Kampf von Julian Assanges Familie für seine Freilassung. Man kann unterschiedlicher Meinung zum Fall Julian Assange sein, aber die Art und Weise, wie mit diesem Menschen umgegangen wird, was er erleiden muss, da ist definitiv eine rote Linie überschritten. Auch in Bezug auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Nach diesem Präzedenzfall kann eigentlich jeder Herausgeber einer Zeitung, der geleakte Dinge publiziert, ausgeliefert werden. Ich finde es krass, wie die Familie von Assange gegen die permanente Überschreitung dieser roten Linie kämpft. Am Tag der Eröffnung werden dann auch der Vater von Julian Assange, seine Verlobte und sein Halbbruder da sein, der den Film auch produziert hat.

Was können Filme im Kampf für Menschenrechte leisten?

Ich habe neulich mit einer jungen afghanischen Aktivistin geredet, an dem Tag, an dem eine Bombe in einer afghanischen Schule hochging. Sie hat gesagt: "Anna, ich kann es nicht mehr hören, die ganze Zeit wird nur geredet und keiner macht etwas." Filme können erst einmal auch nur eine Konversation starten, die Aufmerksamkeit auf etwas lenken, aber sie können eben so stark wirken, dass man merkt: Es reicht eben nicht, nur hinzuschauen. Wir wollen Ansatzpunkte liefern, wie man selbst aktiv werden kann.

Filme können so stark wirken, dass man merkt: Es reicht eben nicht, nur hinzuschauen. Wir wollen Ansatzpunkte liefern, wie man selbst aktiv werden kann.

Warum legen Sie beim Festival den Schwerpunkt auf Dokumentarfilme?

Der Dokumentarfilm kann über persönliche Erzählungen Gefühle bei uns wecken und dadurch einen starken Zugang zum Thema schaffen. Wenn ich sage: Im letzten Jahr sind Tausende Menschen im Mittelmeer ertrunken, dann löst das ein bisschen Betroffenheit aus, aber keine krasse Emotion. Anders sieht es aus, wenn ich die reale Geschichte einer Mutter erzähle, die mit einem Boot im Mittelmeer gekentert ist - und diese Mutter für ihre zwei Kinder nur eine Rettungsweste hatte und sich entscheiden musste, welches Kind sie rettet, weil die Rettungsweste nicht alle tragen konnte. Dann versteht man die Grausamkeit der Situation besser.

Welche Rolle spielen aktuelle Konflikte - Iran, Ukraine, Afghanistan - beim Festival?

Wir haben eine Reihe zum Thema Ukraine. "Generation Euromaidan" von Kristof Gerega wird bei uns als Weltpremiere zu sehen sein. Der Film folgt drei Aktivist:innen in der Ukraine, die erst zu Parlamentsabgeordneten und dann mit dem Krieg in der Ukraine konfrontiert wurden. Es gibt mehre Filme zu Afghanistan und das iranische Regime wird im Berlinale-Gewinner von 2020 "There Is No Evil" thematisiert. Darüber hinaus gibt es die Gesprächsserie "Talking Humanity", in der wir auf tagesaktuelle Themen eingehen und sie mit den Filmen kontextualisieren.

Das Thema Menschenrechte ist zurzeit auch in politischen Diskussionen präsent. Von Russland will man kein Gas mehr, stattdessen klopft Deutschland in Katar an. Und obwohl die Menschenrechtslage in Ländern wie China oder Iran auch katastrophal ist, bleiben beide Länder wichtige Handelspartner von Deutschland. Wie wird diese ambivalente Gegenwartsdebatte auf dem Festival geführt?

Wir hatten schon immer Beiträge auf dem Festival, die sich mit der Verantwortung im Spannungsfeld von Wirtschaft und Menschenrechten auseinandergesetzt haben. Dieses Jahr haben wir einen Film von Oscar-Preisträger Danis Tanovic im Programm, der heißt "Tigers". Da geht es um die aggressive Werbekampagne von Nestlé in Pakistan für einen Muttermilchersatz, der zum Tod von sehr vielen Kindern geführt hat, weil das Mittel mit unsauberem Wasser zubereitet wurde. Es gibt in diesem Spannungsfeld viel was wir diskutieren müssen.

Klar, ich würde am liebsten sagen: Alles boykottieren! Aber macht das die Situation der Menschen im Iran wirklich besser, wenn es harte Wirtschaftssanktionen gibt? Oder können sich die Menschen nicht besser selbst wehren, wenn es ihnen wirtschaftliche besser geht? Ich weiß es nicht. Und ich habe so unfassbar großen Respekt, vor allem vor den Frauen, die gerade im Iran auf die Straße gehen. Sie wissen, dass ihnen Gewalt und im schlimmsten Fall der Tod droht. Das ist wahre Zivilcourage. Und wir haben Angst davor, dass es im Winter bei uns kalt wird.

Beim Festival legen Sie den Fokus speziell auf das Thema Menschenrechte. Wie schaut es denn im Mainstream-Kino aus? Hat das Thema da genug Sichtbarkeit?

Zum Teil. Es kommt bald ein Film vom Regisseur Lars Kraume heraus, der sich mit dem Genozid in Namibia beschäftigt. Und es gibt immer wieder solche Filme, die auch im Mainstream erfolgreich sind, ein prominentes Beispiel ist "Blood Diamond" mit Leonardo Di Caprio. Es könnte aber vor allem im deutschen Kino mehr sein. Und es wäre schon mal ein guter Ansatzpunkt, wenn Filme ihre Stereotypen in Frage stellen würden, da wird noch viel mit Rassismen und Sexismen gespielt.

Ein anders Beispiel ist Folter. Folter wird in Filmen oft verharmlost. Ich schaue selbst total gerne Action-Filme. Ich mag es, wenn der Held gewinnt, und ich finde es unerträglich, wenn der Böse knapp davor ist, sich durchzusetzen. Aber man muss sich immer bewusst machen: Dadurch, dass wir es im Film so darstellen, dass es total okay und eben notwendig ist, dass der Held dem jetzt eine reinhaut, oder ihm die Knarre an die Schläfe hält, ihn foltert, erschaffen wir ein Narrativ, das im Mainstream ankommt: Dass Folter ja vielleicht doch okay ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jakob Bauer für rbb24 Inforadio. Bei der vorliegenden Fassung handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Version.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.10.2022, 7:55 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Eindeutig mehr Leute auf „ihre Seite ziehen“ würde gelingen, wenn man die Sprache der Angesprochenen richtig verwendet statt auszugrenzen (wer gehört dazu, wer nicht): Der geschlechtsneutrale Plural ist überall gleich anerkannt, was man leicht im privaten Umfeld merkt, ob man einsam wird oder nicht... und einfacher ist es auch noch.... und kürzer auch...

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