Wohnungsmarkt - CDU will Mietpreise aller Berliner Wohnungen registrieren
Die Abgeordnetenhausfraktion der CDU sieht eine Notlage auf dem Berliner Wohnungsmarkt und präsentiert ein Hilfspaket für Miethaushalte. Auch einen Plan der rot-grün-roten Koalition greift sie dabei überraschend auf. Von Thorsten Gabriel
Von einem "Dreiklang" ist in dem gut 30-seitigen Positionspapier zu lesen, den die Berliner CDU-Fraktion auf ihrem Klausurwochenende in Düsseldorf beschlossen hat: Mieterschutz, Bautempo und "Eigentumsförderung mit Spekulationsbekämpfung". Unter der Überschrift "Faires Wohnen für alle" versammeln sich dutzende Vorschläge und Forderungen, wie die Bestandsmieten gedämpft und bezahlbarer neuer Wohnraum geschaffen werden könnte.
Es ist eine Mischung aus sehr praktischen Vorschlägen und größeren Systemreformen. Zu den praktischen Forderungen gehört etwa eine Mietenprüf- und Schiedsstelle, die verhindern soll, dass Mieter und Vermieter bei Streitigkeiten gleich vor Gericht ziehen.
Kampf gegen Wuchermieten
Diese Schiedsstelle soll auch helfen, gegen Wuchermieten vorzugehen. Gesetzlich sind Mieten, die oberhalb von 20 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Geahndet wird dies allerdings so gut wie nicht, weil es dafür in der Regel eines Gutachtens bedarf, das die Überhöhung nachweisen muss. Hier soll nach Vorstellung der CDU die Schiedsstelle als Feststellungsinstanz ausreichen.
Überhaupt, die ortsübliche Vergleichsmiete: Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Streit um die Frage, ob der Berliner Mietspiegel ausreichend qualifiziert dafür ist, Auskunft über die angemessene Miete in einem Quartier zu geben. Meist erkennen Gerichte ihn an, mitunter aber auch nicht. Um diese Ungewissheit endgültig auszuräumen, plädiert nun auch die Berliner CDU dafür, ein Mietenkataster einzuführen. In diesem öffentlich zugänglichen Register sollen die Mieten sämtlicher in Berlin vermieteter Wohnungen erfasst werden. "Jeder kann über eine Adresssuche herausfinden, welche Mietgrenzen für eine Wohnung innerhalb eines Wohnblocks relevant sind", heißt es im CDU-Antrag. Dabei werde auch die Ausstattung der Wohnung berücksichtigt. Eine solche Mietdatenbank hat die rot-grün-rote Koalition bereits auf ihrer To-Do-Liste.
Modernisierungsumlage auf dem Abstellgleis
Das CDU-Positionspapier sieht auch vor, mit dem Kataster das Konstrukt der Modernisierungsumlage auf neue Füße zu stellen. Demnach sollen die Kosten einer Modernisierung nicht mehr anteilig auf die Miete umgelegt werden dürfen. Stattdessen soll die Modernisierung selbst ein Qualitätsmerkmal darstellen, das im Mietenkataster erfasst wird. Auf diese Weise fließt es zwar auch in die Miete ein, aber gedämpfter als per direkter Kostenumlage.
Weitere Punkte in dem CDU-Papier lauten:
- Mietverträge sollen nicht mehr an die Inflation oder andere Indizes gekoppelt werden dürfen – Stichwort: Indexmietverträge.
- Mehr Menschen sollen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein erhalten ("WBS240").
- Wer in einer Sozialwohnung lebt, unterdessen aber besser verdient, soll eine Fehlbelegungsabgabe zahlen.
- Mieterinnen und Mietern soll nicht mehr gekündigt werden dürfen, wenn sie im Mietrückstand waren, ihre Miete aber innerhalb einer Schonfrist nachgezahlt haben.
- Vermieter sollen bei Eigenbedarfskündigungen in bestimmten Fällen erst nachweisen müssen, dass sie keine andere Wohnung zu vergleichbaren Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt gefunden haben.
- Für Wohnungstausche, bei dem zwei Mietparteien gegenseitig ihre Mietverträge ohne Preiserhöhung übernehmen wollen, soll eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden.
Die Wunschliste der CDU ist noch bedeutend länger und umfasst auch Fragen des Wohnungsbaus und der Eigentumsförderung. Unter anderem will die Partei erreichen, dass Menschen, die Eigentum zur Selbstnutzung kaufen, keine Grundsteuer zahlen sollen. Wer allerdings mit Wohnungsbeständen und Grundstücken spekuliert, soll dafür zur Kasse gebeten werden.
CDU sieht beim Thema Mieterschutz Nachholbedarf
Vieles, was die CDU fordert, könnte sie selbst nicht ohne weiteres umsetzen, auch nicht, wenn sie mit absoluter Mehrheit regieren würde. Wie schon die rot-rot-grüne Vorgängerregierung der derzeitigen Koalition schmerzlich erfahren musste, ist das Mietrecht klar Bundesangelegenheit. Und so kann man dieses programmatische Paket der Berliner CDU vor allem als Signal lesen: Die Partei hat verstanden, dass sie bei diesen Themen Nachholbedarf hat.
Wenn es um bezahlbare Mieten und den Schutz von Mieterinnen und Mietern vor Verdrängung geht, gilt die Partei für die meisten jedenfalls nicht als erste Ansprechpartnerin in der Politik. Zuletzt belegten dies die begleitenden Umfragen zur Abgeordnetenhauswahl 2021. Die Wahlberechtigten schreiben der Union nicht allzu viel Kompetenz auf diesem Feld zu. Wem es ums sichere Wohnen ging, wählte vorzugsweise SPD, Linke oder auch Grüne.
Ein Beschluss im Zeichen des Wahlkampfs
Formal ist das Positionspapier kein Parteibeschluss, sondern ein Arbeitspapier der Fraktion. Trotzdem muss man die dort aufgeführten Forderungen im Lichte des längst aufgeflammten Wahlkampfs betrachten – ähnlich wie zuvor schon manche Aktionen auf Seiten der rot-grün-roten Regierungsmehrheit. Alle positionieren sich, um für die höchstwahrscheinlich Mitte Februar anstehende Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl von 2021 gerüstet zu sein.
"Mit dem neuen Schwerpunkt Mieterschutz werde ich dem ein oder anderen in der Partei einiges zumuten", hatte Parteichef Wegner noch vor der Klausur erklärt. Doch das kann man getrost als ein Ringen um Anerkennung verstehen. Denn ob und wie vieles von dem, was die Fraktion da beschlossen hat, je umgesetzt wird, steht bekanntlich auf einem anderen Blatt.
Wegner versucht den Spagat
Für Wegner ist es bereits das zweite Großstadtthema, das er als eine Art "Kursänderung" etikettiert hat. Vor zwei Jahren führte er seine Partei in Sachen Mobilität auf neue Wege. Das Thema Radfahren und umweltfreundliche Mobilität bestimmte einen Online-Parteitag. Der damalige Bundesgeschäftsführer des Fahrradverbands ADFC, Bukhard Stork, ermunterte als Gast der Veranstaltung die Union zu mutigen Schritten, warnte sie aber auch vor einer "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass"-Politik.
In der Tat ist dies der Spagat, den Wegner immer wieder versucht hinzukriegen: Alte Zöpfe abzuschneiden ohne Traditionalisten in der Partei zu vergraulen. Was im politischen Alltag nur so leidlich gelingt. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt sie die Partei, die jeden Meter Radstreifen, wenn er denn von Rot-Grün-Rot geschaffen wurde, erstmal argwöhnisch beäugt und im Zweifel lieber ablehnt.
CDU bei Mietenthemen im Bund "häufig hinterhergelaufen"
Beim Thema Mieterschutz kommt für die CDU erschwerend hinzu, dass sie auf Bundesebene in der Vergangenheit eher als die Partei auffiel, die sich gegen regulierende Eingriffe in den Wohnungsmarkt zur Wehr setzte. Zwar beschlossen SPD und CDU gemeinsam die Mietpreisbremse, allerdings war es die Union, die – bestärkt von der Immobilienwirtschaft – zahlreiche Ausnahmetatbestände im Gesetz erwirkte, so dass das Gesetz zunächst weitgehend wirkungslos blieb. Erst spätere Nachschärfungen führten zu verhaltenen Effekten.
Dass die CDU auf Bundesebene dabei kein allzu positives Bild nach außen vermittelte, räumte Landesparteichef Wegner schon vor drei Jahren ein. Bei mietenpolitischen Themen sei seine Partei "häufig hinterhergelaufen", sagte er damals dem rbb. Wichtige Gesetze wie eben die Mietpreisbremse seien zwar unter einer CDU-geführten Bundesregierung entstanden, "aber man hatte schon eher den Eindruck, die CDU musste dorthin getragen werden". Da Wegner damals auch Bundestagsabgeordneter und Metropolenbeauftragter der Unionsfraktion im Bundestag war, war diese Kritik, wenn auch unfreiwillig, auch gegen ihn selbst gerichtet.
Unterm Strich sind sowohl das zwei Jahre alte Mobilitätsprogramm als auch jetzt die Anträge zum Mieterschutz als ein Schritt zu verstehen, im Zweifelsfalle auch anschlussfähig in Richtung der Grünen zu sein. Denn sollte nach einer Wiederholungswahl ein Bündnis von Union und Grünen möglich sein, hätte eine Grünen-Spitze vermutlich größere Probleme ein solches Bündnis bei den eigenen Leuten durchzubringen als Wegner auf CDU-Seite. Da ist es gut für die Partei, ein paar Fakten geschaffen zu haben für mögliche Koalitionsverhandlungen – wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sie auch immer wären.
Sendung: rbb24 Abendschau, 15.10.2022, 19:30 Uhr