Gründe für Verschuldung - 66 Milliarden Euro Schulden in Berlin - und der Berg wächst
Als "arm, aber sexy" gilt Berlin - und das zurecht. Im bundesweiten Schulden-Ranking schafft es Berlin unter die Top 3, nur Bremen und Hamburg sind noch stärker pro Kopf verschuldet. Die Gründe dafür sind vielfältig. Von Leonie Schwarzer
An dem Gebäude des Bundes der Steuerzahler hängt eine große Schuldenuhr. Die Zahlen schnellen in die Höhe, pro Sekunde um 34,52 Euro. "Wir haben eine sehr hohe Verschuldung in Berlin", sagt Alexander Kraus, Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler Berlin, "sollten wir in Zukunft steigende Zinsen haben, dann wird das künftige Haushalte enorm belasten." In Zahlen ausgedrückt: Auf eine Berlinerin oder einen Berliner entfallen laut Statistischem Bundesamt rein rechnerisch Schulden in Höhe eines Kleinwagens, knapp 16.900 Euro pro Kopf. Bundesweit liegt diese Zahl nur bei knapp 7.700 Euro. Doch woran liegt es, dass Berlin so viele Schulden hat?
Höchste Verschuldung in Stadtstaaten
Gründe dafür lassen sich viele finden. Natürlich belasten die vielen Krisen bundesweit und auch in Berlin die Landeskassen: Erst die Corona-Krise, darauf folgte der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Energie-Krise. All das kostet zusätzlich Geld, zusätzliche Kredite. "Der aktuelle Schuldenstand von Berlin ist alles andere als erfreulich", sagt Berlins Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne), "wir liegen bei rund 66 Milliarden Schulden im sogenannten Kernhaushalt". Neben den aktuellen Krisen gibt es auch ein paar spezielle Gründe für die Berliner Finanzlage.
Zum einen hat Berlin als Stadtstaat einen höheren Finanzbedarf als ein Flächenstaat. "Es gibt aufgrund der Zusammensetzung der Bevölkerung nochmal deutlich andere Belastungen als in dem ein oder anderen Flächenland", erklärt Wesener, "die industrielle Wertschöpfung und die entsprechenden Steuereinnahmen sind in der Regel nicht gegeben." Bundesweit liegt die Pro-Kopf-Verschuldung in den Stadtstaaten auch am höchsten: Platz eins belegt Bremen, darauf folgt Hamburg und dann Berlin.
Kosten der Wiedervereinigung
Zum anderen spielt aber auch die Historie Berlins eine wichtige Rolle: "Durch die Wiedervereinigung, die Tatsache, dass zwei Städte zusammenwuchsen, führte das natürlich zu Ausgaben, die mehr waren als in anderen Bundesländern", sagt Tobias Bauschke von der FDP.
In den Jahren nach der Wiedervereinigung bis Mitte der Nullerjahre kletterten die Schulden immer weiter nach oben. Katina Schubert von den Linken begründet diesen Anstieg mit einer verfehlten Planung: "Berlin hat vor allem in den 90er Jahren in Erwartung eines sehr hohen Bevölkerungswachstums in eine riesige Infrastruktur investiert", sagt sie, "das hat sich aber alles nicht erfüllt und dadurch wurden immense Schulden aufgebaut."
Mit diesen Altlasten aus den Neunziger- und Nullerjahren hat Berlin bis heute zu kämpfen. Zumindest ab 2011 bis Ende 2019 konnte das Land aber auch Schulden abbauen: In diesem Zeitraum gab es mehr Einnahmen als Ausgaben, die Schuldenuhr lief rückwärts. "Das ist einerseits erfreulich, aber es wurde damals auch damit erkauft, dass man nicht in die Infrastruktur oder Liegenschaften des Landes investiert hat", kritisiert Alexander Kraus vom Bund der Steuerzahler. Auch das sei eine Belastung für nachfolgende Generationen. Seit 2020, dem Beginn der Corona-Pandemie, wächst der Schuldenberg wieder. Im Jahr 2020 lag die öffentliche Verschuldung in Berlin bei 63,7 Milliarden Euro und 2021 bei 65,9 Milliarden Euro.
Opposition bemängelt Transparenz
Die Opposition befürchtet, dass der Haushalt gar nicht das komplette Ausmaß der Schulden zeigt – vor allem die Verschuldung der Landesunternehmen steht im Fokus der Kritik. Aus einer Antwort der Finanzverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Abgeordneten Kristin Brinker geht hervor, dass die Berliner Landesunternehmen Schulden in Höhe von 23 Milliarden Euro haben. "Das sind Schattenschulden am regulären Haushalt vorbei", sagt Brinker, "es gibt Kernaufgaben des Staates, die hat er zu erfüllen, dazu gehören Wohnungsbau oder Schulbau." Es dürfe nicht sein, dass solche Aufgaben am eigentlichen Kernhaushalt vorbei finanziert werden.
Auch der FDP-Politiker Tobias Bauschke spricht von "Schattenhaushalten": "Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht Risiken eingehen, die das Land früher oder später abfedern muss, wenn es schief geht." Finanzsenator Daniel Wesener widerspricht: Die Opposition zeichne ein falsches Bild, die landeseigenen Unternehmen ständen wirtschaftlich gut da.
Umgang mit Schulden
Doch ungeachtet dessen bleibt die Frage, wie Berlin mit seinem Schuldenberg umgehen will. Denn die aktuellen Krisen verlangen auch weiterhin nach vielen Investitionen. Berlin müsse nicht schnellstmöglich Schulden abbauen, sagt Katina Schubert von den Linken, sondern investieren in die soziale und kulturelle Infrastruktur. Als Beispiele nennt sie Schulen, aber auch die Transformation der Energieversorgung: "Das hat eine viel größere Auswirkung auf die Entlastung der zukünftigen Generationen als die Frage des Schuldenabbaus."
Sollten die Zinsen weiter steigen, dann bekommt Berlin allerdings ein Problem - das zeigt auch die Vergangenheit: Anfang der 2000er Jahre flossen nach Angaben der Finanzverwaltung mehr als ein Fünftel der Steuereinnahmen des Landes in Zinszahlungen. Dieses Geld fehlt dann an anderer Stelle, um Schulen zu sanieren oder Straßen zu reparieren.
Finanzsenator: weiter in die Stadt investieren
Die Opposition ruft deshalb zum Sparen auf: "Die Schulden, die wir heute machen, sind die verminderten Handlungsspielräume für die Zukunft", sagt FDP-Politiker Tobias Bauschke. Das Argument dahinter: Kommenden Generationen wird ein Schuldenberg hinterlassen, viele Kredite müssen abbezahlt werden. Der weitere Abbau von Altschulden sei wichtig, sagt Finanzsenator Wesener.
Trotzdem wolle er auch weiter in die Stadt investieren: "Wir wollen diese Stadt über die Krise bringen. Und das bedeutet nicht in die Krise hineinzusparen, sondern antizyklische Finanzpolitik zu machen. Das heißt, wir werden – obwohl sich die finanziellen Spielräume deutlich verringert haben – Geld in die Hand nehmen."
Am kommenden Dienstag möchte der Senat den Entwurf für einen Nachtragshaushalt beschließen. Der ist nötig, um die Maßnahmen aus dem Berliner Entlastungspaket zu finanzieren. Möglicherweise muss der Bund der Steuerzahler dann noch einmal an seiner Schuldenuhr drehen.
Sendung: rbb24, 28.10.2022, 21:45 Uhr
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