"Kabinett vor Ort" - Woidke bleibt bei schnellerem Kohleausstieg skeptisch

Di 28.03.23 | 21:34 Uhr | Von Thomas Bittner
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Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg. (Quelle: dpa/Soeren Stache)
Audio: Antenne Brandenburg | 28.03.2023 | Ronald Schleif | Bild: dpa/Soeren Stache

Mit der Reihe "Kabinett vor Ort" will sich die Brandenburger Landesregierung in den Landkreisen ein Bild von der Lage vor Ort machen. In Forst ging es am Dienstag um den Kohleausstieg, Geflüchtete und die Afrikanische Schweinepest. Von Thomas Bittner

  • Brandenburger Ministerpräsident Woidke fordert vor Kohleausstieg eine Bilanz zu Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Strukturentwicklung
  • Land will Geflüchteten "Spurwechsel" ermöglichen – oder sie zurückführen
  • Infektionsdruck bei Afrikanischer Schweinepest vom Osten und Süden bleibt hoch

Die Kabinettssitzung in Forst (Spree-Neiße) ist ein Heimspiel für Dietmar Woidke (SPD). Naundorf, ein Ortsteil der Kreisstadt, ist sein Geburtsort und bis heute der Wohnort des Ministerpräsidenten. Von 1992 bis 1994 war er Amtsleiter in der Forster Kreisverwaltung. Hier stieg er in die Politik ein, war Stadtverordneter und Kreistagsmitglied. Hier kennt er die Stimmungslage.

Und hier kennt man ihn, eher als Dietmar, weniger als Genossen Woidke. Hier gibt es an vielen Stellen persönliche Bezüge: Die Pflegeschule, auf der heute Fachkräfte aus Polen, Vietnam und Brasilien ausgebildet werden, war einst seine EOS, die Erweiterte Oberschule, an der Woidke 1980 sein Abitur machte. Das muss der Ministerpräsident natürlich auf der Pressekonferenz am Nachmittag erwähnen.

190 Millionen Euro für neue Projekte

Der Kreis ist von Braunkohle und Energiewirtschaft geprägt. Das ist Fluch und Segen zugleich. Über hundert Jahre lang lieferte die 20 Millionen Jahre alte Braunkohle zuverlässig Wärme und Strom. Ortsnamen wie Jänschwalde, Welzow, Schwarze Pumpe stehen für das Kohle-Zeitalter, für gut bezahlte Jobs und für ein industrielles Rückgrat.

Doch nun rückt der Ausstieg näher, die Sorgen sind auch an diesem Nachmittag im Kreishaus spürbar, aber sie lähmen nicht mehr. Als die Landesregierung vor knapp vier Jahren zuletzt mit einer Kabinettssitzung zu Gast war, stand noch die Angst vor einem Absturz im Raum.

Heute ist man weniger skeptisch. Von den zehn Milliarden Euro, die vom Bund für eine neue Wirtschaftsstruktur nach der Kohle in die brandenburgische Lausitz fließen, hat sich der Landkreis schon 190 Millionen gesichert. Landrat Harald Altekrüger (CDU) spricht von 19 Projekten. An eine Wasserstoff-Pipeline ist gedacht, die Lausitzer Industriestandorte miteinander verbindet. Aber auch an Telemedizin. Zukünftig sollen Laborproben eines Gubener Krankenhauses mit Drohnen ins Cottbuser Gemeinschaftslabor geflogen werden, berichtet Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Die Fördermittel stehen bereit.

In Guben soll vom deutsch-kanadischen Unternehmen "Rock Tech Lithium" ab 2025 Lithiumhydroxid für Batterien hergestellt werden, am Montag war Spatenstich. Die Leag, heute noch Tagebau- und Kraftwerksbetreiberin, hat für 2030 angekündigt, eine Sieben-Gigawatt-Factory mit Strom aus erneuerbarer Energie aus dem Lausitzer Revier zu errichten, gepuffert mit einem gigantischen Speicher, den es so noch nicht gab in der Bundesrepublik.

Woidke verweist auf den Bund

Das klingt nach Zukunft. Kann man also schneller auf die Kohle verzichten? Dietmar Woidke bremst, wenn er nach einem schnellen Ausstieg gefragt wird. Es gebe ein Bundesgesetz. Und das sieht 2038 als Ausstiegsdatum vor. Am Wochenende hatte Woidke der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt, das Kohle-Aus sei vielleicht auch 2032 oder 2033 zu schaffen. Dafür müssten bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Am Dienstag in Forst zeigt der SPD-Regierungschef mit dem Finger auf die Bundesregierung.

Im Gesetz seien "Checkpoints" vorgesehen, der letzte wäre 2022 fällig gewesen. Dabei solle geprüft werden, ob die Energiesicherheit gewährleistet ist, ob die Energie bezahlbar ist und wie weit die Strukturentwicklung vorangekommen ist. Nur beim letzten Punkt sieht Woidke Fortschritte.

Beim Thema Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit "höre ich so gut wie gar nichts", sagt der SPD-Ministerpräsident. Er vermisse klare Aussagen und fordere, dass mit den Beschäftigten vor Ort und der Region geredet werde. Immerhin habe es Anfang 2019 mit der Kohlekommission einen gesamtgesellschaftlichen Konsens gegeben. Der werde jetzt infrage gestellt, ohne dass es einen neuen Konsens gebe. Nach einfachen Gesprächen zwischen dem grün geführten Bundesklima-Ministerium und der Brandenburger Landesregierung sieht das nicht aus.

"Spurwechsel" für Geflüchtete

Die grüne Vizeministerpräsidentin Ursula Nonnemacher sagt auf der Pressekonferenz in Forst lieber nichts zum Thema. Für sie ist etwas anderes gerade wichtig. Denn beim Thema Geflüchtete gab es in der Kenia-Koalition Reibungen. Der Forster CDU-Landrat war der erste, mit dem das Kabinett jetzt über den Konsens der drei Koalitionsparteien intensiver reden konnte. Am Mittwoch soll es auf einer Landrätekonferenz konkreter werden.

Nonnemacher lobt die Forster Wohnungsbaugesellschaft, die Flüchtlinge mit dezentralen Wohnungsangeboten zu integrieren versucht. Innenminister Michael Stübgen (CDU) spricht über ein neues "Duldungsmanagement". 15 bis 20 Prozent der Geflüchteten haben erfahrungsgemäß keine rechtliche Chance, länger in Deutschland zu bleiben. Solche Asylbewerber sollen zukünftig länger in Landeseinrichtungen bleiben. Ein "Spurwechsel" sei zwar möglich, mit Sprachkursen und Integrationsanstrengungen könne man in den Arbeitsmarkt kommen. Aber wer sich nicht integriere, der werde "zurückgeführt".

Nonnemacher setzt auf den Spurwechsel, obwohl sie auch klar vor Augen hat, woran der scheitern könnte. Es gibt zu wenig Sprachunterricht. Die Standards für Lehrkräfte, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten, sollten gesenkt werden, damit es mehr Angebote geben kann.

Tierseuche noch südlich der A 15

Fast am Rande kommen dann noch drei Buchstaben auf den Tisch: ASP. Die Afrikanische Schweinepest macht dem Landkreis zu schaffen. Das Land hat 93 Millionen Euro für die Bekämpfung ausgegeben, aber die Lage bleibt angespannt.

Zwar konnte man die Tierseuche bisher noch südlich der Bundesautobahn A 15 halten, aber der Infektionsdruck aus dem Osten und Süden sei hoch. Anders als in den Landkreisen Dahme-Spreewald und Oder-Spree, wo schon seit Wochen keine neuen Fälle mehr eingetreten seien, gebe es in Spree-Neiße immer neue Fälle.

Ursula Nonnemacher sagt, sie wünsche sich, dass die strengen Brandenburger Konzepte mit Abriegelung und Sperrzonen bundesweit mehr gewürdigt werden. "Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass wir diejenigen sind, die diese Tierseuche für die ganze Bundesrepublik und ganz Westeuropa aufhalten", so die Verbraucherschutzministerin.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.03.23, 19:30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

49 Kommentare

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  1. 49.

    Wenn Sie so auf Thorium stehen sind sie hoffentlich Raucher, denn im Tabakrauch befinden sich geringe Spuren von Thorium. So ein bisschen y-Strahlung ist auch gut fürs Knochengerüst und man friert nicht so schnell.

  2. 48.

    Warum gibts dann noch keine einsatzfähige Maschine und wie sieht Ihre zeitliche Prognose diesbezüglich aus, wenn "alle anderen Länder" (TM) schlauer sind als D?

  3. 47.

    Obwohl vielfach behauptet bin ich anderer Meinung. Keiner weiß genau wie dicke es wirklich kommt und wieviel regenerative Energie in den nächsten Jahrzehnten tatsächlich zur Verfügung steht. Der Hunger nach sauberer Energie wird jedenfalls astronomisch steigen müssen, wenn man noch eine Chance haben wollen.
    Mit einsatzfähigen Fusionkraftwerken schwimmen wir sehr schnell in sauberer Energie und Technologien mit schlechtem Wirkungsgrad können dann tatsächlich im großen Maßstab genutzt werden, um beispielsweise zusätzlich die bereits emittierten Treibhausgase mit Tempo aus der Atmosphäre zu holen.
    Damit fangen wir auch die Emittenten ab, die bisher überhaupt keine Anstalten zum Umstieg machen.

  4. 46.

    Definitiv nein. Flüssigsalz dehnt sich wie die meisten Substanzen mit steigender Temperatur aus und damit verringert sich automatisch die Kernspaltung. Das System moderiert sich selber. Flüssigsalz bleibt auch bei hohen Temperaturen noch flüssig und muss daher nicht unter Druck gehalten werden.
    Schließlich kann man Flüssigsalz beim Unfall in unterirdische Tanks ablassen und das spaltfähige Material wird strahlungssicher im erstarrenden Salz konserviert. Keine Kernschmelze.
    Darum gehts ja gerade. Thorium ist im Gegensatz zu Uran auch keine Mangelware und der zu entsorgende radioaktive Abfall besitzt auch beherrschbare Halbwertszeiten.
    Warum erwähne ich das überhaupt? Ganz einfach, weil mit diesem Prinzip tatsächlich eine beherrschbare zivile Nutzung der Kernspaltung möglich gewesen wäre.

  5. 44.

    Naja vielleicht sollten Sie sich "realistische" Mindestzeitdauern bis zu eventuellen kommerziellen Fusionskraftwerken mal anschauen. In 25-30 Jahren bringen die schlicht auch nis mehr.

    Und "günstig" wird die Energie wohl nie....

  6. 43.

    Weshalb auf LNG zurückgegriffen werden muss und Kohle keine Option mehr ist haben Sie offenbar nicht verstanden. Die sogenannten Dunkelflauten treten in sehr wenigen Tagen im Jahr auf. Überbrückung leider mit LNG notwendig aber absehbar. Von daher macht die Regierung alles richtig. Der Chef von 50 Herz....100% Erneuerbare zu regeln kein Problem.
    Die Panikmacher sitzen im Bundestag ganz rechts und haben zum Glück nichts zu melden.
    Die Angsthasen sitzen im Kohleloch und zittern vor notwendigen, auch persönlichen, Veränderungen. Die Angst hatten schon die Kutscher als die ersten Autos kamen.....

  7. 42.

    Wird ja interessant, nachdem Westinghouse ja 2017 zahlungsunfähig wurde wegen der Kostenexplosion der beiden AP1000 in den USA.

    Ob die Polen nen Blanko Check ausstellen? Würde mich wundern, wenn ein Atomkonzern noch Fixpreise vereinbart...aber gut im Zweifel zahlt es irgendein Steuerzahler, entweder im Bauland oder im Land der Atombaufirma. Wieviele dutzende Milliarden Frankreich noch in Framatom versenken will.

  8. 41.

    Richtig im Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien haben die den Versuch mit 192 Lasern erfolgreich durchgeführt.
    Klar, wer als Erster durch die Zielgerade läuft weiß niemand und ich drücke auch Wendelstein 7-X im IPP-Teilinstitut Greifswald mit ihrer coolen Spule und natürlich ITER die Daumen.
    Verdient haben‘s all die Forschungsprojekte und es ist schade, dass man die Mutter aller Energiequellen die vergangenen Jahre so „stiefmütterlich“ behandelt hat.

  9. 40.

    Der MSBR in Oak Ridge hatte sogar einen positiven Temperaturkoeffizienten, war also inhärent unsicher. Man hat das durchaus mal mit moderneren Methoden nachgerechnet.

    Das ist das aus für den Reaktortyp, da nicht akzeptables Sicherheitsrisiko.

    Warum hängen Sie weiter am Flüssigsalzreaktor als thermischen Brüter?

    PS: für die Proliferation wäre ein Brutreaktor mit permanenter online Aufbereitungsanlage der Supergau. Jeder der sich so einen Reaktor baut, kann anschließend auch Atombomben bauen.

  10. 39.

    Also wird noch nicht gebaut.

    Wie wäre es, wir warten mal ab, ob ab 2026 wirklich gebaut wird.

  11. 38.

    Aber Sie als oberschlauer Peter wissen natürlich genau wie es in Zukunft mit der Energieversorgung funktionieren soll. Sie wissen gar nichts ,Sie hoffen es wie viele ,das es mit den EE funktioniert. Laut Bundesnetzagentur spielte Wind und PV Strom bei der Stromerzeugung vom 9 -13.12 22 keine Rolle. Deshalb hat Hr Habeck sich darauf verständigt den Bau von neuen Gaskraftwerke als Backup voranzutreiben. Diese sollen erstmal mit LNG betrieben werden bis sie auf Wasserstoff umgestellt werden können. Wie umweltschädlichen LNG gewonnen wird ,ist ihnen sicherlich bekannt, ach stimmt ja nicht bei uns. Lang der Ostsee sollen dafür neue Terminals gebaut werden die massive Eingriffe in Natur und Umwelt verursachen wie sogar die dt Umwelthilfe anmahnt. Fragen Sie mal die Menschen auf Rügen was die vom LNG Terminal halten.
    Also schaffen wir einen vernünftigen Übergang zu EE und dann schauen wir mal ob es wirklich funktioniert, bis jetzt brauchen wir noch Jahre fossile Energieträger zB (Gas) .

  12. 36.

    Na in „guter“ Tradition natürlich die instabilen Druckwasserreaktoren. Geplant ist ein AKW mit 3 Reaktoren des Typs AP 1000 welches 2033 ans Netz soll. Das AKW wird von den Amis (Westinghouse Electric) an der Ostseeküste in der Nähe von Danzig gebaut.
    Und ein zweites AKW ist auch schon im Gespräch.

  13. 35.

    Wo baut Polen ein AKW?

    Welchen Typ? Genehmigung?

    Manche scheinen ihre Wahnvorstellungen zur Realität erklären zu wollen...

  14. 34.

    Weil AKW ja so gut regelbar sind und wir auch Kühlwasser im Überfluss haben....

  15. 33.

    Wen wollen AKW Befürworter eigentlich mit den Massen angeblich im Bau befindlichen AKW beeindrucken?

    Leider sind die ja sowieso Hirngespinste. Da wird eine Meldung zu "xyz erwägt Neubau von AKW" ein sofortiger Bsustart. F baut 1 Reaktor und plant 5 weitere bis 2050. Über weitere 8 "denkt man nach". In NL, SL und CZ wird gerade gar nichts gebaut.....

    Harte Fakten zeigen, dass in 35 Jahren gerade mal 3 EPR Blöcke gebaut werden. Davon ist in Olkiluoto jetzt einer nach massiven Kosten und Zeitexplosionen endlich am Netz. Der vierte Reaktor dort wurde schon 2014 beerdigt. Der EPR ist GB und FR sind absolute Katastrophen für die Steuerzahler.

    Ungarn will einen russischen Reaktor bauen, der aber nur mit Siemens Sicherheitstechnik überhaupt genehmigungsfähig ist....

  16. 32.

    Die haben selber gesagt, das ITER und W7X dichter dran sind, zumal Livermore einen anderen Forschungsschwerpunkt hat..

  17. 31.

    Wie bereits erwähnt, mit Weinbergs Flüssigsalzreaktor hätten sie kein Problem mit Kühlwasser. (braucht man nämlich nicht) Und der nukleare Lakebrennstoff arbeitet bei atmosphärischem Druck und besitzt einen stark negativen Temperaturkoeffizient. Im Gegensatz zu den Druckwasserreaktoren. Das heißt wir haben hier eine thermische Gegenkopplung und damit ein sich thermisch selbst stabilisierendes System.
    Sowas könnte man in Verbindung der 100 Jahre Halbwertszeit auf die Menschheit, anstelle der tickenden plutoniumbrütenden Zeitbomben, für die zivile Nutzung der Kernenergie loslassen!

  18. 30.

    Die haben selber gesagt, das ITER und W7X dichter dran sind, zumal Livermore einen anderen Forschungsschwerpunkt hat..

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