Nach dem Pokal-Aus und der Derby-Niederlage - Vier Beobachtungen zu Herthas Saisonstart

Di 09.08.22 | 17:26 Uhr
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Hertha-Trainer Sandro Schwarz gibt seinen Spielern Davie Selke und Myziane Maolida Anweisungen beim Derby gegen den 1. FC Union Berlin (imago images/Contrast)
Video: rbb24 | 09.08.2022 | Johanna Rüdiger | Bild: imago images/Contrast

Mit dem Pokal-Aus bei Zweitligist Braunschweig und der verdienten Derby-Niederlage gegen Union ist Herthas Saisonstart denkbar schlecht verlaufen. Es gibt die ersten Erkenntnisse - doch nicht alle sind negativer Natur. Von Marc Schwitzky

Die Saisonvorbereitung ist eine Zeit, in der alles möglich scheint. Erste Testspieleindrücke geben einem ein gutes Gefühl. Der Mittelstürmer zeigt sich gegen den unterklassigen Gegner aus dem lokalen Umland treffsicher, der neue Innenverteidiger ordnet die Abwehr. Toll, wie sich das Eigengewächs gerade aufdrängt, das wäre doch mal einer für die Profis! Ja, doch, das kann endlich eine ruhige Saison werden.

So manch Hertha-Fan wird sich nach nur zwei Wochen in der neuen Saison in die kuschelige, gar schwerelose Sommerpause zurückwünschen. Eben diese Zeit, in der alles noch nach den großen Chancen und nicht nach der harten Realität roch. Das Pokal-Aus in Braunschweig und die deutliche Pleite gegen Stadtrivale Union haben die Blau-Weißen schnell in die graue Wirklichkeit gezogen. Nach den zwei Niederlagen ist klar: Es wird ein langer Weg für Hertha. Alles wie immer also bei der "alten Dame"? Nun ja, nicht ganz, denn es gibt auch Hoffnung.

Die Mannschaft braucht Zeit und Erfolgserlebnisse

Die erste Erkenntnis mag wenig bahnbrechend sein, das macht sie aber nicht weniger wahr. Hertha steht, das hat der Saisonstart sehr deutlich gezeigt, am Startpunkt eines Prozesses. Mit Trainer Sandro Schwarz wurde sich für einen neuen Weg entschieden, den es mit aller Konsequenz zu verfolgen gilt. In der Saisonvorbereitung hat sich bereits angedeutet, wo die sportliche Reise hingehen soll. Der sehr aktive Gegenpressing-Fußball des neuen Übungsleiters ist das direkte Gegenteil der in den vergangenen Jahren so passiven "alten Dame".

Solch eine 180-Grad-Wendung war zum einen absolut nötig, um die Blau-Weißen aus ihrer Lethargie in den modernen Fußball zu zerren. Zum anderen aber ist dieser Weg auch ein schwieriger. Die Spieler müssen sich an eine gänzlich andere Philosophie gewöhnen. Dass die Mannschaft drei Jahre härtesten Abstiegskampf und somit tiefste Verunsicherung in ihren Knochen hat, verlangsamt den Prozess weiter. Das Resultat ist ein schwacher Saisonstart, der auch in den kommenden Wochen womöglich noch nicht die gewünschten Punkte abwerfen wird.

Das Rezept, um in die Erfolgsspur zu kommen, besteht aus den Zutaten Zeit, Geduld und Erfolgserlebnisse – jeweils Mangelware in den letzten Hertha-Jahren. Es wird auf das gesamte Umfeld ankommen, nicht zu früh in Panik zu verfallen und den Verantwortlichen Vertrauen zu schenken. Nach den vergangenen Spielzeiten ist dies für alle eine emotionale Mammutaufgabe.

Gegen Union scheiterte man am Grundsätzlichen

Präsentiert sich die Mannschaft auch noch so blutleer und unterlegen wie am vergangenen Spieltag im Stadtderby, wird es dem Umfeld umso schwerer gemacht, dem Prozess zu vertrauen. Denn gegen Union waren es einmal die Grundtugenden dieses Sports, an denen Hertha scheiterte. "In der Zweikampfstärke und der Bereitschaft war der Gegner einfach besser als wir", analysierte Schwarz treffend.

Hertha lief am 1. Spieltag ligaweit am zweitwenigsten - und das auch nur, weil die TSG Hoffenheim in ihrer Partie gegen Borussia Mönchengladbach 70 Minuten zu zehnt agieren musste. Durch die geringe Laufbereitschaft rissen sich die Berliner defensiv immer wieder große Lücken selbst auf. Im eigenen Ballbesitz fehlten die Läufe ebenso, da allgemein zu wenig Bewegung und Tempo herrschte. Das Resultat: unzählige frühe Ballverluste. "Die Bereitschaft hat gefehlt. Es war in der Tat so, wenn man auf die Daten in der Halbzeitpause geguckt hat, dass wir die Sprints und Tempoläufe in Ballbesitz zu wenig gesetzt haben", erkannte auch Schwarz.

So scheiterte Hertha gegen Union am Grundsätzlichen - ein Umstand, der auch vergangene Saison oftmals bemängelt werden musste. Ein Rückfall in alte Muster. Zwar wurde auch das Pokalspiel in Braunschweig verloren, jedoch zeigte der Hauptstadtklub dort in den ersten 45 Minuten mit einer großen Aktivität, zu welchen Leistungen er fähig ist. Hier saßen Gegenpressing und Offensivspiel, da sich jeder Spieler intensiv beteiligte und giftig in den Zweikämpfen agierte. Fehlen diese Attribute als Basis, ist jede taktische Marschroute dahin.

Sandro Schwarz benennt Probleme klar und greift durch

Doch das führt zum nächsten Punkt: der Ansprache von Trainer Sandro Schwarz. Schon in der Saisonvorbereitung war zu spüren, dass sich der 43-Jährige nicht hinter nebulösen Floskeln verstecken, sondern klare Worte wählen will. Diese Richtung hat sich seit Beginn der neuen Spielzeit nicht verändert, wohl eher noch verhärtet.

Bereits nach dem Pokal-Aus brachte Schwarz seine Verärgerung über gewisse Defizite zum Ausdruck, gleichzeitig arbeitete er jedoch auch die Positiv-Erkenntnisse heraus. Mit seiner Entscheidung, Boyata gemäß dem Leistungsprinzip aus dem Kader zu streichen, machte er klar, auch hart durchgreifen zu können. Es ist wohl diese Art von Führung, die dieser Hertha-Kader, der jahrelang in Komfortzonen und Lethargie lebte, nach wie vor braucht.

Auch nach dem verlorenen Derby war die Ansprache von Schwarz auffällig. Er brachte ungeschönt zum Ausdruck, wie schwach der Auftritt seiner Mannschaft war. "Bevor wir über Strukturelles reden, geht es darum, eine Ausstrahlung und Intensität auf den Platz zu bekommen. Griffig, eklig und füreinander da sein - das muss die Basis sein." Diese Kritik sitzt. Solch ein klarer Blick auf die Leistung des Teams holt auch die Fans ab, da sie sich in ihrem Frust verstanden fühlen.

Ohnehin sticht heraus, wie sehr Schwarz versucht, das zuletzt so enttäuschte und teils zerrüttete Umfeld mitzunehmen. Zum einen bringt er öffentlich Verständnis dafür auf, dass die Köpfe der Fans nach den letzten Jahren sich schnell senken, wenn eine erneute Niederlage hingenommen werden muss. Die Unterstützung der Anhänger in der Alten Försterei lobt er sogar außerordentlich. Ein empathisches Vorgehen, so fühlen sich die Fans gesehen. Zum anderen erbittet sich Schwarz einen fairen Start - schließlich kann er nichts für die letzten Jahre, die auch ihm keinen reibungslosen Start ermöglichen. "Es gilt kritisch, offen und nahbar zu sein, aber auch immer einen Ausblick mit einer positiven Grundstimmung zu haben", so seine Devise, die bislang gut ankommt und für ein Miteinander sorgt.

Die Neuzugänge machen Mut

Zwar hat der bereits erwähnte Kenny bislang einen schweren Stand, doch abseits des Rechtsverteidigers konnten die Neuverpflichtungen des Sommers bereits positiv auf sich aufmerksam machen. Ivan Sunjic hat sich auf Anhieb in Herthas Stammformation etabliert und könnte ein Teil der noch so dringend benötigten Achse werden. Seine unermüdliche Laufarbeit, Zweikampfstärke und Bereitschaft sind Eigenschaften, die Hertha sichtlich guttun.

Sein Landsmann Filip Uremovic feierte gegen Union sein Debüt in Herthas Innenverteidigung und machte seine Sache ordentlich. Mit seinem resoluten Zweikampfverhalten und der souveränen Spieleröffnung dürfte er sich auf Anhieb festgespielt und somit Dedryck Boyata verdrängt haben.

Auch die Offensiv-Verstärkungen machen Lust auf mehr. Chidera Ejuke zeigte bei seinen beiden Jokereinsätzen in Pokal und Liga, was für Potenzial in ihm steckt. "Ejuke ist ein Eins-gegen-eins-Spieler, der ein gutes Tempo und einen guten Zug zum Tor hat", so Schwarz' Einschätzung. Er könnte in dieser Saison sehr wichtig für die Berliner werden.

Mittelsturm-Neuling Wilfried Kanga bewies ebenso in seinen knapp 40 ersten Minuten im blau-weißen Trikot, welch Verstärkung er sein kann. Der Franko-Ivorer besticht durch eine sehr robuste Physis und gute Ballbehauptung, sowie intelligenten Tiefenläufen - all das hat Hertha bislang schmerzlich gefehlt. So ist es keine gewagte These, zu behaupten, dass Ejuke und Kanga womöglich schon ab dem kommenden Spieltag Startelfkandidaten sind.

Dasselbe gilt wohl ungesehen für den jüngsten Neuzugang. Jean-Paul Boetius ist ablösefrei nach Berlin gewechselt und könnte auf Anhieb auf die Achter-Position neben Suat Serdar rutschen. Der Niederländer kennt Trainer Schwarz aus gemeinsamen Mainzer Zeiten, die beiden schätzen sich sehr. Boetius verkörpert dessen Spielidee bestens. Mit seiner Spielintelligenz und Laufbereitschaft ist offensiv wie defensiv von großem Wert. Der 28-Jährige gehört bei den Pressingwerten zu den besten sieben Prozent aller Mittelfeldspieler der europäischen Top-fünf-Ligen. Womöglich ist er das letzte Puzzlestück für das 'System Schwarz'.

Sendung: rbb24, 09.08.2022, 21:45 Uhr

8 Kommentare

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  1. 8.

    Ich muss nochmals auf das Video und Boateng's Aussagen zurück kommen. Tut mir leid. Aber wie gut gelaunt der Prince nach einer krachenden Derby Niederlage ist, verwundert schon. Nur zum Beispiel: Andere Stadt, andere Zeit. Stefan Effenberg verliert mit dem großen FC Bayern das Derby gegen die kleinen 60zger . Der hätte nicht so gute Laune nach drei Tagen.

  2. 7.

    Der Herr Boateng schwafelt vor jedem Spiel das gleiche. Haben die Niederlage gut weggesteckt, sind richtig gut drauf im Training, werden alles geben. Aber warum bringt Hertha dann trotzdem keine Leistung? Entweder ist das immernoch zu wenig oder Boateng erzählt Müll.

  3. 6.

    Ja, so wie Sie es beschrieben haben, kann nur eine Mannschaft funktionieren, um Erfolge dauerhaft feiern zu können. Ich bin kein Fan von Hertha BSC, aber Häme o. Spott liegen mir fern. Hertha BSC's Mannschaft muss zuerst eine solche werden. Wenn sie erstklassig bleiben will, muss sie immer als Mannschaft um jeden Ball (!) fighten bis zum Ende des Spiels, auch wenn man bereits hintenliegt. Jeder weiß, wer sich aufgibt und nur hinten drin steht, hat von vornherein verloren u. kann nicht gewinnen.

  4. 5.

    Wenn ich die Bewertungen der Spieler so lese dann wundert es mich umso mehr dass sie Union nicht vom Platz gefegt haben Anscheinend setzen seit 2 Jahren die Spieler von Union im Kollektiv ,einer für Alle ,alle für Einen,diese Tugenden unter ihrem Trainerum ,und zwar mitreißend und begeisternd.Das ständige Lamentieren, das neue System braucht Zeit,das Potenzial ist da,die Verunsicherung ist gross.Vielleicht passen die Spieler nicht zum System von Herrn Schwarz.Fruher war zuerst wichtig gnadenlos fighten,über Kampf zum Spiel ,wenn sich nicht lief gab's zur Halbzeit für jeden einen Liter Ochsenblut zum saufen(Witz)Nach dem Spielwurde der Sieg gefeiert oder in der Niederlage das Lied 11 Freunde angestimmt und jeder hatte das Gefühl alles gegeben zu haben. Fussball kann auch ohne das endlose rethorische Gelaber und erklären was,warum,Verständnis,Geduld .......funktionieren in dem einfach Leistung und professionelle Berufseinstellung bedingslos einfordert bei dem irren Geld .

  5. 4.

    … es ist doch schon fast lächerlich, wie man bei Hertha versucht, permanent alles schön zu reden.

  6. 3.

    Der Weg ist steinig aber wenn das Team die Steine aus dem Weg räumen will, dann müssen Sie es jetzt auch mal zeigen.

  7. 2.

    Es wäre besser gewesen Herr Schwitzky hätte seine vier Beobachtungen für sich behalten, denn sie bringen keinerlei Erkenntnissgewinn.
    Die täglichen Wasserstandsmeldungen zu einem an den Haaren herbei gezogenem Thema sind ebenfalls überflüssig. Die Mannschaft muss auf dem Platz beweisen ob sie Fortschritte macht ob mit oder ohne PR Unterstützung des RBB

  8. 1.

    Frankfurt kommt bestimmt mit Frust nach Berlin, nach der Niederlage gg.die Bayern. Wird bestimmt sehr spannend werden.

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