Frauenfußball-Traditionsverein in der Krise - Turbine in Turbulenzen

Mi 02.11.22 | 23:27 Uhr
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Turbine-Torhüterin Vanessa Fischer schlägt die Arme über dem Kopf zusammen (imago images/foto2press)
Video: rbb24 | 02.11.2022 | Torsten Michels | Bild: imago images/foto2press

Turbine Potsdam befindet sich derzeit in einer Talfahrt. Vor allem in der Führungsebene kehrte seit dem Umbruch im Sommer keine Ruhe ein und nun musste nach nur vier Monaten auch der neue Trainer gehen. Der Klub steht vor großen Herausforderungen.

Dirk Heinrichs wirkt ernst und fokussiert in seinen Anweisungen auf dem Rasen. Seit fast 20 Jahren ist er Co-Trainer bei Turbine und gewann mit den Potsdamerinnen die deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal und die Champions League. Seit diesem Montag ist er plötzlich der Chef auf dem Trainingsplatz.

Verein taumelt Abstieg entgegen

Denn nach der 0:5-Heimniederlage gegen den SC Freiburg am vergangenen Wochenende hat es bei Turbine einen Knall gegeben. Der Frauen-Bundesligist trennte sich von Trainer Sebastian Middeke, der erst im Juni gekommen war. Der Glaube, mit dem 38-Jährigen noch die Wende zu schaffen, war nicht mehr da. Die Potsdamerinnen taumeln aktuell geradewegs dem Abstieg entgegen.

In der vergangenen Saison spielten sie noch um die Champions-League-Plätze und standen im Pokalfinale, nun ist der einst so erfolgreiche Verein nach sechs Spieltagen mit nur einem Punkt Tabellenletzter. Aber nicht nur Middeke packte seine Sachen - auch die beiden Vorstandmitglieder Stefanie Draws und Gordon Engelmann verkündeten ihren Rücktritt.

Personalbeben begann schon vor Monaten

Turbine erlebt ein Personalbeben, das schon vor Monaten begann. Bereits im Sommer hatte Rolf Kutzmutz sein Amt als Präsident nach einem Streit über die Trennung des damaligen Trainers Sofian Chahed aufgegeben. Vor wenigen Wochen ging dann auch sein Stellvertreter Uwe Reher. Seitdem leitet die Vize-Präsidentin Ulrike Häfner die Geschicke des Klubs mehr oder weniger allein. "In den letzten Monaten hat sich alles bei uns summiert. Natürlich gehen die Rücktritte nicht spurlos an uns vorüber", erklärt Interimstrainer Heinrichs.

Meine Aufgabe ist es jetzt, die Spielerinnen bestmöglich auf die Partie vorzubereiten. Keine Ahnung, was danach kommt.

Interimstrainer Dirk Heinrichs

Er wird bis auf Weiteres die sportliche Verantwortung für Turbine tragen. Der Verein ist aber schon auf der Suche nach einem Ersatz. Heinrichs besitzt nicht die vorgeschriebene A-Lizenz, um den Posten des Cheftrainers langfristig zu besetzen. Zumindest beim nächsten Bundesliga-Spiel in Essen wird er die Mannschaft aber interimsmäßig leiten. Danach kommt es auch darauf an, ob und wie lange der DFB eine zeitlich begrenzte Übergangszeit einräumt. "Meine Aufgabe ist es jetzt, die Spielerinnen bestmöglich auf die Partie vorzubereiten. Keine Ahnung, was danach kommt", sagt Heinrichs.

Turbine hat den Anschluss verpasst

Tatsächlich ist die personelle Zukunft des Potsdamer Vereins ungewiss. Zeitgleich zur Suche nach einem neuen Trainer steht am 11. November auch die Präsidentschaftswahl an. Dabei ist der Mediziner Karsten Ritter-Lang derzeit der einzige zur Wahl stehende Kandidat. "Die Umfeldbedingungen im Frauenfußball ändern sich aufgrund der zunehmenden Professionalisierung besonders finanziell rasant", so der Ärztliche Direktor einer Orthopädie-Fachklinik. Der Verein müsse in der aktuellen Situation "organisatorisch restrukturiert" werden.

Ganz leicht wird das nicht werden. Die Frauen-Bundesliga hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Viele der Top-Teams sind an Männer-Mannschaften angegliedert und so finanziell abgesichert. Anders Turbine, die Schwierigkeiten haben, gute Sponsoren zu finden, um mit den großen Teams mithalten zu können.

Bei Interimstrainer Heinrichs stößt das auf Unverständnis: "Wir sind ein reiner Frauen-Fußballklub, wir sind der Traditionsverein, wir haben etwas zu bieten und sind eine Marke. Ich verstehe nicht, warum keiner aufspringt und uns bei dem jährlichen Kampf gegen die anderen Machtverhältnisse unterstützt." Auch vom Land Brandenburg würde er sich mehr Unterstützung wünschen. "Wir brauchen den Respekt und die Überzeugung der Leute, dass wir hier in Potsdam noch sind. Manchmal habe ich das Gefühl, das man uns gar nicht mehr haben will", erzählt er traurig.

Die Hoffnung bleibt

Auch der Ruf des Geldes hatte im Sommer dazu geführt, dass Turbine viele Leistungsträgerinnen an andere Teams verloren hatte. "14 Top-Spielerinnen sind uns verloren gegangen, die alle Startelf-Niveau hatten", sagt Heinrichs. Die neu zusammengestellte Mannschaft hat seitdem noch nicht zueinander gefunden und vor allem auch mit großen Verletzungsproblemen zu kämpfen. "Wir hatten über Jahre Spielerinnen, die wir athletisch top ausgebildet haben oder die von anderen Vereinen top ausgebildet gekommen sind. Das war leider in diesem Jahr nicht der Fall. Wir fangen also bei null an", erklärt der Interimstrainer.

Trotzdem wollen sie nicht aufgeben und um jeden Preis noch für die Wende sorgen. "Die hohe Kunst ist es jetzt, sich da raus zu boxen. Dafür braucht man eine gute Mannschaft, die intern zusammenhält. Und ich glaube, die haben wir. Jetzt müssen wir es schaffen, das auch auf den Platz zu bekommen", sagt Stürmerin Sophie Weidauer. Die nächste Chance dafür haben sie am Sonntag bei der ebenfalls im Keller steckenden SGS Essen. Und danach? "Mein größter Wunsch im Verein wäre, dass wir jetzt ein Oberhaupt bekommen, das einen großen Staubsauger dabei hat und hier ordentlich durchsaugt. So, dass wir hier in Ruhe einen Neustart haben können", hofft Heinrichs.

Sendung: rbb24, 02.11.2022, 18 Uhr

5 Kommentare

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  1. 5.

    Vorsicht! @Jewittatuete - Der Präsidentenbewerber, Mediziner und Klinikmanager wurde dieses Jahr sechzig Jahre alt und immer noch ein guter Sportschütze. Seine Klinik Stenum Ortho GmbH gehört zum AllDent-Konzern, dass über 1500 Mitarbeiter beschäftigt. Dein Altersrassismus nervt. Wir sollten am 11. November bei der Mitgliederversammlung mal zusammen ein kühles Bier trinken.

  2. 4.

    In Anbetracht der Tatsache, dass es die bisherige Vereinsführung das Kunststück vollbracht hat, für das Präsident*innenamt wieder einen alten, weißen Mann ausgesucht zu haben, hoffe ich inzwischen auf gar nichts mehr. Alle Welt lacht uns aus und fragt uns, warum wir immer noch an den alten Mustern festhalten. Da hilft auch die Schönrederei von Bernd Henke nicht mehr.

  3. 3.

    Im Prinzip reden wir über eine geschäftsführende Etage, der sämtliche Vereinsstrukturen untergeordnet sind – hier muss sich jeder wiederfinden. Der sehr gute Redebeitrag von Sophie Weidauer im Video beweist deutlich, dass eine fokusierte positive Einstellung zu Leistung & Arbeit im gesamten Turbine Kader vorhanden ist. Das Ende der letzten Saison mittels Einflussnahme Dritter ein Ausverkauf stattfand, der eine Mischung aus Gier, Dummheit & Moralismus aufzeigte, die dieser Klub nicht verdient hat, gilt es ohne Gequatsche schweigend zu ignorieren.

    Ich bin mir sicher, dass im Dezember qualifizierte Kandidat*innen antreten werden, die organisatorische Fähigkeiten bzw. kommunikative Talente mitbringen, die überregionale, kooperative & erfolgreiche Sponsoren mit Professionalität ansprechen und heranziehen werden. Das Gebot der Stunde: effizientes Arbeiten ermöglichen & Verantwortung übernehmen, denn die neuformierte Mannschaft motivierter junger Frauen bedarf unser aller Anerkennung.

  4. 2.

    Der 1. FFC Turbine Potsdam ist ein ehrenamtlich geführter Verein, der jetzt aktuell mit geringer Personaldecke eine restrukturierende Transformation zu durchlaufen hat, die aber nur mit unternehmerischem Weitblick und Handeln zu bewältigen ist. Das bedeutet, dass das Präsidium als ehrenamtlicher gewählter Vertreter der Mitglieder eigentlich die Geschäftsführung darstellt.

    Dies bedeutet gleichzeitig, dass das Präsidium faktisch den Verein als Firma führen und begreifen muss. Somit ergibt sich die klare Aufgabe, wenn ein Präsidium gewählt wird, muss jedes Mitglied eine klare persönliche Expertise vorweisen und bereit sein, die gestellten Aufgaben abzuarbeiten.

  5. 1.

    Das Problem ist, dass sich die breite Masse nicht für Frauenfussball interessiert. Da bringt es auch nichts, zu allen Männerspielen Expertinnen und Moderatorinnen eingeladen werden oder in der Sportschau oder bei DAZN Frauenspiele mit eingebaut werden. Man kann nichts erzwingen.

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