Interview | 30 Jahre Hoyerswerda - "Die Vehemenz hat mich überrascht - die Grundstimmung nicht"

Fr 17.09.21 | 14:00 Uhr
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Archivbild: Asylbewerber können den Hass nicht verstehen, der ihnen besonders in den neuen Bundesländern entgegengebracht wird, aufgenommen am 25.09.1991. (Quelle: dpa/Thomas Lehmann)
Audio: rbbKultur | 17.09.2021 | Ralf Gödde | Bild: dpa/Thomas Lehmann

Mehrere Tage belagerten im Herbst 1991 Neonazis in Hoyerswerda Unterkünfte von DDR-Vertragsarbeitern und Geflüchteten. Fensterscheiben wurden eingeworfen, Brandsätze explodierten. Pfarrer Christoph Polster sieht Parallelen zu Cottbus.

Hoyerswerda ist ein Synonym geworden für den Beginn einer ganzen Serie rechtsradikaler Gewaltausbrüche in den 1990er Jahren: Im September 1991 kam es zu mehreren rassistisch motivierten Übergriffen auf eine Unterkunft für DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik und Vietnam und ein Wohnheim von Geflüchteten. Teilweise standen bis zu 500 Personen vor den Häusern und beteiligten sich an den tagelang dauernden Angriffen, die Bewohner mussten sich in den Häusern verschanzen. Polizei und Politik schienen völlig überfordert, schließlich wurden die Angegriffenen aus der Stadt gebracht.

rbb|24: Herr Polster, Sie waren damals Pfarrer in Cottbus. Wie haben Sie die Zeit erlebt? Können Sie sich noch erinnern, als Sie im September 1991 das erste Mal von den Übergriffen in Hoyerswerda gehört haben?

Christoph Polster: Ich kann es nicht ganz genau verorten. Aber inhaltlich weiß ich sehr genau, wie es mich getroffen hat. Zwei Dinge möchte ich sagen: In der Tat blieben die Ausschreitungen nicht auf den Osten begrenzt. Solingen und Mölln sind nur einige wenige Orte, in dem das in großer Brutalität genauso zugeschlagen hat. Das andere ist der Blick zurück: Ich war in der Lehre in Leipzig auch mit Vietnamesen bei VEB Galvanotechnik Leipzig beschäftigt. Das Zusammenleben war nicht gut. Die Vietnamesen waren separiert - und man hatte immer den Eindruck, denen geht es irgendwie besser. Diese ganzen Neid-Geschichten waberten damals auch schon durch die Gegend.

All das schwappte dann in die 1990er Jahre, die ohnehin von Brüchen, von Zusammenbrüchen von Lebensträumen, Lebensperspektiven und Möglichkeiten gekennzeichnet waren und kulminierte in einer unglaublich aggressiven Stimmung. In Hoyerswerda kam es zu den Exzessen, wo das alles eskalierte.

Zur Person

Pfarrer Christoph Polster (Quelle: imago images)
imago images

Christoph Polster

Christoph Polster ist Vorsitzender des Fördervereins "Cottbuser Aufbruch e.V.".
Polster war bis Ostern 2015 Pfarrer der Cottbuser Oberkirche. Er engagiert sich zusätzlich im Verein "Aufarbeitung Cottbus".

In der DDR gab es ganz offiziell verordnet keine Nazis und Neonazis. Das Thema Völkerfreundschaft stand ganz oben auf der politischen Agenda. Hat es Sie überrascht, mit welcher Brutalität sich die wirklich fremdenfeindliche Gewalt so kurz nach der Wende Bahn gebrochen hat?

Die Vehemenz hat mich überrascht. Die Grundstimmung hat mich nicht überrascht, denn die kannte ich. Völkerfreundschaft war verordnet, man zahlte seinen Beitrag für die deutsch-sowjetische Freundschaft. Das war aber ein Lippenbekenntnis. Die persönliche Stimmung und die Lage im Land verstärkten sich so sehr, dass sich der Widerstand gegen dieses Verordnete, auf das Neuverordnete übertrug. Dem Widerstand war aber keine so massive staatliche Macht mehr gegenübergesetzt.

Cottbus ist nicht einmal eine Autostunde weg von Hoyerswerda. Auch dort hat sich in dieser Zeit ja der Neonazismus Bahn gebrochen - und wirkt bis heute nach. Wo sehen sie Parallelen zu dem, was in Hoyerswerda passiert ist, und was sich in Cottbus dann anschloss?

Cottbus ist eine Stadt - wie viele andere in der DDR - mit Stadtteilen mit markanten Strukturen wie in Hoyerswerda. Insofern gibt es soziologische und soziale Gemeinsamkeiten. Die allgemeinen politischen Bedingungen, die Brüche und Enttäuschungen verbinden das Schicksal vieler Menschen in Cottbus mit denen, die in Hoyerswerda gelebt haben, damals in den 1990er Jahren.

Bis heute spricht man mit Blick auf diese Zeit auch von den "Baseballschlägerjahren": Es war sehr viel Gewalt, die von rechts auf der Straße kam. Dann gab es eine Zäsur: Mit dem Cottbuser Aufbruch bildete sich ein parteiübergreifendes Bündnis. Sie stehen dem Förderverein vor. Hatten Sie damals das Gefühl, jetzt dreht sich was?

Damals musste sich diese Zivilgesellschaft erst einmal sortieren. Da war man eher auf Abwehr, auch in Hoyerswerda. Viele haben sich gesagt: Wir sind die Opfer. Wir werden hier angeklagt. Die Stadt, die Kommune, die Polizei und die Gerichte wollten das alles gar nicht wahrhaben. Heute sind wir glücklicherweise in der Lage zu wissen, dass die Opfer diejenigen sind, die zu Tode gekommen sind, die gehetzt wurden, die angespuckt wurden, deren Würde getreten wurde. Es hat eine Weile gedauert, bis sich die Zivilgesellschaft gefunden hat.

1999 gründete sich der Cottbuser Aufbruch, und es war für uns alle eine Zeit des Lernens. Wie wehren wir uns gegen die Ideologen und wie können wir verhindern, dass junge Leute in diesen Sog hineinkommen?

Mit dem Zuzug in den Jahren 2016 und 2017 verdoppelte sich der Ausländeranteil in Cottbus in kurzer Zeit, und es kam zu mehreren gewalttätigen Vorfällen. Das löste Debatten aus und war wenig später Anlass für Demonstrationen des Vereins "Zukunft Heimat" mit mehreren Tausend Menschen. Große Gegendemonstrationen gab es kaum. Waren Sie damals ratlos?

Es gibt natürlich Ängste, die ich auch ernst nehmen möchte und ernst nehme. Aber die Ängste zu missbrauchen, ist menschenfeindlich. Wir brauchen eine Haltung, und diese brauchen wir heute umso mehr.

Ja, es waren vor einem Jahr hier auf dem Stadthallenvorplatz eine ganze Reihe von Anhängern des Vereins "Zukunft Heimat" - und wir waren wirklich manchmal nur zu dritt und haben versucht, mit symbolischen Gesten etwas zu tun. Das war der Mut der Verzweiflung. Aber natürlich muss man ein Zeichen setzen und braucht starke, innerlicher Kräfte - und man braucht auch Ermutigung. Das war vor einem Jahr nicht gegeben, da waren wir nur wenige - und das kann uns nicht befriedigen.

Wäre so etwas, was damals vor 30 Jahren in Hoyerswerda passiert, ist heute noch einmal möglich? Oder war das eine andere Generation?

Jahrestage sind wichtig, sie erinnern uns, und konfrontieren uns mit dieser Frage. Und nein, Geschichte wiederholt sich nicht. Es sind immer wieder neue Aspekte. Auch wenn es ähnlich aussieht, ist es nicht dasselbe. Es gibt immer wieder neue Bedingungen, und es ist trügerisch, den Weg der Verführung zu gehen und alte Mechanismen oder Rezepte einfach zu wiederholen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bei diesem Text handelt es sich um eine redigierte Fassung eines Interviews, das Andreas Rausch mit Christoph Polster für Antenne Brandenburg geführt hat.

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6 Kommentare

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  1. 6.

    Herr Kelch, der Bürgermeister (CDU) von Cottbus, hat zu wenig Geld, die Ausländer zu "integrieren". Er fordert von Land und Bund mehr Unterstützung. Der Ausländeranteil habe sich in den vergangenen zehn Jahren auf 8,4 Prozent mehr als verdoppelt. Obwohl die Lausitz selbst sich in einem wirtschaftlichen Niedergang befindet. Der schnelle Braunkohleausstieg hat gravierende Folgen für die Region.
    «Die Integrationspauschalen müssen nicht nur für dieses Jahr, sondern rückwirkend seit 2016 gezahlt werden», forderte der OB. Zudem müssten die verstärkten Streifen von Polizei und Ordnungsamt so lange aufrecht erhalten werden, wie dies notwendig sei.
    Die Stadt bereite aber auch eine Vereinbarung mit den Flüchtlingen vor, in dem diese sich verpflichten sollten, sich an Gesetze und Regeln in Deutschland zu halten, kündigte Kelch an.

  2. 5.

    Ihr Kommentar ist Menschen-verachtend. Wie konnen sie nur so pauschal uber Menschen sprechen, die sie nicht kennen. Das erinnert an düstere Zeiten.

  3. 4.

    "Nach Cotbus sind überwiegend Ausländer gekommen, die dazu beigetragen haben, laut CDU Politiker Merz die Hartz 4 Bilanz um eine Million zu erhöhen." > 1.Ausländer sind gleichberechtigte Menschen wie Sie und Ich. > 2.Außerhalb vom kleinen Deutschland sind Sie auch Ausländer. 3.Sündenbockdenken war hier 33-45 übelst üblich - ich möchte Ihr Gesicht sehen, wenn Deutschen überall für alles angekreidet wird, dass wir zufällig Deutsche sind.

  4. 3.

    Absolut widerlich, was damals passiert ist und das man diesen Neonazis freien Lauf gelassen hat.

  5. 2.

    "Pfarrer Christoph Polster sieht Parallelen zu Cottbus." Einen Unterschied gibt es. Die Vietnamesen waren als Arbeitskräfte förmlich eingeladen worden, um über ein zwischenstaatliches Abkommen hier produktiv tätig zu werden.
    Nach Cotbus sind überwiegend Ausländer gekommen, die dazu beigetragen haben, laut CDU Politiker Merz die Hartz 4 Bilanz um eine Million zu erhöhen.

  6. 1.

    Auch das ist ein Teil deutscher Geschichte, den viele gerne vergessen...

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