Corona-Krise - Häusliche Gewalt in Brandenburg während Lockdown angestiegen

Di 07.07.20 | 18:52 Uhr
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Heike Wolf-Brendel, Leiterin der Familienberatungsstelle in Zehdenick, vor der Beratungsstelle im Kloster Zehdenick.
Audio: Inforadio | Anna Bayer | 07.07.2020 | Bild: rbb / Anna Bayer

Die Corona-Pandemie sorgt für zusätzlichen Stress in vielen Familien. Zahlen zeigen, dass die Gewalt gegen Frauen im eigenen Zuhause in Brandenburg während des Lockdowns gestiegen ist. Trotzdem berichten Beratungsstellen in dieser Zeit von einer "gespenstischen Stille". Von Anna Bayer

Dieser Fall ist einer von vielen: Eine junge Frau kann während der Kontaktbeschränkungen nicht zur Arbeit gehen und ist den ganzen Tag mit dem Kind zu Hause. Ihr Mann hat finanzielle Sorgen und kann nicht mit Stress umgehen – all diese Faktoren führen zu großen Spannungen in der Partnerschaft. Der Mann wird gewalttätig und attackiert die Frau verbal und körperlich. So hat die junge Mutter den ganzen Tag Angst vor seiner Rückkehr am Abend. Nach den Lockerungen sucht die Frau Hilfe bei der Familienberatungsstelle in Zedenick.

"Sie berichtete, dass sie sich abends immer ängstigte, in welcher Stimmung er nach Hause käme, und unter den Bedingungen des Lockdowns konnte sie nicht rausgehen", sagt Heike Wolf-Brendel, die Leiterin der Familienberatung in Zehdenick (Oberhavel) ist. Seit die Kontaktbeschränkungen gelockert wurden, seien die Anfragen an die Familienberatungsstelle stark gestiegen.

22,5 Prozent mehr Anzeigen wegen häuslicher Gewalt

Der Fall in Zehdenick steht für eine Reihe von Vorfällen während der Kontaktbeschränkungen in Brandenburg, das bestätigen Zahlen der Polizei. So wurden zwischen dem 16. März und dem 17. Mai in Brandenburg 22,5 Prozent mehr Anzeigen wegen häuslicher Gewalt erstattet als 2019. Insgesamt waren es 756 Anzeigen und damit 139 mehr als im selben Zeitraum im vergangenen Jahr, da waren es 617. Das hatte das Frauenministerium auf Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Bettina Fortunato mitgeteilt.

Die Daten stammen aus dem Polizeiauskunftssystem (POLAS). Das Register im Intranet der Polizei erfasst Details zu begangenen Straftaten. Polizisten tragen stichpunktartig ein, was der Grund für ihre Einsätze war. Das Register erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, die Daten zeigen jedoch einen eindeutigen Trend auf. Die genauen Zahlen erscheinen erst nächstes Jahr, in der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2020.

Der Täter hörte mit

Obwohl die häusliche Gewalt stark angestiegen ist, berichten Frauenhäuser und Beratungsstellen, dass die Anfragen gerade zu Beginn der Kontaktbeschränkungen zurückgingen. Es habe eine geradezu "gespenstische Stille" geherrscht.

Den Grund dafür sehen Expertinnen und Experten darin, dass viele Betroffene erst jetzt, nach Ende des Lockdowns, die Möglichkeit hätten, zum Telefon zu greifen und von ihren Gewalterfahrungen zu berichten. Denn die Täter hörten mit, wie Wolf-Brendel sagt: "Wir kennen Frauen, die konnten nur sprechen, wenn sie einkaufen gingen, weil sie Angst hatten, zu Hause frei zu sprechen." Viele hätten auch Angst gehabt, dass ihr Telefon abgehört oder mitgeschnitten werde.

Ein Problem: Kontrolle

Diese Beobachtung hat auch Laura Kapp vom Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser gemacht: "Zu den Zeiten der intensivsten Kontaktbeschränkungen waren viele Familien in ihre Wohnung eingesperrt, und da kann man nicht raus um heimlich zu telefonieren."

Dazu komme auch, dass der Täter das Opfer in gewaltbetroffenen Beziehungen oft kontrolliere. "Und dazu gehört eben in vielen Fällen auch, dass der Täter das Telefon der Frau untersucht und dann nachvollziehen kann: wen hat sie angerufen, mit wem hatte sie Kontakt?" Durch die Kontaktbeschränkungen habe die betroffene Frau nicht so einfach das Telefon von jemand anderem benutzen oder vom Büro aus anrufen können.

Keine Möglichkeit, sich aus dem Weg zu gehen

Das ist ein Grund dafür, dass Beratungsstellen und Frauenhäuser weitgehend leer blieben. Dazu kommt: Viele Opfer von Gewalt schämen sich, nur die wenigsten suchen von sich aus Hilfe. Viele werden von der Polizei in Frauenhäuser gebracht oder in der Schule oder Kita fällt auf, dass die Mutter eines Kindes verletzt ist. Diese Kontrollinstanzen und Kontakte fehlten aber während des Lockdowns, die Frauen hatten wenig Kontakt zur Außenwelt und waren mit den gewalttätigen Männern auf engstem Raum eingesperrt.

Da sich die Familienmitglieder nicht aus dem Weg gehen konnten, wurde die Gewalt extremer als sonst, sagt Laura Kapp: "Nach einem Streit kann man sich normalerweise aus dem Weg gehen, da rennt er wütend aus dem Zimmer, geht zum Fußballtraining oder sie kann mal raus zur Arbeit, man sieht sich einen halben Tag nicht. Und das gab es während des Lockdowns plötzlich nicht mehr, es war ein konstanter Druck da." Dieser Druck hat in Brandenburg bereits zum Schlimmsten geführt: Alleine im Mai gab es drei Fälle, in denen ein Mann seine Ehefrau getötet hat.

Auch in Brandenburg gibt es eine Reihe von Hilfsangeboten für Frauen, die sich in ausweglosen Situationen im häuslichen Umfeld wähnen. Das Brandenburger Familienministerium bietet auf seinen Seiten einen Überblick zu Hilfsangeboten [msgiv.brandenburg.de]. In jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt in Brandenburg gibt es Vereine, die Frauenhäuser betreiben. Kontakte können Sie unter anderem über das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser finden [nbfev.de] oder über den Bundverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe [frauen-gegen-gewalt.de].

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3 Kommentare

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  1. 3.

    An beide Vorredner: wir haben ein Shutdownchen (ein richtiger Lockdown geht dann nochmal anders als in BB umgesetzt), Männer werden von jetzt auf gleich gewalttätig, weil sie „mit dem Stress nicht umgehen können“, und Corona ist Schuld? Das glauben Sie doch nicht etwa ernsthaft, ich fasse es nicht.

    Es mag hingegen durchaus sein, dass man besonders in solchen Krisenzeiten sieht, welcher Mann nen ernsthaftes Ding an der Waffel hat und sowieso nicht auf die Straße gehört. Das dürfte in den allermeisten Fällen aber auch schon vorher erkennbar gewesen sein. Hier darf Kritik einsetzen, bei der Gewaltprophylaxe. Aber doch nicht bei phantasierten „Angstbürgern“. Mann oh Mann ...

  2. 2.

    Genauso ist es!
    "Doch auch wenn man hier keine Gewalt vermuten würde" Diese Naivität macht mich so wütend! Warum sollte man denn bitte dort keine Gewalt vermuten? Weil es so ein schönes ruhiges Örtchen ist?
    Neben den Angstbürgern und Politikern können Sie auch die Medien mit einbeziehen!
    Was oder wem nutzt die Veröffentlichung der angestiegenen häuslichen Gewalt?
    Mit normalem Menschenverstand ist einem das sowieso klar und wie Sie schon richtig schrieben, den Rest interessiert es nicht! Und auch den Opfern ist mit so einer Berichterstattung absolut nicht geholfen!
    Einfach nur noch beschämend, die heutige Coronagesellschaft!!!

  3. 1.

    Gut dieser Fakt war ja von vorne rein klar, aber wie man sieht das interessiert ja keinen unserer ach so tollen Angst Bürger und Politiker hier, die am liebsten jeden und alles für immer eingesperrt sehen würden.

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