Diskussionsrunde in Potsdam - "Sitzen und mosern – das kann jeder!"
"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" – unter diesem Titel lud die Schriftstellervereinigung Pen zu Diskussionsrunden in Ostdeutschland. In Potsdam ging es um eine Regierungsbeteiligung der AfD und miesepetrige Jammerlappen-Stimmung. Von Barbara Behrendt
Es gibt einen Grund, warum die Gäste an diesem frischen Septemberabend vor statt im Potsdamer Waschhaus Platz nehmen. Der junge Autor und Mitorganisator Aron Broks erklärt es zu Beginn dem fröstelnden Publikum: "Wenn wir drin gewesen wären, dann hätte nur etwa die Hälfte der Leute reingepasst und die andere Hälfte hätte die Diskussion auf dem Fernseher angeguckt. So ist es zwar etwas kälter, aber es können alle zusammensitzen – und das ist doch wunderbar."
Tatsächlich ist fast jeder Platz besetzt – und das Zusammensitzen macht schon für das Warm-up-Spiel Sinn. Broks fragt zum Beispiel: "Wer hält die AfD für gefährlich? Wer findet, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht reformierbar und gehört abgeschafft? Wer findet, dass in Deutschland Meinungsfreiheit herrscht? Wer hält sie für eingeschränkt?"
Wird die AfD zu schlecht gemacht?
In einer Blase aus rot-grünen Kultur-Aficionados sitzt man hier nicht – einige Arme gehen hoch bei der Frage, ob die AfD nicht zu schlecht gemacht werde. Seit Anfang August zieht die Schriftstellervereinigung Pen Berlin mit dieser Diskussionsreihe (und dem anfänglichen Fragespiel) durch viele Orte in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Unter dem Titel "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" treffen Schriftstellerinnen, Historiker, Publizistinnen und Literaturwissenschaftler unterschiedlicher politischer Couleur aufeinander – und diskutieren mit dem Publikum über Meinungsfreiheit.
Die 37. und letzte Diskussion findet nun pünktlich zu den Wahlen in Brandenburg am Sonntag in der Landeshauptstadt Potsdam statt. Auf dem Podium diesmal die Pen-Berlin-Sprecherin Eva Menasse und die Schriftstellerin Monika Maron. Im Gespräch mit ihnen geht der Moderator Jan Feddersen direkt in die Vollen: Kann man in Deutschland alles sagen, fragt er Maron. "Die Meinungsfreiheit ist grundgesetzlich garantiert", antwortet sie. "Ich habe mich trotzdem sehr gewundert, als ich hier auf dieses Podium geladen wurde. Das kommt seit gut zehn Jahren nicht mehr vor."
Maron warnt seit etwa 2010 immer wieder vor Islamisierung und zu viel Zuwanderung. Ihr wird oft eine Nähe zu rechten Parteien und rechten Verlagen zugeschrieben, die sie selbst aber dementiert. Mit Gegenwind zur eigenen Meinung müsse man umgehen, sagt sie in Potsdam. Doch in ihrem Fall gehe es um Diffamierung.
Kritik an den Sozialen Medien und am Gendern
Lange verheddert sich die Diskussion dann in Eva Menasses Grundsatzkritik an Social Media und an Monika Marons Kampf gegen gendergerechte Sprache. Als im Publikum die Behauptung fällt, ARD und ZDF wollten das Gendern "durchdrücken", platzt Menasse der Kragen: "Wenn wir sonst keine Probleme haben! Liebe Leute, wählt ihr hier wegen der Gendersprache zu 30 Prozent AFD? Ich möchte eigentlich heute Abend über Wut reden. Die Wut, die die Leute erklärtermaßen zur AfD treibt."
Wut über die Energiepolitik, Migration und Industrieabbau
Monika Maron nennt neben dem Frust über die Regierungspolitik drei Gründe für Wut: Die Energiepolitik, ein Abbau an Industrie und: Migration. "Denn wenn die Leute von Problemen mit der Migration reden, dann reden sie auch davon, dass 50 Prozent der Bürgergeldempfänger Einwanderer sind. Ich glaube nicht, dass irgendwer etwas hätte gegen arbeitende Zugewanderte."
An Stellen wie diesen bleibt die Diskussion zu ungenau – Zugewanderte, die im Niedriglohnsektor arbeiten, müssen oft zusätzlich zu ihrer Arbeit Bürgergeld beziehen. Nicht richtig ist auch Marons Aussage, man müsse 10.000 Euro Bußgeld zahlen, wenn man eine Trans-Frau versehentlich als Mann anspreche. Diese Aussage wird vom generell sehr wachen Publikum mit einem schnellen Faktencheck korrigiert.
Die AfD soll in Thüringen mitregieren, sagen Menasse und Maron
Einig sind sich die Schriftstellerinnen, dass die Wahlsiegerin AfD in Thüringen an der Regierung beteiligt werden sollte. Während Maron alles andere als problematisch für die Demokratie hält, setzt Menasse auf eine Entzauberung wie in ihrem Herkunftsland Österreich: "Wir hatten diese rechten Nasen schon zweimal in der Regierung und beide Male hat es keine zwei Jahre gedauert, bis alles in Schutt und Asche gefallen ist."
In Deutschland beklagt sie die miesepetrige Jammerlappen-Stimmung: "Mein Vater war ein jüdisches Flüchtlingskind und er hat immer gesagt: Bevor du jammerst, schau, wie es den anderen geht. Das ist meine Lebensmaxime. Wenn es etwas zu jammern gibt, dann rolle ich die Ärmel hoch. Und ich möchte gern, dass mehr Leute das in Deutschland machen. Gerade in den neuen Bundesländern. Sitzen und mosern, das kann echt jeder!"
"Dann wäre der Spuk vorbei!"
Und auch Monika Maron endet mit einem Appell: "Ich wünsche mir, dass all die Leute, die meinen, ihre Meinung nicht sagen zu können, es einfach tun. Dann wäre der ganze Spuk vorbei."
Dass unterschiedlichste Menschen ihre unterschiedlichsten Meinungen frei aussprechen – dafür hat der Pen Berlin mit seinen 37 Diskussionen wahrlich viel getan.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.09.2024, 06:55 Uhr