Krise im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - Goldener Handschlag für Ex-Chefredakteur des rbb
Der Rechnungshof von Berlin prüft alle Beraterverträge des rbb seit 2017. Dabei dürfte auch ein bislang unbekannter Vertrag in den Fokus der Prüfer geraten - der des ehemaligen Chefredakteurs. Denn der ist eigentlich im Ruhestand. Von M. Engert (NDR), R. Althammer und J. Goll (rbb)
Der Berliner Rechnungshof prüft alle seit 2017 geschlossenen Beraterverträge des rbb. Das bestätigte die Behörde auf Anfrage von NDR und rbb. Derzeit verschaffen sich die Rechnungsprüfer einen Überblick, um wie viele Verträge es geht. Wie lange die Prüfung dauern wird, konnte die Behörde noch nicht sagen. Zuvor hatten die Rechnungshöfe von Berlin und Brandenburg mitgeteilt, dass auch "Anstellungsverträge leitender Angestellter" Gegenstand dieser "abgestimmten Prüfung" sein werden.
Damit dürfte auch ein bislang unbekannter Vertrag in den Fokus der Prüfer geraten. Wie aus Recherchen von NDR und rbb und aus vertraulichen Dokumenten hervorgeht, schloss der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) mit seinem scheidenden Chefredakteur Christoph Singelnstein einen gut dotierten Beratervertrag – zusätzlich zu dessen lebenslangem Anspruch auf ein jährliches Ruhegeld von mehr als 100.000 Euro und seiner gesetzlichen Rente. In Summe soll Singelnstein vom rbb derzeit einen monatlichen Betrag erhalten, der ungefähr der Höhe seines letzten Gehalts als Chefredakteur entsprechen würde – das wären um die 15.000 Euro pro Monat.
ARD-Umfrage: Pensionäre als Berater eher die Ausnahme
Wie eine Umfrage unter den ARD-Anstalten ergab, haben weder Radio Bremen noch der Saarländische Rundfunk, der SWR, der MDR oder der HR vergleichbare Verträge abgeschlossen.
Der Bayrische Rundfunk erklärte, ehemalige Führungskräfte würden "nur sehr vereinzelt" und vor allem "für den Abschluss laufender Projekte" weiter eingesetzt. Aktuell gebe es dafür zwei Beispiele: "eines bei einem IT-Projekt kurz vor dem Abschluss, eines in Zusammenhang mit Rechtsberatung". Grundsätzlich unterliege die Vergabe von Beraterverträgen beim BR strengen internen Regeln und Prüfungen.
Der NDR teilte mit, pensionierte Mitarbeiter beschäftige man nur "ausnahmsweise" noch auf Honorarbasis weiter. In solchen Fällen gelte jedoch eine Dienstanweisung, wonach diese Personen höchstens 50 Prozent der im NDR üblichen Vergütung für freie Mitarbeiter erhalten dürften. Beraterverträge schließe man dafür nicht. Auch der WDR erklärte, er beauftrage Beratungsleistungen, wenn entsprechende Kenntnisse im Haus nicht vorhanden seien. Zuständig sei dann der "zentrale Einkauf", um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. Aktuell gebe es keinen Vertrag mit einer ehemaligen Führungskraft, sondern nur mit einem "Mitarbeiter im Ruhestand über Beratungsleistungen im IT-Bereich. Dieser läuft Ende des Jahres aus."
Beratervertrag nach Vertragsauflösung
Im rbb hingegen lief es offenbar anders. Der Abschluss des Beratervertrags mit dem pensionierten Chefredakteur lief hier wohl nicht über den Einkauf, sondern über die inzwischen entlassene Intendantin Patricia Schlesinger und die damalige Chefin der Personalabteilung. Und auch die Höhe wirft Fragezeichen auf.
Anfang 2018 war Singelnsteins Vertrag im Zuge der Umstellung der Managementgehälter im rbb auf ein inzwischen abgeschafftes Bonus-System vorzeitig bis 2023 verlängert worden. Dabei wurde der Vertrag offenbar auch um eine der umstrittenen Ruhegeld-Regelungen ergänzt, die sich im rbb und in einigen anderen öffentlich-rechtlichen Sendern finden lassen.
Damit hatte Singelnstein Anspruch auf ein lebenslanges Ruhegeld in Höhe von 55 Prozent seines letzten Gehalts. Das lag nach NDR- und rbb-Informationen zuletzt bei 180.000 Euro im Jahr. In anderen Verträgen von rbb-Führungskräften, die Reportern von NDR und rbb vorliegen, ist geregelt, dass Ruhegeldansprüche pro Dienstjahr in der Geschäftsleitung um einen Prozentpunkt ansteigen. Singelnsteins Ruhegeld-Anspruch dürfte daher bei seinem Ausscheiden Ende März 2021 auf 58 Prozent seines letzten Gehalts angewachsen sein – das wären 8.700 Euro pro Monat und mehr als 100.000 Euro im Jahr zusätzlich zur gesetzlichen Rente, die darauf nicht angerechnet wird.
"Als Berater verbunden"
Der rbb hatte 2020 – trotz der vorangegangenen Vertragsverlängerung bis 2023 –überraschend mitgeteilt, dass Singelnstein doch schon im April 2021 in den Ruhestand gehen wird. Zu den Gründen für das vorzeitige Aus hatte sich der Sender damals nicht geäußert und lediglich mitgeteilt, der ehemalige Chefredakteur bleibe dem rbb "als Berater verbunden". Was das bedeutet, wird erst jetzt klar: Zum einen soll er den Sender laut Vertrag wohl genauso lange weiter beraten, wie ursprünglich sein Vertrag als Chefredakteur lief – bis März 2023. Zum anderen erhält er nach Recherchen des NDR und des rbb-Rechercheteams in dieser Zeit durch den Beratervertrag ein monatliches Honorar von 6.300 Euro überwiesen, verbucht als "Autor/sonstige Tätigkeit". Zusammengerechnet kommt er so auf ein Einkommen, wie er es vorher als Chefredakteur hatte.
Hinzu kommt eine weitere Auffälligkeit: Wie bei anderen leitenden rbb-Angestellten enthielt auch Singelnsteins Gehalt zuletzt einen sogenannten "leistungsabhängigen" Anteil, der nur dann ausgezahlt werden sollte, wenn bestimmte Zielvereinbarungen erreicht worden waren. Auffällig ist, dass Singelnstein heute im Ruhestand offenbar eine Summe erhält, die seinem letzten Gehalt inklusive eines solchen Bonus entspräche. Legt man zugrunde, dass dieser Anteil nur unter dem Vorbehalt ausgezahlt werden sollte, dass bestimmte Ziele auch erreicht worden sind, stellt sich die Frage, weshalb Singelnstein heute offenbar die volle Summe erhält – oder: Wie valide diese Zielvereinbarungen waren.
Man schweigt sich aus
Ein Sprecher des rbb erklärte auf Anfrage, man könne sich "zu Vertragseinzelheiten aus vertragsrechtlichen Gründen (Verschwiegenheitsklausel) nicht äußern", bestätigte allerdings, dass Singelnstein seit seinem Ausscheiden "noch einige Aufgaben für den rbb übernommen" habe. Der rbb wollte so "die Expertise von Herrn Singelnstein für den rbb sichern". Dazu gehöre die Weiterentwicklung der Electronic Media School, die Vertretung des rbb im Kuratorium der "Rundfunk Orchester und Chöre GmbH" und die "Beratung in medienpolitischen Fragen für die Intendanz" sowie das Engagement in Brandenburg. Nach Informationen von NDR und rbb soll mit letzterem auch die Beratung zu "Ostbefindlichkeiten" gemeint sein.
Auch Christoph Singelnstein verwies auf Verschwiegenheitsklauseln seiner Verträge und ließ Fragen dazu auch auf mehrere Nachfragen hin unbeantwortet. Seine Absagen sendete der im Ruhestand befindliche Ex-Chefredakteur von seiner rbb-Mailadresse aus.
Sendung: rbb24, 18.11.2022, 07:00 Uhr