Polizeiliche Kriminalstatistik für Berlin - Zurück zur "Normalität" – aber nicht bei den Kindern

Fr 21.04.23 | 20:48 Uhr | Von Sabine Müller
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Iris Spranger (l, SPD), Innensenatorin von Berlin, und Barbara Slowik, Polizeipräsidentin in Berlin, sprechen in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport auf einer Pressekonferenz zur Berliner Kriminalstatistik und zur politisch motivierten Kriminalität 2022. (Foto: dpa)
Audio: rbb24 Inforadio | 21.04.2023 | Thorsten Gabriel | Bild: dpa

Nach dem Ende der Corona-Pandemie steigen die erfassten Straftaten in Berlin insgesamt wieder an. Sorgen machen Politik und Polizei vor allem die Zahlen zu jungen Tatverdächtigen. Was steht drin in der Statistik - und was fehlt? Von Sabine Müller

  • Polizei registriert leichte Zunahme von Straftaten in der Stadt
  • Zunahme bei Diebstählen und Rohheitsdelikten
  • steigende Tendenz bei Kindern und Jugendlichen als Straftäter
  • Aufklärungssquote leicht gesunken

Dem Auftritt der Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und der Polizeipräsidentin Barbara Slowik, die die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) präsentierten, hätte eigentlich ein Warnhinweis vorangestellt werden müssen: Achtung, diese Zahlen liefern kein genaues Abbild der Sicherheitslage in der Stadt.

Schließlich erfasst die Statistik nur jene Straftaten, die die Polizei registriert und bearbeitet. Es fehlt das sogenannte Dunkelfeld, das in manchen Bereichen, etwa häuslicher Gewalt oder Sexualdelikten, sehr hoch ist. Bei Kontrolldelikten wie Drogenhandel oder Schwarzfahren hängt die Höhe der erfassten Zahlen stark von der Intensität der Kontrollen ab.

Außerdem stellen sich längst nicht alle erfassten Fälle hinterher tatsächlich als Straftat heraus und münden gar in einer Verurteilung. Experten fordern seit Langem, die PKS müsse unter anderem um Statistiken zur Strafverfolgung und durch Dunkelfeldbefragungen ergänzt werden.

In Richtung Vor-Corona-Niveau

Polizeipräsidentin Barbara Slowik konstatierte mit Blick auf das vergangene Jahr: "2022 begann im Alltag die Rückkehr zur Normalität ohne Corona und das gilt auch für die Kriminalität." 519.827 erfasste Straftaten bedeuteten ein Plus von 7,8 Prozent gegenüber 2021, damit lag das vergangene Jahr leicht über dem Vor-Corona-Niveau von 2019 (+1,2).

Von "guten Zahlen" wollten Slowik und Innensenatorin Iris Spranger nicht sprechen, aber beide betonten, im Bundesschnitt sei der Anstieg mit 11,5 Prozent deutlich höher ausgefallen. Was die Aufklärungsquote angeht, verwiesen Spranger und Slowik darauf, sie sei fast stabil geblieben und nur leicht von 50,3 Prozent auf 44,9 gesunken. Das sei der dritthöchste Wert in den vergangenen zehn Jahren.

Allerdings war Berlin schon mit dem leicht höheren Wert 2021 das Schlusslicht unter den Bundesländern. Der Spitzenreiter Bayern kam auf 69 Prozent Aufklärungsquote.

Häufig macht die Gelegenheit Diebe

Jenseits der gestiegenen Zahl der insgesamt erfassten Straftaten zeigt der Blick in einzelne Bereiche sehr unterschiedliche Entwicklungen. Deutliche Zuwächse gab es etwa bei den erfassten Diebstählen (+19,1), bei Kraftfahrzeugen und Fahrrädern genauso wie bei Taschen- und Ladendiebstahl. Zur Erklärung hieß es: Weil die Menschen nach Corona wieder verstärkt draußen unterwegs gewesen seien, habe es mehr Tatgelegenheiten gegeben.

Auch die Zahl der erfassten Rohheitsdelikte wie Raub oder Körperverletzung stieg an (+14,4), ebenso Mord und Totschlag (+14, 114 Tote). Ein deutliches Minus gab es unter anderem bei den erfassten Einbrüchen in Keller (-31,2) und beim Computer-Betrug (-64,1).

Kurioser Ausreißer: Der Bereich mit dem weitem höchsten Zuwachs war "Diebstahl von beziehungsweise aus Automaten". Das riesige Plus von mehr als 1.700 Prozent im Jahr 2022 relativiert sich allerdings, weil sich die Einbruchsserie in die Bezahlautomaten an öffentlichen Toiletten wohl nie mehr wiederholen wird. Denn die Toiletten funktionieren inzwischen entweder bargeldlos oder sind umsonst.

Tatwaffe Messer

Angesichts der aktuellen Debatte über Messer-Verbotszonen an besonders kriminalitätsbelasteten Orten und ein mögliches Messer-Verbot im öffentlichen Personennahverkehr bekam diese Tatwaffe besondere Aufmerksamkeit bei der Vorstellung der Kriminalstatistik. Im vergangenen Jahr gab es in Berlin 3.317 erfasste Fälle mit Messern als Tatmittel (+19,4). Dabei ist es allerdings wichtig zu betonen, dass dies gemäß der bundesweiten Definition auch alle Taten umfasst, bei denen der Messereinsatz nur angedroht und nicht ausgeführt wurde.

Knapp 14 Prozent der Fälle mit Messern als Tatmittel fanden an besonders kriminalitätsbelasteten Orten statt, 5,4 Prozent im ÖPNV. Besonders betroffene Bezirke waren Mitte, Marzahn-Hellersdorf, Neukölln und Spandau. Insgesamt wurden 15 Menschen tödlich verletzt, diese Zahl unterschied sich nur leicht von den Werten der beiden Vorjahre.

Wer sind die Tatverdächtigen?

Die eindeutige Antwort: hauptsächlich Männer. Bei den erfassten Straftaten insgesamt waren es knapp 75 Prozent, bei den Messer-Straftaten 86 Prozent und wenn in der Kategorie Raub sogar mehr als 92 Prozent.

Neben dem Geschlecht unterscheidet die Kriminalstatistik auch nach "Deutsche/Nichtdeutsche". Rechnet man ausländerrechtliche Verstöße heraus, die Deutsche nicht begehen können (also etwa unerlaubter Aufenthalt im Land), machten Nicht-Deutsche knapp 42 Prozent der Tatverdächtigen aus. Dies ist deutlich mehr als ihr Anteil an der Bevölkerung in Berlin (22,6 Prozent). Allerdings wohnte von diesen Menschen jeder Fünfte gar nicht in Deutschland, sondern war ein sogenannter reisender Tatverdächtiger.

Starke Zuwächse bei Kindern und Jugendlichen

Besonders auffällige Sprünge nach oben verzeichnete die Kriminalstatistik im vergangenen Jahr bei den jüngsten Tatverdächtigen: Plus 34 Prozent bei Kindern bis einschließlich 13 Jahren, plus knapp 28 Prozent bei den 14- bis 17-Jährigen. Sie fallen verstärkt mit sogenannten Rohheitsdelikten wie Körperverletzung oder Raub auf, wie Innensenatorin Iris Spranger sagte: "In der Altersgruppe der Kinder konnten wir im Zehnjahresvergleich bisher keinen vergleichbar hohen Wert feststellen, bei den Jugendlichen wurde der diesjährige Wert nur im Jahr 2013 übertroffen."

Auch bei den Messerstraftaten sind die Zuwächse bei Kindern (+64 Prozent, 153 Fälle) und Jugendlichen (+60, 397 Fälle) enorm. Die Polizei sieht als Gründe dafür unter anderem die leichte Verfügbarkeit von Messern sowie gruppendynamische Prozesse, in denen die jungen Leute angeben wollten. Solche Jugendgewalt werde häufig untereinander ausgetragen, auch die Opfer seien häufig noch im Jugendalter.

Der grüne Innenexperte Vasili Franco forderte als Reaktion auf die hohen Zahlen, die sozialen Auswirkungen der Coronapandemie auf Kinder und Jugendliche wissenschaftlich noch genauer in den Blick zu nehmen.

Ganz oben auf der To-do-Liste

Mit Blick auf gestiegen Quoten bei Kindern und Jugendlichen hieß es auf der Pressekonferenz sowohl von Innensenatorin Spranger als auch von Polizeipräsidentin Slowik, dieses Thema werde in diesem Jahr ein Schwerpunkt der Arbeit sein. Sie verbanden dies mit dem Hinweis auf bereits bestehende Präventionsprogramme sowie den Jugendgipfel im März, auf dem als Reaktion auf die Ausschreitungen in der Silvesternacht weitere Schritte beschlossen worden waren.

Der Kampf gegen Jugendgewalt sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, betonte Innensenatorin Spranger, die die Polizei nicht allein bewältigen könne. Elternhäuser, Schulen und Vereine müssten mithelfen.

Spranger setzte demonstrativ noch einen weiteren Punkt auf ihre To-do-Liste für 2023: Sie will Gewalt gegen Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr, wie sie nicht nur in der Silvesternacht stattfand, schärfer ahnden. Über die Innenministerkonferenz, deren Vorsitz Berlin in diesem Jahr innehat, möchte Spranger erreichen, dass Widerstandshandlungen und tätliche Angriffe in Zukunft grundsätzlich als "Angriff auf die Rechtsordnung" gewertet werden. Dann wären bei einer Verurteilung keine Bewährungstrafen mehr möglich.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.04.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

14 Kommentare

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  1. 14.

    Ich bin selbst eine Frau - aber Quoten in der Politik statt Fachkräfte sind eine Katastrophe. Das hier ist ein Beispiel

  2. 13.

    Beschäftigen Sie sich doch einmal eingehend mit der Kriminalitätsstatistik, und dann sind sie vieleicht von Unsinnverbreitung gefeit.

  3. 12.

    "Weitere Details sind zweitrangig." Bei ihnen schon, sie basteln sich ihre eigene Welt zusammen. München und Berlin lassen sich miteinander vergleichen, München ist nur den Namen nach eine Großstadt und besitzt keine Grenznähe wie Berlin.

  4. 11.

    Das Ergebnis von Frauenquoten in der Politik ist bei RRG/Bund eher eine Katastrophe die solche Ergebnisse hervorruft. Fachkräftemangel in der Politik erlebt man tagtäglich- aber kassieren von Steuergelder klappt ohne Probleme

  5. 10.

    Ein Detail und die Wahrheit ist, dass Berlin in der Kriminalstatistik den 1. Platz belegt, ca 14 000 pro 100 000 Einwohner, beispielsweise in München sind es ca. die Hälfte,.
    Weitere Details sind zweitrangig.

  6. 9.

    Die werden weder Sie, ich, noch andere Leser bekommen.
    Auch wenn es angebracht wäre ins Detail zu gehen um alle gefährlichen Situationen in Berlin darzustellen.

    UND vor allem wäre es gut wenn man nicht nur Statistiken vorstellt sondern auch angemessen handelt und die volle Härte der Gesetze anwendet.

  7. 8.

    Volle Zustimmung. Nur im Ansatz befriedigend. Da vermisse ich noch so viel mehr an Informationen.

  8. 7.

    Floskeln ohne ins Detail zu gehen. Die Angst vor der Wahrheit ist schon paranoid

  9. 6.

    Frau Springer es wird Zeit! Wer ein Messer bei sich trägt macht sich strafbar! Also bitte die Gesetze auch anwenden.
    Jungliche und Kinder die straffällig werden, dürfen nicht mit Samthandschuhe behandelt werden. Eltern haften für ihre Kinder ….war einmal , heute kümmern sich Eltern nicht um diese. Es wird Zeit unsere gesetzte auch anzuwenden, und nicht immer zu diskutieren.

  10. 5.

    Um den heissen Brei reden nennt man es. Interessant ist was man verschweigt nach versagender RRG-Politik. Andere Statistiken sind ehrlich- hier nicht

  11. 4.

    Was spricht eigentlich gegen ein generelles Messerverbot im öffentlichen Raum? Ich verstehe nicht, warum man in der Stadt ein Messer bei sich führen muss, außer, es gegen andere Menschen zu richten. Die Ausrede der Verteidigung gilt nicht mehr, wenn keiner ein Messer hat.
    Aber klar, müsste natürlich kontrolliert werden. Ist wohl nicht gewollt.

  12. 3.

    Wenn man eine Statistik der Öffentlichkeit präsentiert dann sollte auch ALLES BIS INS KLEINSTE drin stehen.

    Was hier den Bürgern vorgestellt wurde ist NICHTS HALBES UND NICHTS GANZES sondern

    NUR MURKS

    Diesen Auftritt hätten sich die beiden Damen sparen können.

  13. 2.

    Was für ein Dilemma, ich wohne seit Jahrzehnten in einem "problembezirk ",bin in solchen aufgewachsen und könnte so einiges aus Erfahrung erzählen was auch der Wahrheit entspricht. Leider werdet ihr diesen Erfahrungsbericht nicht öffentlich zeigen,da er euch nicht "gefallen" würde . Schade drum aber so is das wenn man die Wahrheit verschwiegen will oder muss.

  14. 1.

    Wie gehen denn Doppelstaatler mit u.a. deutscher Staatsbürgerschaft in die Statistik ein?

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