Interview | Eishockey-Experte Rick Goldmann - "Inzwischen musst du echt Eier haben, das so zu machen"

Do 12.01.23 | 15:47 Uhr | Von Shea Westhoff
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Die Spieler der Eisbären sind enttäuscht (Quelle: IMAGO/Beautiful Sports)
Bild: IMAGO/Beautiful Sports

Die Eisbären stecken in der Krise und kämpfen gegen den Abstieg. Eishockey-Experte Rick Goldmann erklärt im Interview, warum es beim deutschen Meister nicht läuft und stärkt Trainer und Sportdirektor den Rücken.

rbb|24: Am Freitag spielen die Eisbären gegen Augsburg und damit gegen einen direkten Konkurrenten in der Tabelle. Ist das ein Kampf gegen den Abstieg oder doch noch der mögliche Auftakt ins Ringen um die Play-Off-Plätze?

Rick Goldmann: Wenn man realistisch auf die Tabelle schaut, ist es beides. Wenn du das Spiel verlierst, spielst du definitiv gegen den Abstieg. Da musst du auch bis zum Schluss hundertprozentig dabeibleiben. Wenn du Augsburg jetzt schlägst, hast du realistisch die Möglichkeit, tatsächlich nochmal nach oben zu schauen.

Stürmer Marcel Noebels sagte, dass es unter gewissen Umständen denkbar sei, noch an den Top-Ten-Plätzen zu kratzen, also den Pre-Playoffs, wenn am Freitag die Augsburger Panther besiegt werden können. Die Eisbären in den Playoffs 2023 - ein verwegenes Szenario?

Wenn ich ganz ehrlich bin, ist es das immer noch nicht, obwohl schon so viele Spiele gespielt wurden. Es ist Qualität in dem Kader - mehr, als es der Tabellenplatz aussagt. Die Eisbären sind in diesem Jahr sicherlich keine Top-drei- oder Top-vier-Mannschaft, aber besser, als der Tabellenplatz zeigt.

Zur Person

Rick Goldmann (Quelle: IMAGO/Sven Simon)
IMAGO/Sven Simon

Rick Goldmann wurde 1976 im niederbayrischen Dingolfing geboren und war professioneller Eishockey-Spieler für verschiedene Vereine in der Deutschen Eishockey-Liga. Er absolvierte exakt 500 DEL-Spiele und beendete seine Karriere 2008.

Seit 2008 ist er als Experte und TV-Kommentator für diverse Sender tätig. Während der Olympischen Winterspiele 2022 war er Eishockey-Experte für die ARD.

An welche Spieler denken Sie da?

Eigentlich an alle außer die fünf, die die Tore schießen. Wenn man sich die Offensive anschaut, sind es mit Noebels, White, Boychuk, Fiore und Clark fünf Spieler, die von 100 Toren 67 erzielt haben. Danach kommt wenig. Das zeigt die Saison insgesamt von den Berlinern. Alles, was letztes Jahr geklappt hat, läuft dieses Jahr komplett entgegen. Es ist für mich eine Saison der Gegensätze. Letztes Jahr hat jeder einzelne Spieler, den man geholt hat, overperformt und war in der Tiefe ein wichtiges Puzzleteil für die Meisterschaft. Wenn man sich das in diesem Jahr anschaut: Zwei Spieler sind gar nicht mehr da mit Barinka und Guhle, das hätte ein Nummer-eins-Verteidiger werden sollen. Da laufen ganz viele Sachen in die andere Richtung dieses Jahr.

Die Eisbären sind bislang der schlechteste Meister in der DEL-Geschichte. Stéphane Richer steht in der Kritik, wegen schlechter Personal-Entscheidungen, etwa dem Abgang von Goalie Niederberger. Ist er die Schlüsselfigur?

Wenn einer sagt, dass Richer dieses Jahr die Schlüsselfigur ist, dass sie da unten stehen, dann war er letztes Jahr die Schlüsselfigur, dass sie die Meisterschaft geholt haben. Letztes Jahr hat er den Kader brutal aufgefüllt mit Spielern und alle haben gesagt: 'Was holt der denn so viel? Braucht der wirklich so viel?' Da waren Leute dabei wie Zengerle und Jensen und Bokk, die waren nur Füllmaterial in Berlin und sind inzwischen die Topspieler in den Klubs, zu denen sie gegangen sind. Das zeigt die Qualität, die sie letztes Jahr hatten, die haben sie dieses Jahr nicht. Sie haben Qualität verloren, dafür ist Richer verantwortlich. Aber das alleine daran festzumachen, dass sie auf dem 13. Platz sind, ist meiner Ansicht nach nicht richtig.

Woran liegt es denn?

Es ist eine Aneinanderreihung von vielen Ereignissen und vor allem auch Spielern. Das geht los beim Meisterschafts-Blues, den man klar erkennen konnte, dass sich die Spieler in den Köpfen zu sicher waren. Dann waren zu viele verletzt, was Kraft gekostet hat. Dann ist keiner in Schwung gekommen. Keiner hat ein Jahr, wo man sagt, das ist überragend. Es läuft nicht für sie. Sie sind nie so in Schwung gekommen wie letztes Jahr. Das alles nur auf Richer zu schieben, finde ich ein bisschen zu einfach.

Ein Trainer, der dir zwei Jahre hintereinander die Meisterschaft holt, macht nicht in einem Jahr alles falsch. Die Qualität, die Serge Aubin bringt, ist sehr schwer zu finden, wenn du ihn entlässt.

Rick Goldmann

Welche Handlungsoptionen gibt es nun auf dem Transfermarkt?

Das ist tatsächlich schwierig. Wenn man einen Kritikpunkt nimmt, muss man sagen, man hat die elf Ausländerlizenzen zu früh vollgemacht. Du kannst nur elf Ausländer holen, wovon nur neun spielen dürfen. Das heißt, du hast auf dem Import-Markt gar keine Möglichkeit. Du hättest nur auf dem Markt bei den deutschen Spielern eine Möglichkeit, die momentan in der American Hockey League spielen oder bei anderen Klubs vielleicht unzufrieden sind.

Ist es für Sie nachvollziehbar, dass der Klub an Trainer Serge Aubin festhält?

Inzwischen musst du echt Eier haben, das so zu machen. Und ich bewundere diesen Mut, den die Verantwortlichen haben, da nicht zu reagieren. Ich finde, es ist von außen betrachtet aktuell noch der richtige Weg, denn ein Trainer, der dir zwei Jahre hintereinander die Meisterschaft holt, macht nicht in einem Jahr alles falsch. Die Qualität, die Serge Aubin bringt, ist sehr schwer zu finden, wenn du ihn entlässt. Dementsprechend würde ich auch so lange wie möglich darauf hoffen, dass die Situation besser wird und sie letztendlich mit Grund an ihm festhalten. Ich kann es nachvollziehen, sage aber auch, dass es sehr viel Mut erfordert, das jetzt zu machen. Denn der Sportmechanismus ist so, dass die letzte Möglichkeit ist, dass du den Trainer rauswirfst.

Welcher Spieler muss nun die Schlüssel-Rolle übernehmen - wen sehen Sie in der Pflicht?

Es sind zu viele. Das letzte Spiel gegen Nürnberg war wirklich gut, da hat man nicht kopflos, sondern mannschaftlich geschlossen gespielt. Aber beim Steigerungspotenzial, da möchte ich fast keinen rausnehmen. Ja, die fünf besten Spieler scoren gut, aber ansonsten hat in dieser Mannschaft in dieser Saison jeder Steigerungspotenzial. Und es hilft auch nichts, wenn einer heiß läuft. Berlin hat es in der Saison ein einziges Mal geschafft, zwei oder mehr Spiele zu gewinnen, das war Anfang Oktober. Das heißt, die Mannschaft ist nie ins Rollen gekommen. Das ist alles ein Kampf, die Leichtigkeit fehlt. Am Freitag hat man gegen Augsburg die Möglichkeit, den zweiten Sieg in Folge zu holen. Dann ist am Sonntag frei. Wenn sie gegen Augsburg verlieren, bin ich gespannt, was dann kommen soll. Mit Augsburg und Frankfurt kommen jetzt zwei Spiele, die man eigentlich gewinnen muss.

Wenn Sie sich festlegen müssten: Gelingt es den Eisbären, die Zuschauer in den kommenden Monaten noch mal zu überraschen und die Kurve zu bekommen?

Dass sie richtig in die Spur kommen, ins Viertel- oder Halbfinale einziehen, da sehe ich sie dieses Jahr nicht. Dafür ist zu viel Unsicherheit in der Mannschaft. Aber ich glaube, dass sie sich von den Abstiegsplätzen doch noch lösen können, auch relativ deutlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Shea Westhoff, rbb Sport.

Sendung: rbb24 Inforadio, 13.01.2023, 19:15 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

3 Kommentare

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  1. 3.

    Echt jetzt?!?!?
    Das ist der qualitativ hochwertige Kommentar, der unbedingt mit anderen Lesern geteilt werden musste?
    Aber es ist natürlich mehr als wichtig, dass man auch im Sport jederzeit gendert und immer hochkorrekt kommuniziert.
    Ansonsten sind wieder die Berufsempörten am Start, die selber in Ihrem Leben meist nichts auf die Kette bekommen, als anderen zu erklären, was sie falsch machen ...
    Auweia ...

  2. 2.

    "Eier haben". Sexistische Sprüche eines patriarchalisch eingestellten Mannes.

  3. 1.

    Rick Goldmann hat die Situation richtig eingeschätzt wie zu Zeit die Lage bei den Eisbären ist.

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