Baustelle Mittelfeld - Die Probleme von Hertha BSC haben System

Mi 25.10.23 | 20:29 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Die Kombination aus Doppelsechs und zwei Sturmspitzen scheint bei Hertha nicht zu funktionieren.
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Audio: rbb24 Inforadio | Astrid Kretschmer | 25.10.2023 | Bild: IMAGO / Nordphoto Download (mp3, 3 MB)

Hertha BSC zeigte in Nürnberg seine wohl schwächste Saisonleistung. Der Einbruch kommt nicht plötzlich, sondern deutete sich über Wochen an. Die Systemumstellung von Trainer Pal Dardai bereitet große Probleme – Alternativen stünden bereit. Von Marc Schwitzky

Nach der verdienten 1:3-Niederlage von Hertha BSC beim 1. FC Nürnberg hinterfragte Trainer Pal Dardai nicht vorrangig die Spieler, sondern zunächst sich selbst. Er müsse nach solch einem enttäuschenden Auftritt auch seine eigene Leistung unter die Lupe nehmen. "Es gibt eine komplette Analyse und einen ehrlichen Dialog mit der Mannschaft. Ich jage hier nicht irgendwelche Dinge raus. Ich muss mich erst selbst prüfen."

Nach zuletzt drei Siegen aus vier Spielen war die Niederlage in Nürnberg ein klarer Rückschritt für die Berliner. Ein Rückschritt, der sich jedoch über Wochen angedeutet hatte und die jüngsten taktischen Entscheidungen von Trainer Dardai in ein neues Licht rückt. Er scheint es seinen Äußerungen nach zu erahnen.

Neues System als Antwort auf Palko Dardais Verletzung

Nach drei Niederlagen zum Saisonbeginn setzte Hertha mit dem 5:0-Kantersieg über die Spielvereinigung Greuther Fürth ein echtes Ausrufezeichen. Zwar ging das kommende Spiel gegen den 1. FC Magdeburg spektakulär mit 4:6 verloren, doch mit dem 3:0-Heimerfolg über Eintracht Braunschweig kam postwendend die richtige Antwort. 13 Tore in drei Spielen – Hertha war urplötzlich zur Offensivmacht geworden.

Gerade als die "alte Dame" so richtig Fahrt aufzunehmen schien, war es schon wieder vorbei. Mittelfeldspieler Palko Dardai verletzte sich im Spiel gegen Braunschweig an den Bändern und fällt seitdem aus. Dem 24-jährigen Neuzugang kam im gerade neu formierten 4-3-3 als einer der beiden Achterpositionen eine überaus wichtige Rolle zu: Dardai war der Verbindungsspieler, der durch viel Laufarbeit, Dynamik und Offensivdruck das Mittelfeld mit dem Sturm verknotete. Er besetzte auch immer wieder die Zehnerposition, um Bälle im letzten Angriffsdrittel zu halten und Steckpässe auf die anderen Offensivspieler zu spielen.

Der Ausfall von Palko Dardai wiegt daher bis heute schwer. So schwer, dass sein Vater wohl nicht glaubte, dass ein anderer Spieler dessen Aufgaben flächendeckend übernehmen könne. Herthas Übungsleiter entschied sich daher für einen Systemwechsel. Das erst einen Monat alte 4-3-3 wich einem flachen 4-4-2.

Smail Prevljak trifft – doch zu welchem Preis?

Für die neue Formation subtrahierte Dardai eine zentrale Mittelfeldposition und nahm dafür mit Smail Prevljak einen weiteren Mittelstürmer hinzu, der als eine Art hängende Spitze um Zielspieler Haris Tabakovic herumspielen sollte. Die reinen Ergebnisse sollten Dardai zunächst Recht geben: Hertha gewann sowohl gegen Holstein Kiel als auch gegen den FC Schalke 04, zwischendurch setzte es nur eine knappe Niederlage gegen den aktuellen Ligaprimus FC St. Pauli. Und Prevljak? Der Bosnier traf in zwei der drei Partien, auch gegen Nürnberg war der Stürmer erfolgreich. Dreimal erzielte er das 1:0. Doch der so positive Schein trügt.

Abseits der Ergebnisse und eingefahrenen Punkte litten Herthas Auftritte massiv unter der Systemumstellung. Das 4-4-2 knüpfte an die Probleme an, welche die Blau-Weißen bereits zu Saisonbeginn hatten: Das Mittelfeldzentrum verfügt über zu wenig Spielkontrolle. Durch das Wegnehmen des zusätzlichen Achters, der die Rolle des Balltreibers übernimmt, ist die Herthaner Spielzentrale viel zu statisch. Palko Dardai hatte durch seine Umtriebigkeit die Defizite von Marton Dardai und Andreas Bouchalakis deutlich kaschiert.

Den beiden defensiven Mittelfeldspielern fehlt es eklatant an Dynamik und Zug nach vorne. Dadurch fällt es jener Doppelsechs äußerst schwer, das gesamte Mittelfeld abzudecken – mit und gegen den Ball. So geht die Kontrolle, der Zugriff verloren. Da Herthas Mittelfeldzentrum das Tempo fehlt, orientieren sie sich beinahe schon naturgemäß nach hinten, um nicht überlaufen zu werden. Daraus ergibt sich jedoch eine tückische Passivität, Hertha verteidigt nicht nach vorne, sondern lässt dem Gegner zu viel Platz vor dem Strafraum.

Seit vier Spielen torlos - Tabakovic leidet unter dem neuen System

Hinzu kommt, dass Prevljak der Rolle als hängende Spitze nicht gerecht wird. Der 28-Jährige nimmt abseits seiner Tore zu wenig am eigenen Spiel Teil, in keinem seiner letzten vier Spiele kommt er über 30 Ballkontakte. Da weder einer der beiden Sechser noch Prevljak den Zehnerraum adäquat besetzen, fehlt es Herthas Spiel an Tiefe und Ballkontrolle im letzten Drittel. In den Heatmaps (Darstellung, wo sich Teams auf dem Feld wie oft aufhalten) der letzten vier Spiele – also die Partien, in denen im 4-4-2 gespielt wurde – ist dadurch quasi ein "U" zu erkennen. Hertha spielt die Bälle vom tiefen Zentrum auf den Flügel und umgekehrt, doch die wichtige Zone direkt vor dem Strafraum verwaist gleichzeitig. Fehlende Torgefahr ist das Resultat.

Darunter leidet auch Tabakovic. Der Schweizer war in den letzten drei Spiele im 4-3-3-System an insgesamt neun Toren direkt beteiligt – eine absurde Quote. Grund dafür war, dass der Mittelstürmer herausragend eingebunden war. Palko Dardai schaffte immer wieder Räume für ihn oder die offensiven Flügelspieler, die dadurch ungestört Flanken auf den großgewachsenen Angreifer schlagen konnten. Auch Herthas so spielstarke Außenverteidiger, Jeremy Dudziak und Michal Karbownik, profitierten vom agileren 4-3-3, da sich mehr Räume für sie öffneten. Im statischen 4-4-2 kommen jene Stärken nicht zur Geltung, da sie sich mit der tiefen Doppelsechs auf den Füßen stehen. Verwerter Tabakovic ist in all dem der Leidtragende: In den vier Partien im 4-4-2 war er an keinem einzigen Treffer mehr direkt beteiligt.

Bence Dardai und Bilal Hussein stünden bereit

Wurden all diese Probleme in den vergangenen Wochen noch von wichtigen Punktgewinnen überschattet, hat die Niederlage in Nürnberg sie ins Scheinwerferlicht gerückt. Hertha wirkte beim "Glubb" eigenartig passiv und träge, fand gegen den Ball keinen Zugriff gegen agilere Nürnberger und mit Ball keine kreativen Lösungen. Erst als mit Marten Winkler, Derry Scherhant und Bence Dardai lebhafte Joker eingewechselt wurden, gewann das blau-weiße Angriffsspiel an Dynamik und Gefahr.

Genannter Bence Dardai oder auch der ebenfalls eingewechselte Bilal Hussein könnten die Lösungen für Herthas taktische Probleme sein. Trainer Dardai sollte erkannt haben, dass 4-4-2 in der jetzigen Form keine fruchtbare Zukunft hat. Die bisherige Saison hat gezeigt, dass sich der Hauptstadtklub im 4-3-3 am wohlsten fühlt, eine Rückkehr zu diesem System wäre sinnvoll. Hierfür bräuchte es einen zusätzlichen zentralen Mittelfeldspieler, der durch Spielstärke und großen Aktionsradius besticht – Attribute, die sowohl Bence Dardai als auch Hussein mitbringen. Hier ist die Frage, ob Trainer Dardai dem 17-jährigen Eigengewächs oder dem 23-jährigen Neuzugang genug Vertrauen für einen Startelfeinsatz entgegenbringt.

Hertha belegt nach zehn Spieltagen mit 12 Punkten Tabellenplatz elf – das Niemandsland der 2. Bundesliga. Will Pal Dardai sein eigens gestecktes Ziel – bis Weihnachten Platz vier bis fünf – erreichen, wird er Prevljaks Tore gegen ein besseres Kollektiv tauschen müssen. Zu viele Probleme sprechen gegen das 4-4-2. Eine Chance für Dardai, zu beweisen, dass er über seinen eigenen Schatten springen kann.

Sendung: rbb24, 25.10.2023, 21.45 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

15 Kommentare

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  1. 15.

    Urs Fischer wird dann immernoch bei UNION stehen.
    Nicht wie dieser Rückgradlose, der zwei Mal rausgeworfen wurde und trotzdem wieder angekrochen kam.
    Und den BCC777 als Vizemeister der 2.Liga zu erhoffen, dafür lässt das Traumhaus viel Raum.
    Realistisch ist da eher des untere Mittelfeld.

  2. 14.

    Das sogenannte Mittelfeld ist überfordert. Marton Dardai kann in der 3/4 Kette spielen, Aufbau ist nicht sein Steckenpferd. Der Grieche ist zu langsam und spielt riskant. Auf der sechs muss unbedingt nachgebessert werden. Das Niveau ist schlecht. Somit ist dann die Abwehr teilweise alleine und der Sturm hängt in der Luft.

  3. 13.

    Danke.

    Hertha muss auf sich selbst gucken und die Umstände, alle Umstände, annehmen. Sie sind auf einem guten Weg und Rückschläge sind weiterhin logische Konsequenz.

    Danach heißt es einfach weiter ackern und mehr und mehr Stabilität rein zu bekommen.

    Das Gleiche gilt übrigens auch für den ganzen Verein.

    Ha Ho He

  4. 12.

    Deine Richtigstellung akzeptiert. Nürnberg ist noch keine Top-Mannschaft und wäre nach dem Abstieg damals fast in die 3. Liga durchgereicht worden. Momentan lernen die 17- bis 20-jährigen noch.
    Davor, die 2. Liga ähnlich wie Nürnberg vor 3 Jahren zu unterschätzen, warne ich die Hertha auch. Schlechter Erstligist ist noch lange nicht guter Zweitligist. Die Härte und Intensität müssen die Absteiger meistens erst lernen. Der HSV versucht es seit Jahren, Schalke spielt Fahrstuhl... Alle 3 viel Potential verspielt. Ich würde mich über ein Bundesliga-Spiel im Olympiastadion Hertha - FCN freuen... Träumen erlaubt

  5. 11.

    Ich wollte zwei Dinge mit dem Begriff "limitiert" deutlich machen...ersten wie schlecht Hertha gespielt hat und zweitens, dass Nürnberg keine Topmannschaft an dem Tag war. Nichts gegen Nürnberg sondern nur Beispielhaft für Herthas Lethargie gemeint.

    Übrigens spiegelt die Tabelle zu diesem Zeitpunkt noch keine echte Mannschaftsstärke wieder, siehe Schalke.
    Die sind mit Sicherheit nicht so schlecht, oder?

  6. 10.

    Zunächst sehr treffend die Defizite analysiert. Auch ich habe mit Bence oder Hussein meine Bedenken, dass einer von beiden den Motor im Berliner Mittelfeld auf eine höhere Drehzahl bringen kann. Beides sind sehr interessante Spieler, aber gerade in der jetzigen Phase, könnte der Druck für die beiden Newcomer schwer wiegen. Ein Schlüssel für Hertha könnte es sein, den nichtvorhandenen Spielfluss zwischen Abwehr und Sturm mit dem richtigen Spielsystem zu begegnen, aber das wird nicht reichen. Ein Umbau der Leitzentrale, angefangen von der Doppelsechs bis zu der Tatsache, dass wir mehr Dynamik und Kreativität vor und für „Fluppe“ benötigen, ist unausweichlich.

  7. 9.

    Wer von deutlich limitierten Nürnbergern spricht, hat einen Termin beim Optiker verdient. Selbsterkenntnis ist der Weg, nicht ahnungslose Kritik. Schau mal auf die Tabelle!

  8. 8.

    Ich persönlich bin kein Freund von zuviel System im Spiel oder Taktik. Die Analyse ist auf jeden Fall zutreffend was die Passivität angeht, gegen eindeutig limitierte Nürnberger sich so schlecht entgegen zu stellen, war wirklich schlecht.

    Wenn das eine Frage des Systems ist, dann bitte anpassen. Ich vermisse in solchen Situationen allerdings den oder die Typen, welche die Verantwortung übernehmen sich aufzubäumen und andere mitzureißen.

    Daran mangelt es bereits seit Jahren bei Hertha BSC und bisher sind nur leichte Verbesserungen zu erkennen.

    Ha Ho He

  9. 7.

    Genaugenommen ist es doch so: Am Rnde wird abgerechnet und wenn Hertha als Vizemeister der 2. Liga aufsteigt, ist es doch egal, wo Urs Fischer Trainer ist.

  10. 6.

    Schöner Satz hier.
    "Na, so schlecht sieht es für Hertha derzeit doch gar nicht aus."
    Fast 300 Millionen Schulden.
    Einen brutalen Schläger rehabilitiert und die Tat schön geredet.
    Einen Trainer, der sich als Zauberer, Animateur darstellt und letztlich wieder scheiert.
    "Fluppe" und "Resi" überbewertetete Scheinriesen.
    Ein Kasino- und Wettbudenbesitzer als Sponsor, der den Fans Versicherungen andrehen will (oder muss)
    Der BCC777 hat keine Probleme?

  11. 5.

    Bilal Hussein hat wie es scheint immer noch Probleme sich in der 2. Bundeliga anzupassen. Speziell in der Robustheit muss er noch zulegen. bence Dardai mit seinen 17 Jahren diese wichtige Position besetzen zu lassen scheint mir auch zu gewagt.
    Duziak oder Kabownik könnten diese Position auch ausfüllen. Karbownik kennt diese Position schon und hat auch schon gezeigt das er das spielen kann. Karbownik sieht sich nach eigener Aussage sowieso eher in einer zentralen Position im Mittelfeld.

  12. 4.

    Stimme zu!! Gut ANALysiert. Der Mann hat genau auf den Punkt gebracht worum es bei der Hertha gerade geht !

  13. 3.

    Chapeau. Astrein analysiert!

  14. 2.

    Na, so schlecht sieht es für Hertha derzeit doch gar nicht aus.

  15. 1.

    sehr gute und zutreffende Analyse!

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