Seltenes Naturphänomen "Brieger Gänse" -
Infolge tagelanger Minusgrade treiben derzeit wieder runde Eisschollen auf der Oder. Für die seltenen Eisformationen bietet der Grenzfluss optimale Bedingungen. Sollte es weiterhin kalt bleiben, könnten sich die Schollen zu einer geschlossenen Eisdecke stauen.
Nach zwei Jahren ohne Eis sind derzeit auf der Oder wieder die sogenannten "Brieger Gänse" zu beobachten: runde, flache Eisschollen, die auf dem Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen stromabwärts treiben.
Günstige Bedingungen in der Oder
Das seltene Naturphänomen kommt laut Regina Jeske aufgrund besonderer Charakteristiken der Oder zustande. Die Sprecherin des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Oder-Havel (WSA) in Eberswalde (Barnim) spricht von einem sogenannten Geschiebe-Fluss. "Der Boden ist sehr kiesig. Wir haben hier viele Sedimente, die immer in Bewegung sind." An die kleinen Partikel setzten sich deshalb Eiskristalle an. "Diese kleinen Eiskristalle drehen sich im Wasserlauf und steigen zur Wasseroberfläche auf. Auf dem Weg nach oben nehmen sie dann immer mehr Eis auf." Einfluss auf die Entstehung hätte darüber hinaus auch die Fließgeschwindigkeit des Wassers. Zwar sind etwa Rhein und Elbe ebenfalls Geschiebe-Flüsse, doch Grundeisschollen finden sich dort wegen des Untergrundes nur selten oder gar nicht zu, so Jeske weiter. In der Oder herrschten hingegen optimale Bedingungen und die Eis-Formationen könnten dort auf gesamter Länge auftreten.
Ungewöhnliche Geräuschkulisse
Der ungewöhnliche Name "Brieger Gänse" für die Eiserscheinung stammt aus dem Schlesischen und geht auf die ehemalige deutsche Oder-Stadt Brieg (heute Brzeg), rund 50 Kilometer von Wrocław (Breslau), zurück. Er soll auf dem Rauschen und Zischen beruhen, wenn sich die Schollen auf dem Wasser oder an Hindernissen ineinanderschieben. Das prägnante Geräusch erinnere dann an Gänselaute. Anfang des 20. Jahrhunderts fand die Bezeichnung auch Einzug in literarische Werke, wie dem Roman "Der Kahn der fröhlichen Leute" von Jochen Kleppert oder "Brieger Gänse fliegen nicht" von Helmut J. P. Auer. In der Fachsprache wird das Phänomen laut WSA als "Grundeisscholle" bezeichnet.
Staugefahr durch Winterwetter
Momentan treiben die Schollen noch vereinzelt die Oder hinab. Doch sollten die Temperaturen wie vorhergesagt auch in den kommenden Tagen niedrig bleiben, könnte die Eismasse weiter zunehmen. An Hindernissen wie Brücken oder Biegungen könnten die Schollen dann ins Stocken geraten und sich zu einer geschlossenen Eisdecke aufstauen. Eine Gefahr für die Schifffahrt besteht dadurch nicht, da der Verkehr laut Regina Jeske aktuell eingestellt worden ist. Eisbrecher würden die Fahrtrinnen dann erst bei Tauwetter freibrechen.
Sendung: Antenne Brandenburg, 09.02.2021, 16:10 Uhr