#musikistkeinhobby | Carsten Münz und Kassettenricardo - "Alles um uns herum ist Klang und Frequenz"

Mo 10.04.23 | 08:08 Uhr | Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag
Carsten Münz, Sänger der Berliner Band Kassettenricardo. (Quelle: J. Friedrich)
Audio: rbb|24 | 29.12.2022 | O-Ton von Carsten Münz | Bild: J. Friedrich

Carsten Münz war schon vieles: Dachdecker etwa, oder Hausbesetzer, und er war auf Tour mit Andrea Berg. Jetzt ist er Sänger der Berliner Band Kassettenricardo, spielt mit 35 die ersten Konzerte seines Lebens und hört nicht auf zu träumen. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

In der rbb|24-Reihe #musikistkeinhobby treffen Hendrik Schröder und Christoph Schrag jede Woche Musiker:innen aus der Region, die gerade auf dem Sprung nach oben sind - und ihre ganz besondere Message und Geschichte erzählen.

Ich stand vor knapp drei Jahren, also mit 35 Jahren das erste Mal überhaupt auf der Bühne. Mit meiner Band Kassettenricardo [Externer Link]. Ich habe zwar vorher schon mal Straßenmusik gemacht und mit Kumpels zusammen in der Küche gespielt, aber das waren immer nur so Anfänge, so richtig ist nie was dabei rausgekommen. Musik habe ich aber schon immer geliebt. Ich war auch bei Bandcastings, eine Band hatte mich sogar auch schon genommen, das hat dann aber doch nicht geklappt. Diese Erfahrung hat mich dann gehemmt. Ich kann nur auf die Bühne gehen mit etwas, mit dem ich mich 100% wohl fühle. Das kann ich wohl nur mit meinen eigenen Sachen, also wenn der Grundkontext von mir ausgeht. Mit der Gründung von Kassettenricardo hatte ich dann das erste Mal das Gefühl, mich wirklich ausdrücken zu können. Und das finde ich wahnsinnig schön. Bei Kassettenricardo ist eigentlich Tom der Bandleader, obwohl ich der Sänger bin. Aber er hängt sich total rein in alles und macht viel, damit die Band voran kommt, das reißt mich dann auch mit. Ohne ihn hätte ich vielleicht immer noch keinen einzigen Auftritt gespielt.

Versöhnung mit den inneren Dämonen

Einer meiner ersten eigenen Songs handelt von den inneren Dämonen, "Dämontiert" heißt der. Burn Out und Depressionen kennen ja viele heutzutage. Und darüber zu sprechen und das zu thematisieren ist in meinen Augen eine wichtige Sache. Darum geht es in diesem Song. Von diesem Gefühl, das man hat, wenn einen die eigenen Gedanken überrennen und zerfetzen und nicht mehr los lassen. Und wie man es schafft, aus diesem Strudel auch wieder rauszukommen und sich mit seinen Dämonen auch zu versöhnen. Weil: Die gehören ja auch zu Dir, die machen Dich ja am Ende auch zu dem, der Du bist. Musik ist da auch eine Bewältigungssache. Ich hatte den Text schon länger und dann haben wir gejammt im Proberaum und der Text passte einfach auf die Melodie und ich dachte, ok, anscheinend bin ich jetzt gerade an dem Punkt in meinem Leben, wo ich gewisse Dinge zu verarbeiten habe und habe das in die Zeilen gepackt.

Die Band Kassettenricardo. (Quelle: kassettenricardo.de/Frieder Unselt)

Hamburger Hafen und besetzte Häuser

Gebürtig komme ich aus Flensburg. In Hamburg habe ich ursprünglich Schifffahrtskaufmann gelernt und hab die großen Seeschiffe betreut. Aber das war nichts für mich, ich musste kündigen. Ich habe quasi im Hafen gewohnt, ein wahnsinnig aufreibender Job. Dann habe ich als Dachdecker gearbeitet, dann als Bootsbauer, dann habe ich Bühnentechnik gemacht und Bühnenbau. Ich war sogar mal mit Andrea Berg auf Tour und habe ihre Bühne aufgebaut. Es hat mich da schon immer in die Nähe der Musik gezogen, nur auf die Bühne habe ich es nicht geschafft.

Ich bin halt ein Mensch, der viel Freiheit braucht und sich immer selbst verwirklichen will. Es gibt nichts schlimmeres, als unseren eigenen Geist einzusperren und den in Kästen zu stellen und uns am Ende des Tages darüber zu ärgern, dass wir an Orten sind, an denen wir eigentlich gar nicht sein wollen. Und deswegen habe ich viel mitgenommen in meinem Leben. Ich hab in besetzten Häusern gewohnt, in Kollektiven gearbeitet. So bekommt man viel mit, wie man gerade durch Zusammenhalt und durch gegenseitigen Austausch viel erreichen kann und Verständnis lernen kann. Ich finde gerade jetzt müssten wir gesellschaftlich viel mehr zusammenhalten. Deswegen finde ich Musik auch so wichtig. Mit Musik erreichst Du die Leute ja regelrecht körperlich. Die empfinden dann mit, die machen sich Gedanken. Musik hilft, sich selbst besser zu spüren. Also alles um uns herum ist doch Klang und Frequenz.

Der Traum von der späten „Karriere“

Wenn ich mich frage, wo es mit meiner Band hingehen soll, muss ich sagen: Die Jüngsten sind wir ja alle nicht mehr, aber wir haben trotzdem den Traum, dass es weit gehen kann. Auf größeren Festivals zu spielen, vielleicht eine Agentur zu finden, eine Plattenfirma. Klar ist das ab einem gewissen Alter nicht mehr so realistisch, aber ich habe immer schon so gelebt, wie ich das gerne wollte und mache das noch immer und versuche immer, Dinge zu machen, die mir Spaß machen. Diese Band ist für mich auch ein wahnsinniger Katalysator. Wenn es mir schlecht geht, dann stelle ich mich ans Mikrofon und schreie, dann geht es mir besser. Wenn Du etwas hast, was Deine Seele antreibt, dann kannst Du das nicht mehr loslassen. Und dieses Gefühl auf einer Bühne zu stehen und die Leute anzutreiben, das ist einfach das Größte, was ich mir vorstellen kann.

Sendung:

Weitere Beiträge #Musikistkeinhobby

RSS-Feed
  • #musikistkeinhobby Lucy Dye (Quelle: DNA Creative Collective)
    DNA Creative Collective

    #musikistkeinhobby | Sängerin und Produzentin Lucy Dye 

    "Musik machen - das ist für mich auch Traumaverarbeitung"

    In der Jugend erlebt Lucy Dye Missbrauch und Manipulation. In ihren autobiografischen Songs verarbeitet sie die Erlebnisse. Wie das geht, hat sie auch auf einer Popakademie gelernt. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

  • #musikistkeinhobby Bulgarian Cartrader (Quelle: Roberto Brundo)
    Roberto Brundo

    #musikistkeinhobby | Musiker Bulgarian Cartrader 

    "Ich komme aus jedem Loch glücklich wieder raus"

    Als Backgroundsänger von Seeed kennt Daniel Stoyanov die größten Bühnen und besten Hotels. Als Bulgarian Cartrader spielt er manchmal vor nur 100 Leuten, macht aber die Musik, die er machen will. Kompromisslos. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

  • Gloria Nussbaum ist Singer-Songwriterin und hat im Herbst ihr erstes Lied veröffentlicht (Quelle: Armin Mukladzija)
    Armin Mukladzija

    #musikistkeinhobby | Singer-Songwriterin Gloria Nussbaum  

    "Kaum jemand wusste, dass ich die Tochter von Jack White bin"

    Ihr Vater ist einer der erfolgreichsten deutschen Musikproduzenten und schrieb internationale Hits. Für seinen Support ist Newcomerin Gloria Nussbaum dankbar. Trotzdem will sie als Musikerin einen ganz anderen Weg gehen. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

  • Lasse Matthiesen (Quelle: privat)
    privat

    #musikistkeinhobby | Lasse Matthiesen 

    "Eigentlich musst Du jedes Jahr neue Songs herausbringen"

    Lasse Matthiesen wurde als Fünfjähriger von seinem Vater mit zu dessen Jazzkonzerten genommen. Und schlief manchmal unter dem Klavier ein. Heute produziert er erfolgreich monumentale Musik und pendelt zwischen Berlin und Kopenhagen. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

  • Singer-Songwriterin Evîn. (Quelle: E. Kasnatschejew)
    E. Kasnatschejew

    #musikistkeinhobby | Singer-Songwriterin Evîn  

    "Früher wollte ich sein wie die Deutschen"

    Evîn wächst in Bochum auf, studiert dann an der Musikhochschule in Dresden und findet schließlich ihren Platz in Berlin. Ihre kurdischen Wurzeln lassen sie dennoch nie ganz los. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

  • Robin & the Goblins.(Quelle:Katharina Mautner)
    Katharina Mautner

    #musikistkeinhobby | Robin & the Goblins 

    "Wer bestimmt denn, wie wir zu sein haben?"

    Robin kann kein Instrument spielen, schreibt aber trotzdem opulente Kammerpop-Songs - im Kopf und später am Computer. Um das zu lernen, ist Robin nach Berlin gezogen. Und um frei zu sein. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

  • Daada.(Quelle:privat)
    privat

    #musikistkeinhobby | Singer-Songwriterin Daada 

    "Ich habe mit der Deko-Gitarre meiner Oma angefangen zu spielen"

    Daada wächst in Tansania als Kind eines Deutschen und einer Kolumbianerin auf. Mit der Gitarre der Oma schreibt sie erste Songs. Als Teenager landet sie in einem Internat bei Berlin - und beschließt zu bleiben. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

  • Der Gitarrist und Komponist Tal Arditi (Quelle: privat)
    privat

    #musikistkeinhobby | Der Jazzmusiker Tal Arditi 

    Der schmale Grat zwischen "angeben" und "sich ausdrücken"

    Tal Arditi ist in Israel aufgewachsen und lebt seit einigen Jahren in Berlin. Schon in seiner Jugend galt der 24-jährige als unglaublich talentierter Gitarrist. Jetzt nimmt seine Karriere langsam Fahrt auf. Und das liegt auch an der Hauptstadt. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

Beitrag von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

Nächster Artikel