Adventskalender 2019 - 8. Tür: Flecken auf dem Chemisett
Wenn das Ragout fin auf der gestärkten Hemdbrust landet, wird klar, was die Berliner den Hugenotten alles zu verdanken haben. Und das gilt nicht nur kulinarisch - merken die Lebemänner spätestens beim abendlichen Amüsement.
24 kleine Geschichten über die großen Errungenschaften und kleinen Niederlagen der Brandenburger und Berliner in Sachen "Essen und Trinken". Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.
"Die Geschichte Berlins ist auch eine Französische." Dieser Satz stimmt zumindest, wenn es ums Kulturelle geht. Der Berliner ist ein Bonvivant, auch wenn dieser Berliner oder diese Berlinerin meist nicht recht weiß, wie dieser Bon-dingsdabums denn nun ausgesprochen oder geschrieben wird und ihn darum meistens in der deutschen Übersetzung verwendet: als Lebemann.
Die Berliner Lebefrau und den Berliner Lebemann machen aus, dass sie Schampus (le champagne) trinken, Zigaretten (cigarettes) rauchen und Raguhfeng (Ragout fin) essen. Sie finden Sangzuzieh (Sanssouci) gut und gehen im Mombiejuh (Monbijoupark) spazieren, weil sie sowas schönes da oben in ihrer Berliner Tzittifosch (Cité Foch) nicht haben.
Nach dem Amüsement aufs Trottoir
Zu verdanken haben die Berliner ihre französische Noblesse im Wesentlichen drei geschichtlichen Wendungen: der Übersiedlung tausender Hugenotten nach Preußen zum Ende des 17. Jahrhunderts, der französischen Besetzung unter Napoleon zum Beginn des 19. Jahrhunderts und den Einflüssen durch die Franzosen aus der Zeit des Vier-Mächte-Besatzung der Stadt nach dem 2. Weltkrieg.
Dabei ist sich der Berliner natürlich sehr bewusst, dass mit den Franzosen das Edle einzog in den grauen Berliner Alltag. Zwar hatte der große Kurfürst Friedrich Wilhelm mit seinem Potsdamer Toleranzedikt von 1685 wohl eher religiöse und wirtschaftliche Gründe für seine Einladung an die in Frankreich verfolgten Hugenotten, doch das kulturelle Upgrading war dabei ein willkommener Nebeneffekt. Rund 6.000 Hugenotten kamen so in die Stadt, die damals rund 20.000 Einwohner hatte.
Muckefuck und Krohssong
Somit sorgte quasi jeder Fünfte Berliner dafür, dass Etikette in den Alltag einzog, dass die Berlinerin im Negligé in die Federn sprang und dass ab den Wochenenden auch das Amüsement stimmte, dass man dafür Parfum auflegte, und dass man später auf dem Trottoir nach Hause torkelte und den Sonntag auf dem Chaiselongue verbrachte, bis dann endlich der Appetit wieder kam.
Ein properes Essen, etwa Frikassee oder Buletten mit einem ordentlichen Dessert, sorgten dann wieder für Belebung nach dem Abend-Amüsement, doch natürlich mussten sich die Tischgäste ordentlich benehmen und darauf achten, dass ihnen nicht die Hälfte des Menüs auf dem Chemisett landete. Vorab gabs Chicoree, manchmal als Beilage zum Hauptgericht auch Champignons und später zum Kaffee einen schönen Eclair.
Kulinarisch blieb von der Napoleonischen Besatzung 1806 bis 1808 nicht allzuviel, allerdings verpackten die Franzosen damals die Quadriga. 1814 kam sie dann zurück.
Der Einfluss der Franzosen als Besatzungsmacht nach dem zweiten Weltkrieg war eher politisch und administrativ denn kulinarisch oder alltagskulturell. In Erinnerung sind den Bewohnern im Nordwesten, etwa in Reinickendorf und Wittenau, vor allem die französischen Volksfeste oder das französische Kino.
Und heute? - Wenn der Bohnenkaffee zu dünn gerät, sagt der Berliner, dass das ja wie Muckefuck, also wie "moka faux", falscher Bohnenkaffee aus Getreide, schmecke. Retten kann diesen richtigen Eindruck vom falschen Bohnenkaffee dann auch nicht, dass dazu eine Praline gereicht wird, eher vielleicht ein Croissant, oder wie der frankophile Berliner sagen würde: Krohßong.