#musikistkeinhobby | Berliner Rapper Calman - "Die Sachen, die ich singe, sind manchmal regelrecht selbstentblößend"

Di 25.07.23 | 10:40 Uhr | Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag
Portraitfoto: Rapper Calman. (Quelle: Meret Freisen)
Audio: rbb|24 | 24.07.2023 | O-Ton von Calman | Bild: Meret Freisen

Seine musikalische Erweckung erlebt Calman in Japan. Dann führt ihn seine Reise über Punk zum Rap und noch viel weiter, tief in seine Gefühlswelten zu Dingen, die man oft nicht mal vor sich selbst ausspricht. Von Hendrik Schröder und Christoph Schrag

In der rbb|24-Reihe #musikistkeinhobby treffen Hendrik Schröder und Christoph Schrag jede Woche Musiker:innen aus der Region, die gerade auf dem Sprung nach oben sind - und ihre ganz besondere Message und Geschichte erzählen.

Wenn Leute mich fragen, welche Musik ich mache, sage ich, ich mache Rap, aber nicht Hip Hop. Genres und Subgenres finde ich generell schwierig, wenn man das in so eine Box packt. Weil ich gar nicht weiß, ob ich mit den nächsten Songs, die ich mache, noch da reinpasse. Meine Kunst umfasst Musik, Videos, aber auch Malerei und Installationen.

"Japan hatte mich schon als Kind fasziniert"

Ich bin in Berlin geboren und in Prenzlauer Berg aufgewachsen. Familiär war ich nicht unbedingt prädestiniert dafür, Künstler zu werden. Meine Mutter ist Krankenpflegerin, mein Vater ist Herausgeber für Fachliteratur. Ich hatte mich aber immer schon für Kunst interessiert und schon als kleiner Junge gesagt: Ich möchte gerne Klavier spielen. Meine Eltern haben mir das ermöglicht. Aber als ich dann immer üben musste, wollte ich das doch nicht mehr.

Dann durfte ich ein Auslandsjahr in Japan machen, das Land hatte mich schon als Kind fasziniert. Meine Gastmutter in Japan war experimentelle Filmemacherin, das war dann mein erster Kontakt mit richtigen Künstlerinnen und Künstlern. In dem Haus gab es auch ein Schlagzeug, es wurde viel Musik gemacht, sie hatte einen ganz anderen Stellenwert als bei mir zu Hause, wo Musik nur nebenbei stattgefunden hat. Dort habe ich angefangen, Musik zu machen. Da habe ich einen Weg gesehen, in dem ich mich wiederfinden kann.

"Alles für die Sache"

Ich hatte keinen Kulturschock, als ich nach Japan gekommen bin. Ich war vorbereitet, hatte auch schon drei Jahre lang Japanisch gelernt und konnte mich gleich verständigen. Inzwischen spüre ich auch mit der japanischen Lebensphilosophie eine Verwandtschaft, wohingegen ich mich bei diesen Dingen hier eher fremd fühle. Der Begriff der "Hingabe" zum Beispiel ist in meinem Schaffen enorm wichtig. Und in Japan wird das in meinen Augen noch ganz anders gelebt, also sich einer Sache wirklich zu verschreiben. In Deutschland sind wir viel pragmatischer. Aber dieses, leicht spirituell angehauchte "alles für die Sache", das mag ich, da sehe ich mich total drin.

"Ich musste frei sein"

In Japan habe ich mir einen billigen Bass gekauft und jeden Tag stundenlang geübt. Als ich dann wieder zurück war, bin ich an meiner Schule in eine Punkband eingestiegen. Ich habe da noch keine Songs geschrieben, aber wir haben gerne Konzerte gespielt. Als die Schulzeit vorbei war, habe ich gemerkt, wie wertvoll mir meine Zeit ist. Da hatte ich keine Lust mehr auf eine Punkband, das war mir zu wenig. Dann habe ich angefangen, meine eigenen Rap-Songs zu schreiben, da war ich so 18. Ich habe das auch gleich alles selbst produziert. Mein Anspruch war, alles selbst zu machen.

Außerdem war ich auch nicht so richtig in der Hip-Hop-Szene unterwegs und kannte eigentlich keine Leute, die Beats oder so machen. Ich konnte halt nicht so richtig singen, hatte aber trotzdem einen Songwriter-Ansatz, deswegen ist es dann wahrscheinlich Rap geworden. Ein Kumpel hat mir eine gerippte Software gegeben und ich habe mir nach und nach Equipment geholt und einfach rumprobiert und mir das alles selbst beigebracht.

In der Zeit habe ich dann auch meinen Job als Game Designer, den ich kurz nach dem Abi angefangen hatte, geschmissen und mich an Kunsthochschulen beworben. Ich habe einfach gemerkt, 40 Stunden die Woche im Büro und am Computer und überlegen: Was könnte im Gaming Markt gut ankommen? – das war nichts für mich, ich musste frei sein.

Trilogie aus Verantwortung, Freiheit und Sehnsucht

Ich habe dann irgendwann mit der Arbeit an einer Trilogie begonnen, also drei Alben, die zusammengehören. Das hatte sich so ergeben, weil ich Struktur brauchte, vorher war immer alles sehr chaotisch. Das dritte Album aus der Reihe kommt demnächst raus. Das dritte war das schwerste, weil ich da alle Fäden wieder zusammenführen musste. Dass ich in all der Zeit offiziell Kunststudent an der UDK war, hat mir dabei enorm geholfen. Es hat mir die Ruhe gegeben, dass ich das auch für meine künstlerische Entwicklung tun darf und nicht sofort daran denken muss: Wer hört das, verkauft sich das? Das erste Album "Kann Grad Nich" hat das Thema Verantwortung. Das zweite "drei Liter" hat das Thema Freiheit und das dritte heißt "Mensch aus Fleisch" und hat das Thema Sehnsucht. Alle drei Alben sind sehr introspektiv. Ich habe meine eigene Gefühlswelt ausgeleuchtet, es geht um Liebe, die schon erwähnte Hingabe und auch um Depressionen, die immer ein Begleiter sind.

Radikale Introspektive

Die Sachen, die ich singe, sind wirklich sehr persönlich, manchmal regelrecht selbstentblößend. Das ist manchmal sehr schwer und unangenehm. Manchmal ist es auch leichter, wenn man so gar keine Mauern mehr hat und alles rauslässt, statt immer zu überlegen, bis wohin gehe ich? Und wenn man mit sich selbst ehrlich ist, dann gibt es bei jedem Dinge, die man nicht mal vor sich selbst ausspricht. Und diese Art zu texten ist vielleicht eine Art Untersuchung von diesen Dingen: Was ist da in mir? Ich finde diese Offenheit und damit ja auch Verletzlichkeit hat aber auch eine sehr schöne Ästhetik, die ich gerne benutze.

Der Abschluss der Trilogie erscheint bald und mein Studium ist dann auch irgendwann demnächst abgeschlossen. Ich werde dann auf jeden Fall weiter Kunst machen, noch mal nach Japan gehen – und gucken, was kommt.

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