Koloniales Erbe in Berlin - "Die menschlichen Überreste hätten nie in unser Museum gelangen dürfen"

Do 05.12.24 | 19:37 Uhr
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ather Daniel Stephen, einer der Vertreter der Ugaram Le von den Torres Strait-Inseln, Queensland, spricht bei einer würdevollen Feier im Ethnologischen Museum Dahlem zur Rückgabe menschlicher Überreste aus der Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie werden an Australien und damit in die Heimat zurückgegeben. (Quelle: dpa/Jens Kalaene)
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Video: rbb|24 | 05.12.2024 | Material: Janek Alva Kronsteiner | Bild: dpa/Jens Kalaene

Die sterblichen Überreste dreier Menschen kommen wieder nach Australien. Seit 1880 waren sie unrechtmäßig in Deutschland - als Teil eines Experiments. In den Kellern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz lagern noch Schädel mehrerer Tausend Menschen.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat am Donnerstag die menschlichen Überreste mehrerer Leichname von den australischen Torres-Straits-Inseln an deren Nachkommen zurückgegeben.

Kulturstaatssekretärin Claudia Roth sprach im Vorfeld von einem Akt der "Verantwortung für das geschehene Unrecht unserer kolonialen Vergangenheit". Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturgüter, drückte es so aus: "Die menschlichen Überreste, die wir heute an die Nachkommen übergeben, stammen alle von Bestattungsorten. Sie hätten nie in unser Museum gelangen dürfen."

Die Überreste stammen aus der Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin. Gemeinsam mit der australischen Botschaft richtete die Stiftung eine Trauerfeier für die Gebeine der Verstorbenen aus. Sie fand im ethnologischen Museum in Dahlem statt, unter anderem nahm die australische Botschafterin Natasha Smith daran teil. Die Stiftung gehört dem Bund und allen 16 Bundesländern.

Gräber zu Forschungszwecken ausgeraubt

Es handle sich um drei verstorbene Personen, deren Überreste um 1880 aus Gräbern auf Vulkaninseln vor dem australischen Festland geraubt und zu Forschungszwecken nach Deutschland gebracht wurden, teilte die Stiftung mit. Im Rahmen der Zeremonie wurden außerdem zwei Ahnen aus dem Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg zurückgegeben.

Die Hauptaufgabe der Stiftung ist die Bewahrung und Pflege der Kulturgüter des ehemaligen Landes Preußen, unter dessen Verantwortung die Gebeine damals geraubt und nach Berlin transportiert wurden. "Wir freuen uns daher sehr, dass die Vorfahren heute ihre Heimreise nach Australien antreten, und wir sind uns voll und ganz bewusst, dass dies schon längst hätte geschehen müssen", sagte Stiftungsdirektor Parzinger.

Die Gebeine der nun zurückgegebenen Personen wurden in einer Zeit geraubt, in der Kolonialmächte Artefakte, Grabbeigaben und auch menschliche Gebeine als Objekte für die Wissenschaft in Metropolen sammelten. Viele menschliche Überreste landeten in den Archiven deutscher Museen.

"Man hat im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Zuge von rassenkundlichen, anthropologischen Studien menschliche Überreste aus allen Teilen der Welt gesammelt, definiert und vermessen lassen", sagte Parzinger im Gespräch mit rbb|24. Dabei seien auch auf den Inseln vor dem australischen Festland Gräber geöffnet und menschliche Überreste mitgenommen worden.

Zeremonie mit Bewohnern der australischen Insel Ugar

Die Toten stammten von den Torres-Strait-Inseln, die zum australischen Bundesstaat Queensland gehören. Vier Vertreter der Ugaram Le, die auf der Insel Ugar leben, kamen für die Zeremonie nach Berlin, um die Ugaram-Le Omasker-Ahnen nach Hause zu begleiten. Die Ugaram Le sind die traditionellen Bewohner und Eigentümer von Ugar (auch bekannt als Stephen Island), einer kleinen Insel in der östlichen Inselgruppe der Torres Strait. Sie zählen zu den sogenannten First Nations, den Ureinwohnern des heutigen Australiens.

"Die Rückgabe der Vorfahren in ihre Heimat ist Teil des Prozesses der Wiedergutmachung und Wahrheitsfindung in Australien über das vergangene Unrecht an den First Nations. Die Rückkehr unserer Ugaram-Le-Omasker-Vorfahren ist für unsere Gemeinschaft von großer Bedeutung, da sie Heilung und Frieden für unser Volk und unsere Vorfahren bringen wird", sagte Tomson Stephen, Vertreter der Ugaram Le. Er und seine drei Mitreisenden wirkten wie auch die Botschafterin sichtlich bewegt, sie begleiteten die Zeremonie durch Gesänge, Trommelschläge und das Blasen einer Muschel.

Sterbliche Überreste aus dem früheren Kolonialreich

Die Berliner Museen und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben bereits vor Jahren damit begonnen zu erforschen, wo die riesigen Bestände menschlicher Überreste in ihren Sammlungen im Einzelnen herkommen.

Laut Parzinger stammen allein rund 1.200 menschliche Überreste aus verschiedenen Ländern in Ostafrika. Gemeinsam mit Forschern aus Tansania, Ruanda und Kenia habe die Stiftung die Herkunft eingrenzen und Kontakt zu den Communities in den betroffenen Ländern aufnehmen können. "Wir warten jetzt darauf, dass sie zurückgenommen werden, wir haben schon mehrfach die Rückgabe angeboten", sagt Parzinger. Auch aus westafrikanischen Ländern gebe es zahlreiche Knochen in den Sammlungen der Berliner Museen - diese seien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gesammelt worden. Insgesamt befinden sich allein in der Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte 523 menschliche Schädel, die während der Kolonialzeit nach Berlin gelangt sind.

Hinzu kommt laut Parzinger ein Bestand von 1.200 menschlichen Überreste aus dem früheren deutschen Kolonialimperium im Pazifik. "Deren genaue Herkunft zu erforschen wird ein drittes großes Projekt in der Zukunft sein."

7.700 Schädel von der Charité übernommen

Den mit Abstand größten Bestand an menschlichen Knochen hat die SPK allerdings im Jahr 2011 von der Charité übernommen. Die Forschungseinrichtung beherbergte größere anthropologische Schädel- und Skelettsammlungen, die zum Teil in der Kolonialzeit zusammengetragen wurden. Darin enthalten waren rund 7.700 Schädel und andere menschliche Überreste, die für die medizinische Forschung nach Berlin gebracht wurden.

Der richtige Umgang mit solchen sensiblen Objekten hängt dabei unter anderem von den Wertvorstellungen der betroffenen Kulturen ab, wie es in Leitlinien der Stiftung zum Umgang mit menschlichen Überresten heißt. In europäischen Ländern werden Körperteile von Menschen, die vor 100 oder mehr Jahren verstorben sind, juristisch als "Gegenstände" behandelt, die auch ge- und verkauft werden dürfen. "In anderen Kulturen existieren hierzu grundlegend andere Wertvorstellungen", hält die SPK fest.

Teil der ältesten kontinuierlichen Kulturen der Erde

Ugar ist eine der kleinsten bewohnten vulkanischen Inseln in der Region, mit einer Länge von 700 Metern und einer Breite von 500 Metern - sie liegt mehr als mehr als 14.300 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. Die traditionellen Eigentümer haben an Projekten zur Bestimmung ihrer traditionellen Grenzen teilgenommen, um ihre Landrechte zu sichern. Die Ugaram Le haben eine enge Verbindung zu Land, Meer und Himmel und betrachten sich als Teil von Gogobithiay (ein lokales Wort für Land, Meer und Himmel). Ihre Kultur ist Teil der ältesten kontinuierlichen Kulturen der Erde, die mehr als 65.000 Jahre zurückreicht.

Dass ehemalige Kolonialmächte sterbliche Überreste von Ureinwohner stahlen, um sie zu Forschungszwecken zu sammeln und zu katalogisieren, ist kein Einzelfall. In Australien existiert sei 2011 die Rückführungspolitik, die die indigenen Australier bei Rückführungen menschlicher Überreste aus dem Ausland unterstützt. Seit einigen Jahren standen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die australische Regierung deswegen im Austausch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 05.12.2024, 9 Uhr

26 Kommentare

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  1. 25.

    *7.Flora.
    "Antwort auf [Maik Kretschmar".

    Eine super Antwort. Ich bin begeistert!

  2. 22.

    Sie bedenken nicht, dass vieles erst zerstört worden ist von den Kolonialherren. Vieles wurde dem Erdboden gleich gemacht, Kulturen wurden vernichtet, Völker ausgerottet. Die Geschichte wurde in großem Stil umgeschrieben im Sinne der "Eroberer". Die Forschung, die hier angesprochen wird, diente der Untermauerung der Rassentheorien, es wurde vermessen, gedeutet und katalogisiert. Aber was hat es der Menschheit gebracht?

  3. 21.

    Es ist ganz einfach: Hätten sie diese Gebeine mit dem Einverständnis der Angehörigen mit nach Berlin genommen, wäre das was anderes. Hat aber Kolonialmächte früher nicht interessiert, da man auf Ureinwohner herangeschaut und sich die Freiheit herausgenommen hat, diese Knochen zu stehlen. Das war eine andere Zeit, richtig, aber deshalb kann man ja auch aus ihr lernen. Daher ist es nur Recht, sie jetzt wieder zurückzugeben. Nicht mehr und nicht weniger - rein sachliche Feststellung. Was jemand anderes nicht tut, muss für diese Entscheidung zweitrangig sein - man kann nur das eigene Tun beeinflussen.

  4. 20.

    Bei menschlichen Überresten ist es anders als bei nichtmenschlichen Gegenständen. Warum sollte man Gebeine u.ä. behalten? Sie dienten der Forschung. Kann man drüber streiten. Aber welchen Sinn macht es, sie bei uns einzulagern? Das andere Thema (Kulturgüter) ist hier nicht gemeint. Das ist eine andere Diskussion.

  5. 19.

    Die Kolonialzeit hat uns reich beschenkt mit guten Dingen, die wir täglich nutzen, ohne Wissen und Gewissen.
    Deshalb ist eine kritische Außeneinandersetzung damit wichtig. Aber während wir uns mit dem Raubrittertum der Kolonialzeit auseinandersetzen und Berufsgruppen kriminalisieren. (also mal wieder von einem Extrem ins andere fallen) bahnt sich der 3. Weltkrieg an.

  6. 18.

    Der Kolonialismus und damit einhergehende Rassismus entfaltet seit 500 Jahren seine Wirkung. Gut, dass endlich Verantwortung übernommen wird. Ein Schritt in Richtung Heilung. Hoffentlich!
    Es hilft nicht, sich auf die damalige Zeit zu berufen und das Vorgehen zu entschuldigen. Letztlich ist es irrelevant, ob und was ansonsten der „interessierten“ Öffentlichkeit vorenthalten worden wäre. Fakt ist, dass es viel Leid und Unrecht gab und immer noch gibt aufgrund der Kolonialisierung.

  7. 17.

    @Maik Kretschmer Im Prinzip haben Sie recht, ich denke auch, dass vieles inzwischen zerstört worden wäre. Beeindruckend sind diese Ausstellungen. Als Kind mochte ich besonders die geöffneten Särge und den Blick auf die Mumien, in deren Gesichter, die man noch gut erkennen konnte. Und ich glaube, dass es, worum es mir heute im Wesentlichen geht. Der Umgang mit den Menschen (die zur Weltausstellung zB lebend zur Schau gestellt wurden) und die Verstorbenen, die Missachtung derer Religion.

  8. 16.

    Der Mensch ist ja lernfähig. Manche nur bedingt, aber aus der Geschichte kann man eben lernen. Natürlich macht jede Epoche Fehler, immer wieder andere, manchmal dieselben. Wir sollten es aber als Fakt nehmen und nicht moralisieren. Wissenschaft und Forschung hatten, haben und werden immer wieder auf moralische Probleme stoßen.

  9. 15.

    Sie haben eine naive Vorstellung von der damaligen Möglichkeit. Vor Ort erforschen? 1880? Ernsthaft? Sie denken mit dem Wissen von heute.

  10. 14.

    Wir sind immer nur am Geben und damit die Guten. Kein Land mit kolonialer Vergangenheit veranstaltet solche Aktionen mit den Rückgaben. Kolonialmächte wie Frankreich, Spanien, Portugal und Holland kümmern sich kaum um diese Themen. Dort ist es wie es ist. Was wollen wir damit bezwecken??? Zeigen, dass wir auch hier ganz vorne sind. Ich habe das Gefühl viele dieser Länder nehmen diese Gaben, innerlich lachen sie über uns wie so viele andere Staaten wo wir immer wieder „helfen“.

  11. 13.

    Das stimmt. Bei den ganzen Diskussionen wird oft vergessen, wie die damalige Zeit insgesamt tickte. Aus heutiger Sicht ist vieles moralisch verwerflich. Mit Recht. Wie dürfen dennoch nicht die heutigen Werte als Maßstab nehmen. Und leider hat auch die Forschung usw, immer wieder davon profitiert. Einfach sachlich bleiben und immer wieder hinterfragen, was getan werden muss. Nicht die Vergangenheit verteufeln.

  12. 12.

    Wann entschuldigt sich Deutschland eigentlich das die Neandertaler hier gewohnt hatten und der Auslöser dieser Misäre bis heute war..? Die Zeiten waren früher so ohne Internet und Medien. Heute ist auch wieder viel mit Krieg und Landgewinnung. Werden die sich auch in 200-300 Jahren austauschen was heute falsch war?

  13. 11.

    Hoffentlich muss die aktuelle Wissenschaft nicht auch irgendwann für ihre Fehler um Entschuldigung bitten. Man darf nix relativieren, sollte dennoch dran denken, wie wenig Achtung die weißen „Australier“ bis vor relativ kurzer Zeit den Ureinwohner zollten.

  14. 10.

    Stimmt! Aber der Kaffee, die Orangen etc., bleiben hier, oder?

  15. 9.

    Also, man kann doch nicht irgendwo hingehen, was ausgraben & es mitnehmen. Was ist denn das für eine moralische Anschauung. Die Archäologen hätten es gemeinsam mit den jeweiligen Ländern ausgraben, dort lassen & vor Ort erforschen können.

  16. 8.

    Sicherlich werden für uns heute selbstverständliche Dinge in zweihundert Jahren revidiert und als Unrecht bezeichnet werden.

  17. 7.

    Und was viele gerne vergessen würden: Ohne die koloniale Geschichte müssten viele Dinge 140 Jahre später nicht zurück gebracht werden.

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