Berlin und Brandenburg - Wie sich der Drogenkonsum bei Jugendlichen in der Pandemie verändert

Fr 09.07.21 | 06:21 Uhr | Von Jenny Barke
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Audio: Inforadio | 09.07.2021 | Jenny Barke

Um ihre Corona-Ängste zu bewältigen, flüchten sich einige Jugendliche in den Rausch. Experten erreichen die jungen Konsumenten kaum noch - und registrieren einen massiven Anstieg des Medikamentenkonsums. Von Jenny Barke

Die Arbeit von Jörg Kreutziger und seinem Team beginnt meist mit einem Anruf. Berliner Rettungssanitäter und Kliniken melden sich bei ihnen dann, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher mit einer Vergiftung durch Alkohol oder Drogen ins Krankenhaus eingeliefert wird. Die Pädagogen und Mediatoren des Projekts "Hart am Limit", kurz "Halt [halt-berlin.de]" sprechen dann mit den Jugendlichen über den Grund für ihren Konsum. Sie hören zu, begegnen ihnen auf Augenhöhe, bieten Hilfe an.

Während der Pandemie habe sich die Arbeit von "Halt" verändert, sagt Kreutziger. Früher seien die Jugendlichen öfter mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus gelandet. Die vergangenen Monate habe es eine massive Verschiebung der Konsummuster gegeben: "Wenn wir uns die Substanzen anschauen, sehen wir, dass Jugendliche vermehrt zu Medikamenten greifen." Benzodiazepine und Schmerzmittel seien hoch im Kurs, sagt der Sozialarbeiter.

Tendenz geht hin zu "introvertierten Drogen"

"Bewältigungskonsum" nennt Kreutziger dieses Verhalten: Anders als noch vor einigen Jahren wollten sich weniger Jugendliche in Berlin mit Partydrogen wie Amphetaminen berauschen. Es gebe einen Wandel hin zu Drogen mit sedierender Wirkung. "Mein Team und ich sprechen von introvertiertem Konsum, weil er nach innen gerichtet ist. Sie ziehen sich dann zurück, sie betäuben sich klassisch, um nicht mehr so viel von der Welt da draußen mitzubekommen", sagt Kreutziger. Die große Verfügbarkeit der Substanzen tue ihr Übriges: Medikamente und Amphetamine bestellten die Jugendlichen leicht übers Netz. Das sei ebenfalls ein "Game-Changer" beim Drogenkonsum.

Wie sich der Konsum von Rauschmitteln unter Berliner und Brandenburger Jugendlichen insgesamt in der Pandemie entwickelt hat, lässt sich schwer fassen. Aktuelle, repräsentative Zahlen gibt es nicht. "Wir haben in Deutschland dazu ganz schlechtes Zahlenmaterial, die Trendstudien, die alle paar Jahre kommen, sind nur Schlaglichter", sagt Rüdiger Schmolke vom Berliner Präventions- und Suchthilfeprojekt Sonar. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Trends beim Drogenkonsum jugendlicher Menschen. Er rät zur Vorsicht bei Verallgemeinerungen für ganz Berlin und Brandenburg.

Sie ziehen sich zurück, sie betäuben sich klassisch, um nicht mehr so viel von der Welt da draußen mitzubekommen.

Jörg Kreutziger, Sozialarbeiter

Aktuelle Studien zum Drogenkonsum in Corona-Zeiten fehlen

Deshalb stellt für ihn auch die Zunahme des Medikamentenkonsums unter Jugendlichen beim Präventionsprojekt "Halt" nur ein kleiner Ausschnitt dar. "Das muss in anderen Gruppen gar nicht richtig angekommen sein." Die letzte repräsentative Studie zum Rauschmittelkonsum bei Kindern und Jugendlichen ist in Brandenburg vor vier Jahren veröffentlicht worden - die Ergebnisse einer aktuellen Befragung, die auch die Corona-Zeit abbildet, soll im Herbst kommen. In Berlin wurden die neuesten Zahlen zur Sucht zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 veröffentlicht [berlin-suchtpraevention.de/PDF].

Obwohl belastbare Zahlen zum Trend im Drogenkonsum in der Pandemie fehlen, bestätigen viele Psychologen, Suchtberater und Ärzte in Berlin und Brandenburg den Eindruck: In der Corona-Zeit haben sich die Probleme bei vielen Kindern und Jugendlichen verschärft. Die Experten machen das an ihren internen Auswertungen fest. So auch die DRK-Suchtberatungsstelle im Landkreis Oberhavel in Brandenburg. "Wir hatten hier im vergangenen dreiviertel Jahr den Ausnahmezustand", sagt Sucht- und Drogenberater Michael Alfs.

Beratungsstellen und Ambulanzen in Oberhavel "fast alle kollabiert"

Die Pandemie habe selbst Kinder und Jugendliche, die eigentlich zuvor Angst vor Drogen gehabt hätten, zum Konsum gebracht. "Die Schule ist weggebrochen, die Jugendlichen haben Langeweile, keine Zukunftsperspektive und keine Ausweichaktivitäten", sagt Alfs. Konkret heiße das für den Landkreis Oberhavel: Immer öfter meldeten sich Eltern, die im Home-Office feststellten, dass ihre Kinder und Jugendliche THC, Medikamente oder Amphetamine konsumieren. Die DRK-Suchtberatung versuche, zu vermitteln. Doch die Institutionen seien "fast alle kollabiert", so Alfs. "Wir haben hier nur eine Stelle, die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ausgelastet, die Warteliste für Langzeit-Therapien liegt bei neun Monaten."

Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Berliner Vivantes-Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie auf der Suchtstation. Die Ambulanz sei überlastet, für Plätze müssten die jungen Patienten teils lange warten, sagt der Stationsleiter, Kinder- und Jugendpsychotherapeut Tobias Hellenschmidt. "Wir erleben in unserer Praxis viele Rückfälle, bei vielen jungen Suchtpatienten hat sich die Symptomatik verschlechtert."

Wir haben hier nur eine Stelle, die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ausgelastet, die Warteliste für Langzeit-Therapien liegt bei neun Monaten.

Michael Alfs, Sucht- und Drogenberater

"Totalausfall" der Hilfesysteme

Hellenschmidt spricht von einem "Totalausfall" der sozialen Hilfesysteme und kritisiert die Politik. Die würde die Kinder und Jugendlichen ignorieren - er befürchte, dass die Langzeitfolgen dieser monatelangen sozialen Desintegration noch bevorstünden. "Alle Institutionen waren komplett dicht, die Kinder und Jugendliche haben keine Unterstützung mehr bekommen, weder von Streetworkern, noch regionalen Sozialdiensten noch Lehrern."

Dabei hätten die Kinder in der Krise umso mehr psychologische Unterstützung gebraucht. Sie seien mit ihren Ängsten allein gelassen worden, erklärt Michael Leydecker, der als Psychologe in der Suchtberatung beim Träger Tannenhof im Landkreis Dahme-Spreewald arbeitet: "Es hat ein Rückzug stattgefunden, die Isolation hat den Kindern und Jugendlichen nicht gut getan." Einige Jugendliche hätten diesen Stress mit Tabak, Alkohol und Drogen kompensiert. Die größte Herausforderung für Leydecker: Diese Jugendlichen noch zu erreichen.

Bezugspersonen für Intervention fehlen

Ohne Bezugspersonen, durch die Intervention von Sozialarbeitern in Jugendclubs oder durch Lehrer käme auch seine Suchtberatungsstelle in Brandenburg kaum noch an die jungen Menschen heran. Auch der Sozialarbeiter Jörg Kreutziger vom Berliner Interventionsprojekt "Halt" spricht von einer Überforderungssituation: "Die Jugendlichen erleben zwei Krisen zeitgleich, die Corona-Krise und dann noch die Klimakrise. Das kann zu einer Mehrfachbelastung führen, die dann ihren Weg in den riskanten Konsum finden kann."

Deshalb sind sich die Experten in Berlin und Brandenburg auch einig: Die Lage könne sich erst ändern, wenn die Kinder und Jugendlichen wieder Perspektiven bekommen und aus der sozialen Isolation befreit werden. Sie plädieren dringend dafür, die Schulen im Herbst wieder zu öffnen und den jungen Menschen mehr Freizeitangebote zu machen.

Sendung: Inforadio, 09.07.2021, 7 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

29 Kommentare

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  1. 29.

    Ist nicht ihr Ernst!!! Wie gefährlich ist so ein Statement!

  2. 28.

    Sie werden unglaubwürdig. Selbstdiagnose? Ein Arzt wird das ja wohl einwandfrei festgestellt haben können.

  3. 27.

    @Prenzlauer

    Ich habe 10 min nach der Impfung diese Reaktion gehabt und noch weitere.
    Es muss also von der Impfung sein

  4. 26.

    Man wird über die Ergebnisse der Bundestagswahl noch sehr überrascht sein, wenn das so weitergeht.
    Viele Leute ertragen auch dieses ganze Geplapper nicht mehr, Dass die Kinder an 1. Stelle jetzt kommen sollen.
    Bzw. Schulen als Letzte zu.
    Und dann kommt es immer anders.
    Fußball, Reisen usw. ohne Ende.
    Aber Wechselunterricht und Maskenpflicht an den Schulen.
    Kinderimpfstoffe gibt's auch nicht.
    Lieber beschimpfen Politiker die Stiko, weil sie den Impfstoff nicht für alle Kinder empfiehlt. Das ist doch einfach nur noch schrecklich!

  5. 25.

    Darf ich mal fragen, ob der Schlaganfall mit der 1. Impfung zusammenhängt? Oder hat der damit nichts zu tun?

  6. 24.

    Liebe Rosa,

    Jetzt kommt es noch krasser für sie.

    Ich selber habe keine Zweitimpfung bekommen....Verdacht auf Schlaganfall und mehr...
    Sie werden sicher verstehen warum gerade ich NIEMANDEN zur Impfung zwingen und auch NIEMANDEN dazu raten würde.....ganz besonders nicht MEINEM Kind.

  7. 23.

    Schulen wieder auf machen und mehr Freizeitangebote ist im jeden Fall sinnvoll, aber trotz das nahezu alle Parteien sich immer ganz fett "Kinder", "Familie" und "Bildung" auf die Fahnen schreiben, ist in diesen Bereichen (schon vor Corona!) herzlich wenig investiert worden. Da waren Banken, Flug- und Autoindustrie immer wichtiger.
    Man könnte fast meinen, die Problematik wäre systematisch...

  8. 22.

    Ums Überleben? Wirklich, so dramatisch? Meine Güte. Zu anderen Zeiten jammern viele, dass ihre Kids ständig alleine vor dem PC sitzen und zocken, statt rauszugehen. Manche empfinden ihre Kinder offenbar als Belastung, Kein Wunder, wenn solche Kinder dann abstürzen.

  9. 21.

    Doch. Und nicht alle Fakten passen immer zusammen. Daher polemisch. Neid oder Missgunst helfen nicht. Der Profifußball hat nichts mit dem Thema zu tun. Genauso gut könnte ich als Fakt schreiben, dass Olympia stattfindet, dass die Impfstoffe zu Beginn fehlten usw…. passt nicht zum Thema. Selbst wenn der Profifußball mit Berufsverbot belegt worden wäre, hätte sich an dem im Bericht beschriebenen Problem nichts geändert. Also, was soll das? So kommt man bloß vom Thema ab. Wollten Sie das erreichen? Wollen wir über Fußball diskutieren?

  10. 20.

    Das ist wohl war.
    Kriminellenschutz und Endlos-Rechtsstaat für Schwerstverbrecher.
    Dazu Rauschgift-Bagatellisierung.
    Was dies alles mit Kindern anrichtet, darauf kommt keiner.
    Trauriges Deutschland.
    Aber es ist ja im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen.
    Hauptsache Fußball läuft und Reisen wohin man will.
    Dafür werden die Schulen dann wieder zugemacht.

  11. 19.

    Tja, Kinder und Jugendliche wurden schlicht und ergreifend in der Pandemie vergessen... Sie sind unsere Zukunft und müssen die Karre für alle aus dem Dreck ziehen! Auf nach Hause ins Wohnzimmer zum Lernen mit den Eltern gemeinsam... Da kann man den Eltern keinen Vorwurf machen... Die kämpften einfach ums Überleben... Meine Söhne sind beide über 30. Als sie Kinder und Jugendliche waren, gab es noch Freizeitangebote ... Meine Hochachtung gilt den Familien und nicht den Lehrern, den es zum größten Teil um Eigenschutz ging. Wichtig sind Wahlkampf und Fußball!!!

  12. 18.

    Ich schließe mich Domme an
    und gebe zu bedenken: die Medien, auch der RBB haben an dieser miesen Grundstimmung ihren Anteil - nach dem Motto in einem Bond-Film, nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Nach der x-ten Pushnachricht zu Corona-News, die eigentlich an einem Tag immer gleich sind, nach "uns geht es allen SOOO schlecht" usw.
    Und auch Helgas Einwand ist berechtigt. Wie viele, sind es andere als vorher die Alkohol- und Party-Drogen-Konsumenten.
    Ich glaube, in Deutschland sind die meisten doch recht gut bisher weggekommen, auch wenn es teilweise große Einschnitte gab. Also würde ich mir von den Medien etwas mehr Zukunft wünschen, als immer nur, wir stehen am Abgrund und sind morgen ein Schritt weiter.

  13. 17.

    Das ist der Preis unserer Leistungsgesellschaft. Produzieren um zu konsumieren. Ich denke man muss viel mehr über Drogen aufklären und zeigen das bestimmte Substanzen auch nach der Absetzung einem das ganze Leben kaputt machen können.

  14. 16.

    Als protest sollte auf jeden Berliner Park mal eine Party zeitgleich sein.
    Dann wird die politik sehen evtl was sie falsch gemacht haben.
    Kulturbrauerei darf Fussball mit 1000leuten geschaut werden u in den Parks werden die Auflagen kontrolliert u die leute nachhause geschickt. ganz großes Kino.
    zum Glück bin ich keine 20+- mehr.

  15. 15.

    Jetzt haben wir den Salat.
    Für die Kinder u Jugendlichen wurde ja auch 1,5Jahre garnichts gemacht.
    Weder Sport noch sonstiges durften die machen.
    Wobei es auch schon das ganze Jahr Heist draußen ist die ansteckung so gering das so gut wie garnichts passieren kann.

  16. 14.

    Ganz und gar nicht polemisch, sondern Fakt!

  17. 13.

    Liebe Mutter aus Brandenburg,
    sorgen Sie mal dafür, dass die Mitbewohner Ihres Bundeslandes sich impfen lassen und vor allem den zweiten Impftermin wahrnehmen. Weniger potentielle Infektiöse kommen ganz sicher auch den Kinder zugute und sie können ab Herbst wieder unbeschwert zur Schule gehen.
    Wie Sie sehen, ist „Ihr Problem“ hausgemacht.

  18. 12.

    Zwei Fragen stellen sich mir da:
    Wie haben unsere Eltern und wir als Jugendliche zu unserer Zeit bloß überleben können?
    und zweitens
    Wo haben die das Geld dafür her?

  19. 11.

    Zitat "Soll man den jungen Leuten in der Pandemie doch ein bißchen Rausch gönnen. Es soll ja auch Menschen geben, denen der Drogenkonsum gut tut." -> Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder? Drogen können dauerhaft abhängig machen und das Leben junger Menschen nachhaltig zerstören. Inklusive psychischer Probleme, Schulden wegen Drogenkauf und Straftaten unter Drogeneinfluss. Das soll erstrebenswert sein? Höchstens für Drogendealer, die an dem Elend anderer Leute illegales Geld verdienen.

  20. 10.

    Es ist noch schlimmer. Jugendliche werden als Kriminelle abgestempelt, weil sie sich in Parkanlangen treffen. Kein Wunder, dass viele einfach dicht machen.

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