Kommentar l re:publica 2021 - Die Grenzen des Digitalen

So 23.05.21 | 10:08 Uhr | Von Martin Adam
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Blick in die Regie: Das Festival für digitale Gesellschaft wird in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie ausschließlich live gestreamt. (Quelle: re:publica/Gregor Fischer)
Bild: re:publica/Gregor Fischer

Die Digitalkonferenz re:publica fand zum zweiten Mal komplett online statt: drei Tage mit einem komplexen Programm in gleichzeitigen Streams und vielen Interaktionsmöglichkeiten. Der re:publica ist dabei ein doppeltes Kunststück gelungen, kommentiert Martin Adam.

Sie haben es getan. Wer, wenn nicht die Digitalkonferenz re:publica sollte ausloten, wie digital eine Konferenz im Jahr 2021 sein kann. Die Erwartungen waren hoch und tatsächlich haben die OrganisatorInnen alle Register gezogen - um ein sehr analoges Bild zu bemühen. Die re:publica hat eine eigene Streamingplattform auf die Beine gestellt, schön bunt, mit Programm- und Chatfunktion, aber vor allem einem zentralen Feature: Sie funktioniert.

Bis auf ein paar Minuten Blackout am ersten Tag liefen die Streams, vier parallel, professionell produziert in Riesenflatscreenqualität. Wenn die Talks mal schlecht klangen, dann lag das an den miesen Laptopmikrofonen der Gäste.

Offenkundige Vorteile der digitalen Konferenz

Und die Vorteile der digitalen Digitalkonferenz waren offenkundig: leidgeprüfte re:publica-Gäste der letzten Jahre posteten begeistert, dass es keine Warteschlangen, keine überfüllten Säle und immer einen Platz direkt an der Bühne gab.

Auch internationales Publikum und SprecherInnen kommen eher, wenn sie nicht extra nach Berlin reisen müssen, sondern einfach zuhause, wo auch immer das ist, vorm Bildschirm sitzen.

Alles gut gemacht, aber noch nicht revolutionär. Das war die 2D-Welt "Gather Town". Um irgendwie ins Netz zu transportieren, dass eine Konferenz eben kein Fernsehsender, sondern ein großes "Hallo" vieler Menschen ist, hat die re:publica ihren Gästen eine gar nicht so kleine 2D-Welt gebastelt, in der man mit einem individuell gekleidet und frisierten Avatar durch die Gegend tappern, Dinge entdecken und mit anderen Gästen videoschalten konnte - inklusive Flashmob und Public Viewing.

Das war neu, das war interessant, das war auch ein bisschen traurig. Denn das Fiese am Grenzen ausloten ist ja, dass man irgendwann die Grenze erreicht hat - in diesem Fall die Grenze des Digitalen.

Ein Klassentreffen vor der Glotze ist doof

Johnny Haeuslers alljährlich euphorische Begrüßung "Hallo Welt! Hallo republica!" verhallte in der leeren Produktionshalle in Berlin-Neukölln. Wenn die Granden von ARD, ProSieben und RTL auf der Bühne vollmundig versprechen, es gehe nichts über gut recherchierte Information, egal was die Quote sagt, wäre ein kritisches Publikum hilfreich. Aber skeptisch raunen im Chat geht nicht. Nur Sascha Lobos wunderbar gebellte Rede zur digitalen Lage der Nation funktioniert auch ohne Livepublikum. Wenn er verspricht, seine Rede sei positiv, superpositiv, so positiv wie Impfgegner nächsten Herbst, dann funktioniert der Witz auch auf die Entfernung.

Die re:publica hat sich immer als das Klassentreffen der Netzgemeinde begriffen. Und auch wenn "Netzgemeinde" inzwischen schrecklich antiquiert klingt, ein Klassentreffen, bei dem alle vor der Glotze hängen, ist doof. Und das Catering erst - ein Graus.

Ein doppeltes Kunststück

Klar, technisch ginge noch mehr. Die re:publica-Community könnte sich per VR-Brille einklinken und noch näher dran sein. Aber wer soll sich das leisten können? Und in puncto Breitbandinternet dürften auch jetzt schon große Teile Brandenburgs von der datenintensiven Digitalkonferenz ausgeschlossen sein.

Und so hat die re:publica 2021 ein doppeltes Kunststück vollbracht: Sie hat gezeigt, was eine Online-Konferenz alles sein kann - und auch, was nicht.

Sendung: Inforadio, 23.05.2021, 18 Uhr

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Beitrag von Martin Adam

1 Kommentar

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  1. 1.

    Die sinnvollste Grenze ist immer diejenige, die Menschen aus eigenen Stücken und aus eigener Überzeugung erkennen - weniger diejenige, die gesetzt wird, die sich aufgrund rein technischen Unvermögens zeigt und Menschen in gewissem Maße dagegen rebellieren.

    Selbstverständlich hat das Digitale Grenzen: Diese liegen im sinnvollen Bereich eines Analogen, also in spezifisch denjenigen Bereichen, in denen Menschen UNmittelbare Anschauung und möglichst alle Sinne brauchen (mithin: sinn-voll), mithin nicht nur den Seh- und Hör-Sinn, worauf sich allein das Digitale konzentriert.

    Beides, das Digitale und das Analoge, kann sich ergänzen; allerdings bin ich vor dem Hintergrund eines digitalen Hypes skeptisch, dass genau das gelingt.

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