Charité in Berlin - 25.500 Menschen bewerben sich auf 325 Medizin-Studienplätze

Fr 11.10.24 | 09:06 Uhr | Von Ann Kristin Schenten
  81
Symbolbild: Medizinstudenten verfolgen im Hörsaal eine Untersuchung. (Quelle: dpa/Julian Stratenschulte)
Video: rbb24 Abendschau | 12.10.2024 | Frank Drescher | Bild: dpa/Julian Stratenschulte

In Berlin gibt es schon jetzt zu wenig Ärzte. Gleichzeitig bewerben sich im Fach Medizin jedes Jahr Zehntausende erfolglos. Also einfach mehr Studienplätze schaffen? Es gibt einige Gründe, warum das nicht so einfach möglich ist. Von Ann Kristin Schenten

Das Medizinstudium an der Berliner Charité ist begehrt: Auf 325 freie Studienplätze haben sich im aktuellen Wintersemester mehr als 25.500 Menschen beworben. Damit kommen auf einen freien Platz knapp 78 Bewerbungen.

Lauterbach spricht von 5.000 fehlenden Studienplätzen pro Jahr

Hohe Bewerberzahlen sind im Fach Medizin nicht ungewöhnlich. Wegen der hohen Zugangsvoraussetzungen bewerben sich viele an mehreren Universitäten gleichzeitig. Dennoch warnen Politik und Ärzteverbände immer wieder vor einem drohenden Ärztemangel. Könnte man dann nicht aus dem hohen Bewerberaufkommen schöpfen?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) machte es im April im "ARD-Bericht aus Berlin" konkret. Er sprach davon, dass pro Jahr 5.000 Studienplätze fehlen, sodass es in den nächsten zehn Jahren insgesamt 50.000 Ärztinnen und Ärzte zu wenig geben werde. Jeder werde das spüren, sagte der Bundesgesundheitsminister.

Auch der Marburger Bund, die größte Ärztevereinigung Europas mit Sitz in Berlin, bekräftigte das gegenüber rbb24: "Wir brauchen eine Erhöhung der Studienplatzkapazitäten, denn wir wissen, dass heute 25 Prozent der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland älter als 60 Jahre sind. In den Praxen sind es sogar fast 40 Prozent. Wir müssen also in den kommenden Jahren viele Stellen nachbesetzen, was nur möglich ist, indem wir mehr ausbilden", so der Vorstandsvorsitzende Peter Bobbert.

Zahl der Studienplätze hängt an der Zahl der Krankenbetten

Einige Berliner Bezirke wie Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg warnen bereits jetzt vor einem Mangel an Hausärzten. Im Vergleich zu anderen Bundesländern gibt es in Berlin aber relativ viele Medizinstudierende. Laut der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege liegt die Quote der Studienanfängerinnen und -anfänger bezogen auf die Einwohnerzahl in Berlin bei 0,19 je 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner, während der Bundesdurchschnitt bei 0,15 liegt. Die Absolventenquote liegt laut der Charité bei rund 96 Prozent. Allerdings gibt es keine Erhebung, wie viele danach tatsächlich als Ärzte arbeiten.

Gäbe es aber überhaupt Möglichkeiten, mehr Studierende an der Charité auszubilden? Grundsätzlich richtet sich die Charité bei der Anzahl der Studienplätze nach den Verfügbarkeiten in den Krankenhäusern, erklärt Ina Czyborra (SPD), Berlins Senatorin für Wissenschaft und Gesundheit, im rbb24-Interview: "Die Anzahl der Studienplätze wird nicht willkürlich festgelegt, sondern sie bemisst sich an der Frage, wie viele Betten betrieben werden."

Pflegenotstand behindert Schaffung neuer Studienplätze

Bevor also festgelegt werden kann, wie viele Studierende die Charité aufnehmen kann, muss geprüft werden, wie viele Patientinnen und Patienten die Charité aktuell überhaupt versorgen kann. "Wenn es einen Bettenabbau gibt, dann würde das automatisch die Anzahl der Studienplätze reduzieren", erklärt Ina Czyborra. "Es hängt immer daran, wie viele Patientinnen versorgt werden", so die Senatorin.

Hinzu kommt, dass auch genügend Personal vorhanden sein muss, um die Studierenden zu betreuen. Silke Gebel, Sprecherin für Pflege bei den Berliner Grünen, sagt: "Es wäre sinnvoll, mehr Studienplätze zu schaffen. Allerdings hindert uns der Pflegenotstand daran. Wer mehr Studierende möchte, muss mehr Pflegekräfte einstellen, damit wir entsprechend auch mehr Patientinnen und Patienten aufnehmen können."

Czyborra: "Den Ländern sind die Hände gebunden"

Ein Medizinstudium ist zudem teuer. Ein Studienplatz kostet laut Senatorin Ina Czyborra aktuell mindestens eine Viertelmillion Euro. Sie kommt daher zu dem Schluss: "Ich sehe den Bedarf, aber ich sehe im Augenblick keine Möglichkeit, dass das Land Berlin nennenswert mehr Studienplätze schafft, ohne Unterstützung. Aus den Finanzen des Landes Berlin heraus können wir das nicht leisten."

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kritisierte die Länder im April für diese Haltung. Czyborra entgegnet: "Die Länder haben durch die Schuldenbremse des Bundes aktuell gar keine Möglichkeit, groß auszuweiten. Unsere Krankenhäuser machen derzeit fast flächendeckend Verluste. Auch die Charité macht Verluste. Es würde Unsummen kosten, mehr Studienplätze bereitzustellen. Zumal das, wie gesagt, von der Patientenversorgung abhängt. Im Augenblick sind den Ländern hier massiv die Hände gebunden."

Vorschlag: Studierende aus dem Ausland zurückholen

Martina Kadmon vom Deutsche Hochschulmedizin e.V. und Dekanin an der Medizinischen Fakultät der Uni Augsburg hat einen anderen Vorschlag: "Das Problem ist nicht dadurch lösbar, dass wir jetzt mehr Studienplätze schaffen. Diese würden erst in zwölf Jahren Wirkung zeigen. Wir müssen Kolleginnen und Kollegen zurückholen, die außerhalb Deutschlands studieren. Damit erhöhen wir auch die Zahl der Absolventinnen und Absolventen."

Laut einer Erhebung des Centrums für Hochschulentwicklung im März absolvieren derzeit schätzungsweise 7.500 Medizinstudierende ihre Ausbildung im Ausland, etwa in Ungarn, Polen oder Großbritannien. Allerdings ist nicht erhoben, wie viele von ihnen anschließend in die medizinische Versorgung nach Deutschland zurückkehren. Immer wieder wird auch gefordert, verstärkt medizinische Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, was auch der Marburger Bund unterstützt.

Zukünftig nicht mehr Studienplätze

Für die vielen Bewerberinnen und Bewerber auf Medizinstudienplätze in Berlin bleibt es jedoch vorerst dabei: Die Chancen auf einen Studienplatz an der Charité sind nicht besonders groß. Die Universität gehört zwar zu den größten Ausbildern in Deutschland, aber die Kapazitäten sind aktuell voll ausgereizt. Für mehr fehlt es an Personal und Geld – beides kann der Senat laut eigener Aussage derzeit nicht bereitstellen. Der Ärztemangel wird daher zumindest in Berlin zukünftig wohl nicht durch mehr Studienplätze gelöst.

 

Sendung: rbb24 Abendschau, 12.10.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Ann Kristin Schenten

81 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 81.

    Sie wissen, was Herr Lauterbach mal studiert hat?

    Natürlich müssen die vielen überzähligen Krankenhausbetten abgebaut werden. In Berlin liegt die ständige Auslastung bei unter 80%.

    Krankenhäuser müssen sich deutlich mehr spezialisieren. Und kleine Häuser auf dem Land müssen nicht alles anbieten.

    Außerdem wird in Deutschland viel zu wenig ambulant operiert. Es kann nicht sein, dass ambulant mögliche Eingriffe stationär durchgeführt werden und dadurch massive unnötige Mehrkosten anfallen.


  2. 80.

    Unser Gesundheitssystem wird immer teurer. Und die Menschen werden immer älter und kranker.

    Aber letztlich wollen viele Patienten eine Versorgung auf dem Niveau eines Porsches, aber zum Preis eines Fiat.

    Dringende Reformen wie den Abbau der überzähligen Betten oder der Abschaffung der Familienversicherung sowie dem Verbot des Missbrauchs der Notaufnahmen sind unumgänglich und müssen auch gegen die Akzeptanz durch die Patienten durchgeführt werden.







  3. 79.

    Meine Praxis kooperiert mit der Charité. Wir bilden in diesem Rahmen auch Studenten aus.

    Leider wird die Leistung vieler Medizinstudenten immer schlechter. Vielen Studenten fehlt Basiswissen. Oftmals auch das nötige Engagement.

    In den letzten 20 Jahren konnten wir eine deutliche Verschlechterung der Leistungen der Studenten feststellen.

    Oftmals können Studenten in den höheren Semestern nicht mal vernünftig eine Wunde nähen. Und das liegt nicht an den Professoren...

  4. 78.

    Die Entlastung wäre nur sehr gering.

    Auch in den USA dürfen Pflegekräfte weder Diagnosen erstellen noch Medikamente verordnen.

    Eine Entlastung der Kollegen in den Kliniken wäre es, wenn alles machbare nur noch ambulant operiert wird und wenn der massive Missbrauch der Notaufnahmen endlich bestraft wird.

    Notaufnahmen sind nur für akut lebensbedrohlich erkrankte Patienten gedacht. Dabei zählt die Einschätzung von uns Ärzten.

  5. 77.

    Wie wäre es mit mehr Kompetenzen für das Pflegepersonal, wie zB in den USA? Das würde die Ärzteschaft entlasten.

  6. 76.

    Woher nehmen Sie Ihre Erkenntnisse? Es ist körperlich sehr anstrengend, im OP zu stehen. Auch die körperliche Untersuchung kann schwer sein.

    Viel Geld verdienen? Ja klar, vor Steuern und vor Abzug der Kosten für Praxis ect....

    Niedergelassene Ärzte verdienen oft nicht mehr als Klinikärzte.

  7. 75.

    Wenn Sie dringend einen Facharzttermin brauchen, kann Ihnen der Hausarzt eine Überweisung mit Dringlichkeit ausstellen. Sie müssen dann nur bei der genannten Telefonnummer anrufen und den Code nennen. Dann bekommen Sie binnen 4 Wochen einen Facharzttermin. Dazu müssen Sie ggf. fahren. Wer dringend einen Facharzttermin braucht, bekommt mit der Überweisung mit Dringlichkeit auch einen. Aber dazu muss man den Hausarzt ect ansprechen.

  8. 74.

    Als Arzt kann man viel Geld verdienen, die körperliche Arbeit ist viel geringer als bei den meisten anderen Berufen und in der Gesellschaft hat man sehr viel Respekt und Zuneigung, weshalb sich weltweit sehr viele Studenten wünschen sich für ein Medizinstudium, Ob die begabt sind oder nicht, Hauptsache Medizin, was auch ganz normal ist.

  9. 73.

    Da haben Sie vollkommen recht. Versuchen Sie einmal, einen Termin bei einem Rheumatologen zu bekommen. DAs geht gar nicht!! Die KV ist das größte Gesundheitsproblem in der BRD. Warum macht die Regierung das nicht einfach so, wie bei den Zahnärzten. Jeder kann sie jederzeit überall niederlassen. Dann hätten wir das ambulante Problem gelöst für allezeit!!!

  10. 72.

    Ich hab mir jetzt nicht alle Kommentare angeschaut, aber hat jemand mal darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Hausärzte gar nicht zwingend um den Ärztemangel geht, sondern darum, dass die Kassenärztliche Vereinigung gar keine Kassensitze vergibt? Noch gravierender ist das bei den Fachärzten, was sicher jeder bestätigen kann, der mal einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen versucht hat.
    Meine Frau ist frisch selbständige Kardiologin, ich habe über mehrere Monate während des Prozesses der Selbständigkeit mindestens einmal in der Woche nach verfügbaren Terminen für Kardiologen geschaut, als Patient einer gesetzlichen Krankenkassen. Frühestens nach 8 Wochen habe ich Termine gefunden, meist hat es noch länger gedauert. Es gibt also in diesem konkreten Fall hier keinen Mangel an einer Kardologin, sondern an einem Sitz, der es ihr ermöglicht, Kassenpatienten zu behandeln.
    Deshalb muss hier m.E. eine ganz andere Diskussion geführt werden, nämlich die zur Struktur des Systems...

  11. 71.

    Vollste Zustimmung. Solange, wie gestern im Vorbeigehen, wieder einmal Milliarden zugesagt werden, ist alles ausreichend da.

  12. 70.

    Sehe ich auch so . Neoliberalismus tötet. Ausländische Ärtze führt zu Mangel in deren Heimatländern . Das würde ich dann mal neo Kolonialismus nennen.

  13. 69.

    Ich mach den Job jetzt 25 Jahre. Wir brauchen vor allem bessere Arbeitsbedingungen um die Leute in vollzeit in diesem Land in diesem Job zu behalten. Mehr auszubilden die dann weoter in teilzeit, ins Ausland oder ganz aus dem Job gehen kann nicht die Lösung sein

  14. 68.

    Ja klar die OP Schwestern erzählen viel Müll wenn der Tag lang ist. Ihre gesamte Existenz besteht daraus über das Ärztetum herzuziehen.

  15. 67.

    Aber anstatt die kostenlose Familienversicherung abzuschaffen und Leistungen einzuschränken wird nach weniger KK gerufen. Obwohl längst bekannt ist, dass das kaum Geld spart.

    Ebenso will man Beamte ect in die GKV ziehen. Das diese aber beitragsfrei wären, wird gerne übersehen. Außerdem kann keine Praxis und keine Klinik ohne Privatpatienten überleben. Auch ein MVZ kann ohne Privatpatienten nicht überleben.

    Letztlich wird es auf ein System wie in Norwegen hinauslaufen.

  16. 66.

    Bei Kündigung zahlt das Arbeitsamt, da die Vermittlung nicht wirklich funktioniert, ist nur jedem anzuraten, der seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten will, selbst aktiv zu werden. Damit ist Punkt 1 erreicht, denn zu viele kümmern sich nicht selbst darum einen neuen Job zu finden und bei Punkt 2 fehlt schon der Wille zur Arbeit. Bei Krankheit gibt es Krankengeld, sofern der Krankheit eine Berufstätigkeit vorausging. Es geht aber nicht um Bezieher von Alg.1 oder Kranke und häuslich Pflegende, die nicht arbeiten können, sondern um jene, die offen erklären, nicht arbeiten zu wollen, im Gegenzug sämtliche Segnungen des Sozialstaates in Anspruch nehmen und sich gerne und oft beschweren, es sei nicht genug. Ich kann nichts Falsches daran finden, wenn jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten für sich selbst sorgt, denn auch das macht eine Solidargemeinschaft aus. Ich würde gern für mich arbeiten, nicht um Leute durchzufüttern, die Deutschland für eine Faultierfarm halten.

  17. 65.

    Ich war in der Charité vor wenigen Tagen und erhielt genau diese Info aus dem OP /Personal , also wer sagt die Wahrheit und wer verbreitet Fake s.

  18. 64.

    Alte Soziologen-Weisheit, empirisch seit Jahrzehnten belegt: Bildung(szugang) wird in Deutschland größtenteils vererbt.

    Und warum sollte eine elitäre Klientel das Bedürfnis haben, daran etwas zu ändern? Am Ende werden keine Götter in Weiß Ärzte, sondern Normalsterbliche. Das können die Götter nicht gewollt haben.

    Also erzählt man weiter die Mär vom achso anspruchsvollen Auswendiglernen äh Studium. Auch Juristen kennen das.

  19. 63.

    Ich stimme Ihnen zu. Allerdings ist leider - trotz der hohen Kosten - die Qualität der Lehre an deutschen medizinischen Hochschulen alles andere als gut. Auch an der Charité werden motivierte Studierende unnötig schlecht behandelt und selten gut gefördert. Die praktische Ausbildung könnte deutlich besser sein mit mehr Zufriedenheit auf allen Seiten.

  20. 62.

    Es ist schon eine Grundsatzfrage, wie viel Geld die Gesellschaft für ihre Gesundheit ausgeben möchte. So kostet zum Beispiel allein die molekulare Untersuchung des Lungenkrebs eines Rauchers deutlich mehr als 1000 €, ganz zu schweigen von der Behandlung, die sein Leben im Zweifel um sechs Monate verlängert. Diese Frage muss man sich ehrlich stellen und gegebenenfalls bereit sein, deutlich höhere Beiträge oder Kosten in Kauf zu nehmen.

Nächster Artikel