Senatspläne - Mit Kiez-Kühlschränken und Aufklärung gegen Lebensmittelverschwendung

In Berlin sollen weniger Lebensmittel im Müll landen – von Verbrauchern und vom Handel. Die zuständige Senatorin will dazu unter anderem Retter-Kühlschränke in Spätis aufstellen. Unbürokratisch wird das aber nicht. Von Sabine Müller
In Halle 3.2 auf der Grünen Woche in Berlin stecken Besucherinnen und Besucher konzentriert kleingeschnittene Zwiebeln, Gurken und Möhren in Einmachgläser, dann kommt ein Essigsud drauf. "Gemüse einzulegen ist eine von vielen Möglichkeiten, Lebensmittel haltbar zu machen", sagt die Moderatorin des Workshops vom gemeinnützigen Verein "Restlos Glücklich", der Bildungsarbeit gegen Lebensmittelverschwendung macht. Geschätzt enden in Deutschland etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr im Müll, vieles davon wäre noch essbar gewesen.
Gegen den "Schönheitswahn" beim Essen
Statistisch gesehen wirft laut Bundesumweltministerium jeder Mensch in Deutschland jährlich mehr als 70 Kilogramm Lebensmittel weg. Wir müssten uns vom "Schönheitswahn" verabschieden, fordert Ramona Holzer von "Restlos Glücklich". Dort wird gerne mit Lebensmitteln gekocht, die Supermärkte aussortiert haben, weil sie nicht perfekt aussahen. "Wenn etwas ein bisschen welk oder angedetscht ist, ist das ist kein Grund, es wegzuwerfen", betont Holzer. "Wir können trotzdem etwas richtig Leckeres daraus kochen."
60 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel stammen aus privaten Haushalten, deshalb will die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) im Kampf gegen Verschwendung auch stärker als bisher an die Bürgerinnen und Bürger ran.
Eine "Kiezbox" soll retten helfen
Auf der Grünen Woche hat Badenberg Ideen vorgestellt, die ein Runder Tisch aus Handel, Verbraucherschützern, Lebensmittelrettern und Wissenschaft in den vergangenen Wochen erarbeitet hatte. Geplant ist unter anderem eine berlinweite Kampagne für mehr Lebensmittelwertschätzung, die im Herbst parallel zu einer bundesweiten Aktionswoche stattfinden soll. Besonderes Ausgenmerk gilt der jungen Generation. In Kitas und Schulen soll es mehr Bildungsprojekte geben, damit Kinder von klein auf besseren Umgang mit Lebensmitteln lernen.
Ein zentrales Projekt ist die geplante "Kiezbox", eine Weiterentwicklung der schon existierenden Kiez-Kühlschränke, von denen zwölf etwa in Stadtteilzentren oder Bibliotheken stehen. Privatleute oder Läden, die Lebensmittel übrighaben, können Spenden abgeben und wer etwas braucht, darf zugreifen. In den Kiezboxen sollen Obst, Gemüse und Backwaren angeboten werden. Fisch, Fleisch oder Milchprodukte aus hygienischen Gründen nicht.
Spätis haben Interesse angemeldet
Auf der Grünen Woche steht ein Prototyp der "Kiezbox", eine Kombination aus Regal und Kühlschrank, gehalten in dunklen Farben. Prima Idee, aber ein "bisschen grufti-mäßiges Äußeres“, befindet die Gründerin der Berliner Tafel, Sabine Werth. Verbraucherschutzsenatorin Badenberg sagte, sie wünsche sich, dass "jeden Monat" eine neue Kiezbox aufgestellt werde, könne aber aktuell keinen Zeitplan und keine geplante Zahl nennen.
Sie berichtet, unter anderen hätten verschiedene Spätis Interesse daran, die Boxen aufzustellen. Sie müssten sich aber an klare Regeln halten. "Wer Lebensmittel entgegennimmt, muss dokumentieren, wer sie abgegeben hat und muss prüfen, ob die Lebensmittel noch verzehrfähig sind", betont die Senatorin.
Das müsse unbürokratischer gehen, fordert Katja Scheel vom Verein Foodsharing. Wie in Hamburg zum Beispiel, wo es unbewachte Kühlschränke gibt. "Dort reicht es, dass die Kühlschränke von uns einmal am Tag geputzt und kontrolliert werden und kein Gesundheitsrisiko davon ausgeht." Scheel sagt, sie hoffe, dass sich der Senat in dieser Frage noch bewegt.
Senatorin will Spenden von der Umsatzsteuer befreien
Schließlich betont Senatorin Badenberg, wie wichtig ihr Bürokratieabbau sei. Für den Handel zum Beispiel will sie weniger Prüf- und Dokumentationspflichten, damit Lebensmittel noch einfacher gespendet werden können. "Regeln sollen nur da bestehen bleiben, wo es erforderlich ist. Alle bürokratischen Hürden sollen abgebaut werden."
Damit rennt sie offene Türen ein bei Björn Fromm, Präsident des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. "Wir würden gerne noch mehr tun, aber Gesetze stehen uns im Weg", sagt Fromm. "Wir müssen Lebensmittel einfacher abgeben können" - und das etwa ohne die Umsatzsteuer, die Supermärkte aktuell zahlen müssen, wenn sie Lebensmittel spenden. Verbraucherschutzsenatorin Badenberg kündigte an, über den Bundesrat Initiativen anzustoßen, um es für den Handel bürokratisch einfacher und finanziell attraktiver zu machen, Lebensmittel weiterzugeben statt zu vernichten.
Die Linke sieht „widersprüchliche“ Senats-Politik
Ziel der Bundesregierung ist es, die Menge des Lebensmittelmülls bis 2030 zu halbieren. Badenberg würde für Berlin gerne mehr Tempo reinbringen: "Wir wollen nicht bis 2030 warten." Sabine Werth, die Gründerin der Berliner Tafel, lobt, jetzt passiere mehr als früher unter einem rot-grün-roten Senat. "Ich habe das Gefühl, dass sich zum ersten Mal wirklich was tut. Es fühlt sich jemand wirklich verantwortlich."
Kritische Töne kommen aus der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus. Kathrin Seidel, Verbraucherschutzexpertin der Linksfraktion, sagt, sie finde durchaus richtig, was beim Runden Tisch beschlossen worden sei, aber sie fragt, wie das alles eigentlich finanziert werden solle. Und sie wirft dem Senat widersprüchliches Handeln vor. Denn bei der Fortbildung für Beschäftigte in Schulkantinen, um sie für Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren, sei gerade erst Geld gekürzt worden, sagt Seidel.
Sendung: rbb24 Abendschau, 22.01.2025, 19:30 Uhr