Ein Jahr nach dem Breitscheidplatz-Attentat - Der Fall Amri – Chronologie der Behördenfehler

Anis Amri war den Sicherheitsbehörden lange vor dem Anschlag als Drogendealer und gewaltbereiter "Gefährder" mit Kontakten zu radikalen Islamisten bekannt. Warum zogen ihn die Sicherheitsbehörden nicht aus dem Verkehr? Versuch einer Rekonstruktion, zusammengestellt von Andrea Marshall und Susanne Opalka.
Der Tunesier Anis Amri steuert am 19. Dezember 2016 einen gekaperten Lkw in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Er ermordet zwölf Menschen, 56 Verletzte kommen in Krankenhäuser. Dabei war Amri als gefährlicher radikaler Islamist und Drogenhändler bekannt, sogar mehrfach festgenommen worden. Warum konnte er sich trotz alledem frei in Deutschland bewegen? Hätten die Sicherheitsbehörden durch eine Inhaftnahme oder durch seine Abschiebung das Attentat verhindern können?
Die folgende Zusammenstellung von Widersprüchen, Behördenpannen und Merkwürdigkeiten basiert im Wesentlichen auf rbb-Recherchen , den Ergebnissen des Berliner Sonderermittlers Bruno Jost [PDF] sowie der Chronologie des Bundesinnenministeriums [Download]. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Viele Fragen sind auch knapp ein Jahr nach dem Attentat noch immer ungeklärt – auch, weil dem Sonderermittler nach eigener Aussage manche Informationen gar nicht oder nur bruchstückhaft zugeliefert wurden.
Zwei Untersuchungsausschüsse – in Berlin und Nordrhein-Westfalen – sind noch mit der Aufklärung befasst. Ein dritter Ausschuss - auf Bundesebene - ist weiterhin im Gespräch.
Fazit
Dem Anschlag von Berlin ging eine Kette von Fehleinschätzungen, Versäumnissen und Pannen bei den Sicherheitsbehörden voraus. Polizei und Geheimdienste hatten den Attentäter immer wieder auf dem Schirm, doch individuelle Fehler und ein strukturelles Versagen der Sicherheitsarchitektur machten den Weg frei für die Mordtat auf dem Breitscheidplatz.
Rückblickend führt Sonderermittler Jost die Berliner Behördenpannen auch auf die Arbeitsbelastung zurück. Die Zahl islamistischer Gefährder habe sich in einem sehr kurzen Zeitraum verdoppelt. Dadurch sei die Ausbildung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter bei der Polizei zu kurz gekommen. Innensenator Andreas Geisel (SPD), der erst Tage vor dem Attentat ins Amt kam, erklärte: "Das LKA hatte mehrfach Verstärkung gefordert und scheiterte damit an der damaligen politischen Führung" - also an Geisels Amtsvorgänger Frank Henkel (CDU).
Jost rügt auch die mangelhafte Dienstaufsicht innerhalb des Berliner Landeskriminalamtes sowie die Zusammenarbeit zwischen LKA und Generalstaatsanwaltschaft. Die Geheimdienste hätten eine „bemerkenswert bedeutungslose Rolle“ gespielt, schlussfolgert der Sonderermittler. Vom MAD über den BND, das Bundesamt und die beiden Landesämter für Verfassungsschutz in Berlin und NRW hätten übereinstimmend erklärt: Zum Fall Anis Amri hatten wir keine Erkenntnisse.
Zusammengestellt von Andrea Marshall und Susanne Opalka