Konzertkritik | Zaho de Sagazan - Träumen, Tanzen und Toben

Elektro, Techno und Chanson - auf den ersten Blick mag das nicht so recht zusammenpassen. Die Französin Zaho de Sagazan macht daraus eine neue Kunstform. In Frankreich binnen weniger Monate ein Star, verzauberte sie nun ihre Fans in Berlin. Von Tom Schneider
Die Klänge des elektrischen Klaviers wirken mitunter so rein und unschuldig wie auf einem Singer-Songwriter-Abend. Eine junge, blonde Frau streichelt die Tasten und haucht mit der bemerkenswerten Bandbreite ihrer Stimme all die Themen in den Saal, die französische Chansons seit jeher so einzigartig machen.
"Sag mir, dass Du mich liebst, dis-le moi, dis-le moi, dis-le moi...". Was auf Deutsch schnell etwas schmachtend daherkommt, erhält durch Zaho de Sagazans Timbre diesen Anstrich der Undurchdringlichkeit, der vielen Chansons von Brel bis Barbara zu eigen ist. "Dis-moi que tu m’aimes", der Schlusstitel von de Sagazans Debut-Album, scheint all das zu transportieren: Das Unverbrauchte und das Unwiederbringliche einer ersten Liebe nebelt das ausverkaufte Metropol-Theater ein.
"Nein, ich war noch nie verliebt!", erklärt die 24-jährige Französin brüsk. "Ich warte noch darauf, dass ich mich verliebe", beteuert sie mit schelmischem Blick. "Vielleicht in einen Mann, vielleicht in eine Frau, wir werden sehen", lautet die klare Ansage. Bis dato habe sie nur ihre "Freunde", und deutet verschmitzt auf die drei Jungs im Hintergrund, die ihre Band bilden.
Die Band, das ist neben dem Schlagzeug vor allem eine Ansammlung elektronischer Geräte. Mehrere Synthesizer umrahmt von zwei Boxen auf hohen Ständern, die aussehen wie elektronische Schaltkästen. Einer der "Freunde", der immer wieder daran hantiert, erinnert eher an einen Telekom-Monteur. Die Musik des Abends jedenfalls soll noch so einige Extreme in petto haben.
Hypersensibilität als Motor
Wer ist also diese Zaho de Sagazan? Die Koketterie um ihr eigenes Liebesleben ist nur der Anfang eines Herumflirrens um all die Abgründe menschlichen Daseins. "Das nächste Lied ist über Traurigkeit", trällert die Sängerin in französisch gefärbtem Englisch in den Saal. "Ach nein, eigentlich geht es um Sensibilität. Ich bin nämlich ein sensibles Mädchen, wisst Ihr..."
Es folgt eine sehr persönliche Erzählung ihres Seelenlebens. Sie sei ein trauriges Kind gewesen, das viel geweint habe, berichtet sie. Dann war da irgendwann dieses glückliche Zusammentreffen mit einem Klavier, mit dem sie fortan ihren Kummer teilte, um daraus Musik zu machen. "Meine größte Schwäche, also meine Traurigkeit und Hypersensibilität, wurden dadurch zu einer Stärke", erklärt sie nicht ohne Stolz.
Das erzählt der Titel "Symphonie des éclairs" - zu Deutsch "Symphonie der Blitze" - De Sagazans bekanntestes Werk. Das textsichere Publikum übernimmt den Gesang, die Interpretin entwickelt dazu einen beeindruckenden Kanon und nimmt ein erstes Bad in der Menge.
Aus Chanson wird Techno
An der Stelle des Konzerts spätestens wird klar: Hier singt jemand, der sich seinen Besonderheiten stellt und gelernt hat, sich zu akzeptieren. Das erklärt einen Auftritt, der auf eine übertriebene Bühnenshow, ja sogar auf ein Bühnenbild verzichtet. De Sagazan ist in ein hautenges, kurz geschnittenes Gymnastikoutfit gewandet, das Sorgen über Passform und Problemzonen nicht zu kennen scheint. "Ich mache hier Musik. Nicht mehr und nicht weniger", könnte das Credo sein. "Ne me regardez pas!" - Schaut mich nicht an!
Plötzlich verdüstert sich der Klangraum. Das Liebliche und Weiche eines Chansonabends wird von dumpfen Synthesizer-Klängen überwuchert. Zaho de Sagazan nimmt diesen Wandel auf, bewegt sich ruckig über die gesamte Bühne, setzt Geräusche frei, die mal an spitze Schreie, mal an dunkles Glucksen erinnern. "Dansez!", bellt sie in die Menge. "Tanzt!" Wie auf Kommando fegen Bässe, Beats und Schlagzeughiebe über die Bühne.
Die Szenerie erinnert an Tresor, E-Werk oder Berghain. Elektro und Techno übernehmen die Regie. Zaho de Sagazan lässt ihren Körper springen und beben, rudert mit den Armen. Kein Zweifel: Frankreich ist die Heimat einer besonderen Form des Elektro, die Zaho der Sagazan in bemerkenswerter Weise weiterführt.
"Noin-und-noind-sisch Luftballons"
Erkennbar wird plötzlich eine besondere Magie zwischen de Sagazan und ihrem Publikum: "Ich bin eine von Euch", sagen ihre Gesten und ihr Ausdruck. Regelmäßig fixiert sie ihre Fans mit festem Blick, verschwindet plötzlich in der Menge und wird Teil von ihr. Die Bässe und Beats wummern - das Metropol wird zur Techno-Party.
Das Meer der Möglichkeiten Berlins kennt de Sagazan genau. Als Jugendliche verbrachte sie einige Zeit in der Stadt. Ihre Interpretation von Nenas "99 Luftballons" wirkt wie eine Ode daran. Der 80er-Jahre-Song ist einer der wenigen deutschen Titel, die es ins kollektive französische Musik-Bewusstsein geschafft haben. De Sagazans starker französischer Akzent könnte wie eine Verballhornung wirken, hier steht er für eine besondere Verbindung zu Berlin. "Ich weiß nicht, wie ihr das hier mögen könnt, aber ich habe das Gefühl, ihr tut es."
Zugabe wird de Sagazans Version von David Bowies "Modern Love", mit dem sie auf dem jüngsten Filmfestival von Cannes schon Jurypräsidentin Greta Gerwig zu Tränen rührte. Bowie und Berlin, die Liebe und die Chansons. In Berlin scheint für die nahbare Französin einiges zusammenzulaufen. Mit ihrer Leichtigkeit hat sie noch Großes vor, vermittelt dieser Auftritt. Schon im März will sie wiederkommen und dann nicht weniger als die Uber Eats Music Hall füllen.
Sendung: radio3, 19.10.24, 9:30 Uhr
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