Porträt eines Minimalisten - Konsum? Nein, danke!

So 22.11.20 | 17:41 Uhr | Von Matthias Bertsch
Dimitri Molerov (Quelle: Dimitri Molerov)
Audio: rbbKultur | 21.11.2020 | Matthias Bertsch | Bild: Dimitri Molerov

Dimitri Molerov verzichtet auf Reisen mit dem Flugzeug, liest Bücher nur noch digital und lebt in Berlin auf acht Quadratmetern. Mehr braucht er zum Leben nicht. Man könnte ihn Konsumverweigerer oder Minimalist nennen. Matthias Bertsch hat ihn getroffen.

Samstag, 31. Oktober 2020. Während in Terminal 1 der BER offiziell eröffnet wird, protestieren draußen ein paar hundert, überwiegend jüngere Männer und Frauen gegen den neuen Flughafen. Einer von ihnen ist Dimitri Molerov von "Flight Free". Die Kampagne sammelt Unterschriften von Menschen, die sich selbst verpflichten, nicht mehr zu fliegen. Der 34-Jährige bezeichnet sich selbst als digitaler Nomade und Minimalist. Er schmunzelt, wenn daran denkt, wie er die Entscheidung getroffen hat, nicht mehr zu fliegen.

Das war "komplett irrational", erzählt er lachend. "Ich stecke auf dem Kontinent fest, wie vermessen ist das." Anschließend folgte der Aha-Effekt. "Erst als ich mich drauf eingelassen habe, habe ich einen anderen Blick bekommen und gesagt: Gut, Moment mal, ich verzichte auf das Fliegen, ich muss aber nicht unbedingt auf das Reisen verzichten." So hatte Dimitri die Idee, langsamer zu reisen.

Erster Impuls im Elternhaus

Nicht mehr zu fliegen, ist für den Übersetzer, der in Bulgarien geboren und in Deutschland aufgewachsen ist, nur einer - wenngleich ein wichtiger - von vielen Schritten in Sachen Nachhaltigkeit und Minimalismus. Den ersten Impuls, und auch hier schmunzelt er wieder, habe er schon im Elternhaus erhalten: Seine Mutter, eine Musikerin, habe kleine Dinge gesammelt: "Wenn es aber darum ging, dass Hausputz ist, dass am Wochenende aufgeräumt wird, dann war das Elend groß für die Kinder. Ich habe das vielleicht auch ein bisschen als Gegenthese, dass ich gesagt hab: So viele Sachen brauche ich gar nicht in meinem Leben."

Ein Gefühl, das während des Studiums noch stärker wurde. Bei jedem Umzug fragte sich Molerov erneut: Wozu nehme ich die vielen Sachen eigentlich immer mit? Als dann noch seine langjährige Beziehung auseinanderbrach, beschloss er, auf Reisen zu gehen. "Dann habe ich gesagt: Okay, was brauche ich, wenn ich für 'ne längere Reise unterwegs bin. Da kam tatsächlich der Druck auf, sich so viel wie möglich zu beschränken." Denn je mehr man schleppen muss, desto schneller merkt man, was notwendig ist, und was man nicht braucht.

Bücher nur noch digital

Am Ende war es ein großer Rucksack für Kleidung, Schlafsack, Essgeschirr und ein kleiner für den Laptop und ein paar andere Dinge. Den Rest verschenkte er. Einige Bücher, Dokumente und persönliche Erinnerungsstücke kamen in Umzugskartons und wurden eingelagert. "Das war mir ein Anliegen, dass ich zwar Dinge nicht sofort weggebe und damit die Erinnerungen noch zugänglich sind, aber dass ich für mich nach und nach sagen kann: Ich habe mich davon verabschiedet." Inzwischen besorgt er sich auch etwa Bücher nur noch digital.

Und so zog er als digitaler Nomade einige Jahre durch Europa, war mal in Mainz und Berlin, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni angestellt war, mal in Belgien und mal in Bulgarien bei Verwandten. Sein Vorteil: Als Übersetzer kann er von überall aus arbeiten. "Ich hatte schon viele Situationen, wo ich gesagt habe, ich muss jetzt gerade an den Laptop, ich muss was fertig schreiben, und ich war eben auf der Busfahrt meinetwegen nach Bulgarien oder so. Das geht schon, und ich kann ganz gut abschalten." Aber trotzdem brauche man einen Ort zum Arbeiten, wo man konzentriert sein kann.

Selbst gewählt und sehr bescheiden

Das mag nach einem privilegierten Leben klingen, dabei ist es vor allem eines: selbst gewählt und sehr bescheiden. Molerov, der gerade seine Doktorarbeit fertig stellt, lebt von 800 Euro. Mehr braucht er im Monat nicht. Sein Berliner Zimmer, in dem er seit rund einem Jahr wohnt, hat acht Quadratmeter. Zum Arbeiten geht er in einen Coworking-Space in Tempelhof, in dem sich Initiativen rund um das Thema Nachhaltigkeit angesiedelt haben.

Beim Treffen dort trägt er zwei Uhren am Handgelenk: Anstatt der Ziffernblätter ist auf der einen eine gelbe Neun zu sehen, auf der anderen eine grüne Drei: "Das ist mein eigenes Commitment für meine Emissionen und meinen Fußabdruck. Bei neun Tonnen war ich letztes Jahr, und bis Ende dieses Jahres möchte ich auf drei Tonnen runterkommen." Die Uhren trägt er, um sich an sein Commitment zu erinnern - aber auch, um mit anderen Leuten ins Gespräch darüber zu kommen.

"Ich möchte noch mehr bewegen"

Fünf der neun Tonnen waren ein Flug in die USA, der letzte, den Molerov gemacht hat, weil er dort ein paar Wissenschaftler treffen wollte. Die sechste Tonne spart er, weil er wegen Corona weniger gereist ist und auch sonst noch mehr auf seinen ökologischen Fußabdruck achtet. Anstatt zu heizen, zieht er sich einen zweiten Pullover über. Langfristig möchte er auf zwei Tonnen CO2 kommen, das ist der Richtwert, der jedem Menschen auf der Welt im Durchschnitt zusteht, wenn er nachhaltig leben will. Doch die eigene CO2-Bilanz sei nicht die einzige Möglichkeit, das Klima zu schützen

"Ich bin jetzt inzwischen an dem Punkt, wo ich sage, ich möchte noch mehr bewegen, mehr Emissionen einsparen, und da gucke ich, wo kann ich denn positiv wirken, dass meinetwegen im Betrieb, oder auf politischer Ebene, dass da viel größere Emissions-Einsparpotenziale realisiert werden." Denn das eigene Verhalten allein, das weiß Dimitri Molerov, wird den Klimawandel nicht stoppen.

Sendung: rbbKultur, 21.11.2020, 19:04 Uhr

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Beitrag von Matthias Bertsch

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