Grünen-Politiker - Özdemir berichtet von massiver Bedrohung durch türkische Nationalisten

Do 05.12.24 | 09:51 Uhr
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Archivbild:Cem Özdemir am 16.11.2024.(Quelle:picture alliance/dts Nachrichtenagentur)
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Der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sieht sich seit 2016 massiven Bedrohungen durch türkische Nationalisten ausgesetzt. Auslöser sei sein Einsatz für die Armenien-Resolution des Bundestages 2016 gewesen, in der das Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als "Völkermord" bezeichnet wird, sagte der Grünen-Politiker Özdemir im Podcast "Meine schwerste Entscheidung" der Funke Mediengruppe. Die Resolution habe sein "Leben in ein Davor und ein Danach verändert".

Ihm sei bewusst gewesen, dass dies einschneidende Konsequenzen haben werde - "bis eben zu der Frage, dass ich da lange Zeit eben bestimmte Teile der Gegend in Kreuzberg, in der ich wohne, meiden musste, eben nicht alleine einkaufen gehen konnte, im Taxi bedrängt wurde von Taxifahrern, die türkische Nationalisten sind". Türkische Nationalisten hätten Filme ausgestrahlt, in denen auch seine damalige Frau und seine Kinder erwähnt wurden, sagte Özdemir.

Seit 2016 kein Familienbesuch in der Türkei

Bei seiner Familie in der Türkei sei er seit 2016 nicht mehr gewesen. "Ich konnte zum Beispiel zur Beerdigung meines Onkels nicht gehen, wäre ich natürlich sehr gern hingegangen, aber das Risiko in einem solchen Staat, wo man halt immer damit rechnen muss, dass die gleichgeschaltete Presse dann mobilisiert wird und es dann heißt, ach guck mal, das ist die Verwandtschaft von diesem Verräter, das wollte ich einfach vermeiden."

Um seine Familie in Deutschland zu schützen, habe er zusammen mit seinen beiden Kindern einen Kurs im Selbstverteidigungssystem Krav Maga gemacht. "Wenn jemand kommt, ein Selfie möchte, der jetzt offensichtlich türkische Herkunft ist, dann gehen meine Kinder automatisch etwas weg von mir, auch aus Sicherheitsgründen", sagte er.

Kritik an Sicherheitsbehörden

Auf notwendige Sicherheitsvorkehrungen sei er zunächst nicht hingewiesen worden, kritisierte Özdemir. Die Sicherheitsbehörden hätten sich erst nach einer Intervention des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) bei ihm gemeldet. Er denke sich gelegentlich: "Wenn die Bösen wüssten, wie die Guten bei uns arbeiten, besser so, dass sie vielleicht nicht alles wissen", sagte er lakonisch.

Özdemir kam 1965 als Sohn türkischer Einwanderer im schwäbischen Urach zur Welt. Seine Eltern waren Anfang der 60er Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. 1994 wurde Özdemir in den Bundestag gewählt, 2021 wurde er Bundesminister - als erster Deutsche mit türkischen Wurzeln. Zuletzt kündigte er an, Anfang 2026 bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg als Spitzenkandidat für die Grünen antreten zu wollen.

Etwa 1,5 Millionen Opfer

Im Juni 2016 hatte der Bundestag beschlossen, die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als "Völkermord" einzustufen. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs reagierte empört, Ankara zog zeitweise den Botschafter aus Berlin ab. Mit der Erklärung, die Resolution sei nicht rechtsverbindlich, entschärfte die Bundesregierung den Streit später.

Der Völkermord an den Armeniern, auch als Armenozid oder von den Armeniern selbst als Aghet ("Katastrophe") bezeichnet, war einer der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhunderts. Er ereignete sich während des Ersten Weltkriegs unter der Verantwortung der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reichs. Die Spannungen zwischen Armeniern und der osmanischen Regierung hatten bereits vor dem eigentlichen Völkermord eine lange Vorgeschichte. Nach den Niederlagen des Osmanischen Reichs in den Balkankriegen und der Machtübernahme der Jungtürken 1913 verschärfte sich die Situation weiter. Am 27. Mai 1915 wurde ein Deportationsgesetz erlassen, das die Grundlage für die Verfolgung der Armenier bildete.

Etwa 1,5 Millionen Menschen fielen dem Genozid zum Opfer, darunter Armenier, aramäisch-syrische und chaldäische Christen sowie Pontosgriechen, eine griechische Minderheit. Die deutsche Reichsleitung war spätestens ab Juli 1915 über die Verbrechen informiert, unternahm jedoch kaum etwas dagegen. Der damalige deutsche Botschafter in Konstantinopel, Hans Freiherr von Wangenheim, bezeichnete die Vorgänge als Versuch, "die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten". Der Völkermord an den Armeniern wird von den meisten Historikern weltweit als Tatsache anerkannt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 05.12.2024, 19:30 Uhr

11 Kommentare

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  1. 11.

    Die Gründe liegen m. E. weniger am politischen Willen, sondern mehr an der Befürchtung, dass diese juristisch scheitern. Den Parteien und Vereinigungen muss ja die Verfassungsfeindlichkeit nachgewiesen werden. Als Beispiel nehme ich mal den Satz von Björn Höcke, dass das Denkmal der ermordeten Juden Europas ein Denkmal der Schande sei.

    Er selbst gibt kund, dass es um ein angebliches Übermaß ginge, mit dem auf die Schande, die die NS-Zeit tatsächlich darstellt, hingewiesen wird. Den "Vor-Ort-Truppen" wird hingegen erzählt, dass das Denkmal selbst schon die Schande sei, eigentlich weg müsse.

    Gerichtsfest nachzulesen ist Zweites nirgendwo, selbstredend auch nicht im Grundsatzprogramm. Da wird sich in feinzilisierten Sätzen ergangen. So bleiben die Einschlägigen "unter dem Radar."

    Sprache ist dehnbar, wer zeitweilig noch den Biedermann spielen will. Davon zeugte auch das seinerzeit verkündete "Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums."

  2. 10.

    Ich stelle fest, dass Sie anscheinend meinen Post nicht begriffen haben. Und mit 500 Zeichen muss man kürzen. Es hat sich niemand um die türkische Parallelgesellschaften gekümmert und irgendwer muss anfangen. Und da hat Faeser versagt!

  3. 9.

    Sevim, warum so polternd? Glauben Sie, mein Bildungsniveau beurteilen zu können und woran machen Sie das fest? Dass ich einen Beitrag kritisiere, wo es nicht um die Thematik ging, nämlich das ein Politiker bedroht wird und er aber Frust an andere Politiker ablässt? Glauben Sie mir, ich gehöre genau wegen der politischen Situation in der Türkei nicht zu den vielen unkritischen billigreisenden deutschen Türkeitouris und empfinde die„Erdogantreue“ türkische Community hier in D sehr bedenklich.

  4. 8.

    Ach Lincoln und dafür ist nun Frau Faeser dran schuld? So alt ist sie doch gar nicht?
    Es ging aber nicht um die Problematik der GW und der radikalen türkischen Community hier in Deutschland. Das „Problem“ Türkei lässt sich auch nicht in Deutschland lösen, dass ist mehr ein EU-Nato-Problem. Aber auch mal erwähnt, auch viele Deutsche stören sich ja nicht daran und reisen super gern und billig ins „demokratische“ Sonnenland Türkei.

  5. 7.

    Alle angesagten Verbote, besonders rechtsextremer Parteien und Nazis, sollten jetzt endlich mal in die Gänge kommen.

  6. 6.

    Tja, Erdogan und AKP haben ganze Arbeit geleistet, aber trotzdem geht man nicht konsequent gegen diese Leute und Organisationen vor.

  7. 5.

    Dann haben Sie ja den besten Nick dazu. Und übrigens: die GW und DAVAS sind Erdogans verlängerter Arm und garantiert nichts, was demokratisch ist. Ihnen wünsche ich neben guter Besserung auch bessere Bildung zum Thema.

  8. 4.

    Auch mich verwundert immer wieder, weshalb bislang keine Bundesregierung bereit war, die Grauen Wölfe, einer der größten rechtsradikalen Gruppierungen hierzulande, zu verbieten. Unsere französischen Nachbarn sind übrigens schon 2020 nach einer Welle antiarmenischer Gewalttaten mit gutem Beispiel vorangegangen.

  9. 3.

    Leider hat ihr Vorredner recht und Sie müssen dieser Wahrheit ins Auge schauen. Die Aktivitäten der Grauen Wölfe zB lassen sich bis in die Zeit der ersten Anwerbungen von Arbeitskräften aus der Türkei zurückverfolgen. Sie tarnen sich zumeist als folkloristische Clups mit strikter Segration von Frauen und Männern.

  10. 2.

    Geht’s Ihnen jetzt wieder besser? Was wieder mal für ein Unsinn. Ihnen geht es nicht ums Thema sonder ständig und bei jeder Gelegenheit um Pöbeln und Festigung Ihrer Feindbilder.

  11. 1.

    Da kann sich Herr Özdemir u.a. bei Frau Faeser und ihren Vorgängern bedanken, dass die Grauen Wölfe ungehindert den türkischen Nationalismus in Deutschland verbreiten dürfen.

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