Sicherheit in Berlin - Polizei und Feuerwehr sollen trotz kritischer Studie flächendeckend Bodycams bekommen

Fr 24.01.25 | 08:22 Uhr | Von Sabine Müller
Archivbild: Ein Polizist trägt eine Bodycam auf seiner Uniform bei einem Pressetermin zur Ausweitung des Einsatzes von Bodycams bei Berliner Polizei. (Quelle: dpa/M. Skolimowska)
Video: rbb24 Abendschau | 24.01.2025 | Anja Meyer | Bild: dpa/M. Skolimowska

Bodycams sollten beim Rettungsdienst nicht mehr eingesetzt werden – das empfiehlt ein Bericht, den der Berliner Senat selbst in Auftrag gegeben hatte. Der sieht das anders und will bis zu 3.000 weitere Bodycams anschaffen. Von Sabine Müller

In der Feuerwache Neukölln zeigt ein Kollege in Rettungsdienst-Montur, wo es beim Einsatz der Bodycams technisch noch hakt. Als er die Kamera an der Brusttasche befestigt, sitzt sie nicht richtig gut, kippt schnell nach vorne weg. Ab nächster Woche werden neue Halterungen getestet, verspricht der Feuerwehrsprecher.

Seit Ende 2022 sind bei Polizei und Feuerwehr in Berlin die ersten Bodycams im Einsatz. Die kleinen Körperkameras können Angriffe auf Einsatzkräfte aufzeichnen und im besten Fall helfen, Situationen zu deeskalieren. 250 Bodycams hat die Polizei, 50 bekam die Feuerwehr und testete die Körperkameras als erste deutsche Feuerwehr überhaupt im Rettungsdienst.

Einsatz im Rettungsdienst wird als "kontraproduktiv" gesehen

Professorin Silvia von Steinsdorff und ihr Team des Integrated Research Institute Law&Society an der Humboldt-Uni haben den Prozess eng begleitet, seitdem sie vom rot-grün-roten Senat beauftragt wurden. Ihr Fazit: Auch technische Verbesserungen werden Bodycams nicht zu einem brauchbaren Alltagsinstrument im Rettungsdienst machen. "Unsere Empfehlung für die Feuerwehr ist, die Bodycams im alltäglichen Rettungseinsatz nicht mehr zu verwenden", sagt von Steinsdorff dem rbb. "Eventuell kann man darüber nachdenken, dass es in besonderen Einsatzsituationen, beispielsweise bei Großereignissen wie Silvester, durchaus etwas bringen könnte, aber im Alltag ist es eher kontraproduktiv."

Zu dieser Einschätzung ist von Steinsdorff nach einem Jahr voller Interviews und intensiver Auswertung gekommen. Sie und ihr Team befragten neben verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen etwa 150 Polizeibeschäftigte und circa 130 Feuerwehrleute. Bei der Polizei gab es Kritik an technischen Problemen und juristischen Unklarheiten, aber grundsätzlich sah die Mehrheit die Bodycams durchaus positiv.

"Die Bodycam macht alles noch schlimmer"

Ganz anders bei der Feuerwehr. Hier sprach sich eine Mehrheit der Befragten gegen die Bodycams aus. Weil die Rettungsdienstler nicht den Eindruck hatten, dass die Kameras deeskalierend wirkten. Im Gegenteil, berichtete einer der Befragten: "Wenn wir mit einer Bodycam durch die Gegend laufen, ist da noch ein Stück Aggressionspotential mehr. Wenn man in gewisse Ecken der Stadt fährt, macht die Bodycam alles noch schlimmer." Ein anderer warnt vor Vertrauensverlust bei den Patienten. "Bis jetzt waren wir, die Feuerwehr, immer noch die Guten. Wenn man jetzt diese Kameras dem Bürger quasi auf die Nase bindet, könnte leicht der Verdacht aufkommen: Die sind genauso wie die Polizei. Oder: Die sind auch gegen uns, die wollen uns gar nicht helfen."

Das Fazit der Studie lautet deshalb: Der Einsatz der Bodycams im Rettungsdienst scheint "nicht zielführend". Aus Senat und Feuerwehr kommt Widerspruch.

Senat hält an Ausweitungs-Plänen fest

"Eine zielführende Verwendung bei der Feuerwehr ist definitiv möglich", versichert Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD). Davon sei er "fachlich und politisch fest überzeugt". Er räumt technische "Kinderkrankheiten" bei den Geräten ein, aber die würden behoben und dann werde auch die Akzeptanz im Einsatz steigen, ist sich Hochgrebe sicher. Mehr als einmal betont er, die Bodycams würden gebraucht, um die Einsatzkräfte vor Gewalt zu schützen.

Deshalb hält der Senat auch am Plan fürs flächendeckend Ausrollen der Geräte bei Polizei und Feuerwehr fest. Zu den 300 Kameras, die schon im Einsatz sind, sollen bis Ende Jahres 3.000 weitere kommen. 2.300 für die Polizei, 700 für die Feuerwehr. Die Feuerwehrführung unterstützt die Entscheidung für die Bodycams. Thomas Kirstein, Leiter der Berliner Feuerwachen, sagt angesprochen auf die kritische Studie: "Dann haben wir die Hausaufgabe, dass wir unsere Einsatzkräfte entsprechend schulen und aufklären." Eventuell gebe es ja "auch noch ein Stück weit Unkenntnis bei den Kollegen", vermutet Kirstein. "Wichtig ist, dass wir Bedenken unserer Einsatzkräfte annehmen und ernst nehmen."

Gewerkschaft und Linke beklagen Ignoranz

Genau das – Bedenken annehmen und ernst nehmen – vermisst allerdings die Berliner Linksfraktion, die im vorherigen Senat zusammen mit den Grünen auf eine Evaluierung des Bodycam-Einsatzes gepocht hatte. "Ich finde es relativ ignorant zu sagen, wir machen einfach weiter wie bisher und ignorieren die Empfehlungen, die im Bericht stehen", moniert Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Fraktion.

Auch Manuel Barth, Sprecher der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft, kritisiert Senat und Feuerwehrführung. Er fürchtet einen internen Vertrauensverlust. "Man kündigt Kolleginnen und Kollegen an: Wir machen einen Probebetrieb und wenn's Murks ist, dann lassen wir es auch wieder. Wenn das Ergebnis vorher schon feststeht, dann ist es für zukünftige Projekte sehr schwierig, Vertrauen zu erhalten und wiederherzustellen."

Das Tragen der Bodycams müsse zumindest freiwillig sein, fordert Gewerkschafter Barth. Einen Zwang dürfe es nicht geben. Eine Freiwilligkeit plant die Innenverwaltung allerdings nicht.

Sendung: rbb24 Abendschau, 24.01.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

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