Quarantäne und Gruppenkoller - Pandemie trifft Jugendhilfe hart

So 09.05.21 | 09:26 Uhr | Von Sophia Wetzke
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Symbolbild: Wohngruppe in der Jugendhilfe (Quelle: dpa/Peter Steffen)
Bild: dpa/Peter Steffen

In den stationären Einrichtungen der Jugendhilfe finden Kinder und Teenager Unterstützung. Corona hat die Situation für Personal und Jugendliche deutlich verschärft. Sie fühlen sich von der Politik mitunter vergessen. Von Sophia Wetzke

"Wir haben viele Jugendliche, die spürbar auffälliger sind", sagt Sozialarbeiterin Sarah. Sie arbeitet in einer Berliner Kriseneinrichtung der Jugendhilfe. Das erste Auffangbecken für Minderjährige, wenn es zuhause gar nicht mehr geht. Weil Gewalt passiert, weil es Suchtprobleme in den Familien gibt. Sarahs Einrichtung, die "Krise", wie die Mitarbeitenden die Stelle kurz nennen, gibt den Jugendlichen eine erste temporäre Unterkunft und versucht in Gesprächen mit Jugendämtern und Familie, neue Perspektiven zu schaffen. "Du hast psychisch auffällige Jugendliche, du hast straffällige Jugendliche, 13-Jährige mit schlimmen Drogenproblemen. Manche kommen von der Straße, die Gruppe wechselt ständig. Die kriegst du nicht alle eingefangen.", sagt Sarah.

Seit Corona sei die Arbeit in der Krise schwieriger geworden. Zur sowieso schon angespannten Situation der Jugendlichen, kommen seit über einem Jahr Hygiene- und Abstandsregeln hinzu. Diese durchzusetzen, sei ein ständiger Kampf, so die Sozialarbeiterin. Da die Einrichtung niemanden einsperren darf, versuchen die Betreuer zumindest verbal auf die Jugendlichen einzuwirken. "Überleg dir gut, ob du jetzt unbedingt rausgehen musst und mit wem du dich triffst, du weißt nicht, wo die sich rumdrücken", sagt Sarah dann. Und: "Wenn du rausgehst und Leute triffst, kommst du als Infektionsrisiko in unsere Gruppe zurück."

Quarantäne über Weihnachten

Mehrfach musste Sarahs komplette Kriseneinrichtung in Quarantäne. Für die instabilen Jugendlichen besonders schwierig. Gesellschaftsspiele können sie nach ein paar Tagen nicht mehr sehen, Lesen interessiert viele nicht, während der Quarantäne war Rausgehen maximal im Hof erlaubt. Ein Lichtblick war der internetfähige Fernseher, den die Betreuerinnen kurz vor Weihnachten über den Träger besorgen konnten, um einen Netflix-Account einzurichten.

"Jeden Tag dieselben vier Wände, dieselben Leute, das führt bei mir schnell dazu, dass es mir schlechter geht. Dann war die Quarantäne auch noch an Weihnachten und wir konnten unsere Familien oder Freunde nicht besuchen. Das nagt an einem", sagt die Jugendliche Rebecca, die zwei Wochen Quarantäne in der Krise miterlebt hat. Auch der mittlerweile 18-jährige Aziz hat als Bewohner einer anderen Einrichtung, einer festen Wohngruppe der Jugendhilfe, mehrfach eine Quarantäne mitmachen müssen.

"Ich wollte meine Schulaufgaben machen und konnte mich nicht mehr konzentrieren. Auf gar nichts mehr. Ich habe gemerkt, wie ich richtig depressiv wurde. Wir haben dann tagsüber geschlafen und waren nachts wach. Weil wenn du morgens so früh aufstehst und siehst, draußen ist schönes Wetter, aber du kannst nichts machen, wirst du noch trauriger als sonst schon."

Betreuerpersonal kommt an Grenzen

Besonders das Home-Schooling sei eigentlich nicht zu schaffen, sagt Jan, Betreuer einer festen Wohngruppe, eine Art WG der Jugendhilfe. Er ist zeitweise für neun Jugendliche parallel verantwortlich und dafür, dass diese am digitalen Unterricht teilnehmen. "Die technische Ausstattung ist unter aller Kanone, ständig stürzt etwas ab, das klappt vorne und hinten nicht. Und wir sind ja ein kompletter Familienersatz: ich wecke die Jugendlichen, ich koche und mache auch den Papierkram. Das ist eine One-Man-Show, die ich hier mache."

Ein bereits zu Beginn der Pandemie extra aufgelegtes Programm der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie verspricht Unterstützung der Jugendhilfeeinrichtungen: durch Schutzmaterialien wie Masken und Selbsttests, durch einen temporären Personalpool, durch zusätzliche Hilfe beim Home-Schooling. Weil die Einrichtungen aber von vielen unterschiedlichen Trägern betrieben werden – große, kleine, öffentliche, freie – kommen diese Hilfen sehr unterschiedlich in den Gruppen an. Die Träger selbst seien letztendlich dafür verantwortlich, die Unterstützung abzurufen, so ein Sprecher der Bildungsverwaltung. Diese fehlende Einheitlichkeit macht sich auch beim betreuenden Personal bemerkbar: Die einen fühlen sich für die Arbeit in dieser Sondersituation Corona gut ausgestattet, andere sehen einen Mangel.

Wunsch nach mehr Wahrnehmung

Eine Corona-Prämie wäre toll, sagt Betreuer Jan. Aber mehr öffentliche Wahrnehmung der Arbeit stationärer Jugendhilfeeinrichtungen würde auch schon helfen, sind sich Jan aus der Wohngruppe und Betreuerin Sarah aus der Krisenstelle einig. Zu Recht werde über Krankenhäuser, Altenpflege, Kitas oder Obdachlosenhilfe und deren Kämpfe in der Pandemie gesprochen. Doch die Jugendhilfe fühlt sich mitunter vergessen und unsichtbar.

Dabei werden diese Einrichtungen auch nach Corona gebraucht, vielleicht sogar mehr als vorher. Denn es fehlen zurzeit die beobachtenden Mechanismen durch schützende Netze wie Schulsozialarbeiter. Die stationäre Jugendhilfe befürchtet, dass nach dem Ende der Pandemie erst die Fälle häuslicher Gewalt und gefährlicher Familiensituationen sichtbar werden, die sich jetzt schon hinter verschlossenen Türen abspielen.

Sendung: radioeins, 29.04.2021, 16 Uhr

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Beitrag von Sophia Wetzke

25 Kommentare

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  1. 24.

    Der im Artikel erwähnte Betreuungsschlüssel von 1:9 ist mit Sicherheit nicht korrekt, somit auch nicht die vom Betreuer kommunizierten Ableitungen.

  2. 23.

    Na dann versucht dich mal eure Angehörigen einein ganzen Tag im Seniorenstift zu besuchen und bringt am besten die Enkel mit. Am schönsten wäre das mit langet anfahrt habe meine Enkel schon länger nicht mehr gesehen, da ich nicht so coputeravin bin und nur auf dem Handy?

  3. 22.

    Nicht ihr ernst.... Sie als vollständig geimpfter können sich doch wieder frei bewegen.... Jetzt ist mal solangsam gut.

  4. 21.

    Und ich dachte nach ihren letzten Kommentaren, Sie hätten eine nahe Angehörige an das Virus verloren und wüssten, warum Sie sich impfen lassen?

  5. 20.

    Na ist jetzt ein bisschen blöd, wenn wir hier darüber diskutieren was Heike wohl meint. Aber ich hatte das als Ironie verstanden. Ihre Antwort ernst genommen. Hm na gut vielleicht täusche ich mich. Nichts für ungut

  6. 19.

    Ist echt traurig wie hier teilweise am Thema vorbei geschrieben / kommentiert wird. Es geht um Kinder in der Jugenshilfe die neben den einschränkungen nicht raus zu dürfen keine Freunde zu treffen einfach nicht Kind / Jugendlicher sein zu dürfen auch noch die einschränkung hinnehmen müssen und ihre Eltern nicht sehen zu können. jeden dem das interresiert sollte sich mal den Link :
    https://www.zdf.de/dokumentation/am-puls-deutschlands/wiemichcoronazermuerbt-doku-100.html

    ab minute 24:15 anschauen.
    Klar haben Eltern die Berufstätig sind und Homescooling machen nicht einfach versteh ich auch aber die Kinder / Jungendlichen in Einrichtungen werden einfach vergessen.

  7. 18.

    Uns alten in den Heimen, aber auch zu Hause kommt auch das Kotzen, jetzt sind wir zwar geimpft aber am Leben teilnehmen?? Vor allem stellt sich die Frage wie lange geht unser Leben ueberhaubt noch bei unserer
    Lebensspanne. Die Jugend hat noch ihr ganzes Leben vor sich mit allem drum und dran.

  8. 17.

    Nur zur Information, ich nehme mir jeden Tag Zeit für mein Kind nicht nur am Muttertag. Wir fahren am 16.Juni sogar zu einer Mutter Kind Kur, und das wird für uns Erholung pur werden wo wir Hinfahren ist der Inzidenzwert bei 50....

  9. 14.

    Da Sie ja in anderen Kommentaren ständig betonen, dass Sie Ihre Kinder schützen wollen(andere Eltern sind da ja gaaaanz anders, oder?): Impfstoff für Kinder ab 12 ist noch nicht verfügbar. Also, worüber schimpfen Sie? Darüber, dass Sie sich, Ihre Kinder und andere kaum gefährden, wenn Sie sich impfen lassen? Oder darüber, dass es noch keinen Impfstoff für Jugendliche gibt, der frei verfügbar ist? Soll sich Herr Spahn mal ins Labor stellen?
    Hauptsache, mal was schreiben..... Nehmen Sie sich die Zeit lieber für die Kinder. Ist ja Muttertag....

  10. 13.

    "Wenn ich den Bericht und die Kommentare so lese, kommt mir unweigerlich das Bild einer hochgezüchteten Klonrasse in den Kopf."

    Sie haben noch Echsenmenschen, Chemtrails und die flache Erde vergessen. Apropos, fallen sie nicht von selbiger. Wäre doch schade, bei dem schönen Wetter.

  11. 10.

    Damit Sie andere nicht anstecken. Es ist manchmal auch hilfreich das eigene Ich und den Dunst der Familie zu verlassen

  12. 9.

    Alle sind benachteiligt. Wenn ich den Bericht und die Kommentare so lese, kommt mir unweigerlich das Bild einer hochgezüchteten Klonrasse in den Kopf. Wenn sich auch nur ein Parameter im Testumfeld ändert, bricht die ganze Welt zusammen. Allergien und Intolleranzen gegen alles, Zivilisationskrankheiten, Resistenzen... Wann merken wir endlich, dass irgendetwas falsch läuft.

  13. 8.

    Liebe Redaktion, in Ihrer Überschrift gibt es einen Fehler. Nicht die Pandemie trifft die Kinder und Jugendliche hart sondern die Maßnahmen, die ohne eine evidenz-basierte Grundlage ganzer Gesellschaft, ohne Ausnahmen, verordnet wurden. Kinder sind keine Risikogruppe, schwere Verläufe bei Kindern sind extrem selten. Kinder waren zu keinem Zeitpunkt durch COVID-19 gefährdet. Sie sind Kollateralschäden von Maßnahmen, die zum Schutz von vulnerablen Gruppen eingeführt wurden.

  14. 7.

    Nicht nur Jugendliche... Auch alle, die nich5 privilegiert sind und eine Impfung be9kommen, dafür aber im HomeOffice alleine vor sich hin ackern

  15. 6.

    Impft verdammt noch mal endlich auch Kinder und Jugendliche.... Warum soll ich mich als Elternteil impfen lassen, wenn ich doch nichts mit meinem Kind unternehmen kann....

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